REZENSION
ZOOCRACY
- Genre: Taktikspiel
- Jahr: 2019
- Verlag: Haas Games
- Autor: Simon Haas
- Grafik: Mihajlo Dimitrievski
- Spieler: 2 bis 6
- Alter: ab 12 Jahren
- Dauer: 60 bis 120 Min.
- Schwierigkeitsgrad: mittel
- Taktiklevel: 6/10
Dein Futter, meine Stimme!
Die Tiere im Zoo haben die Demokratie entdeckt. Um Stimmen für die eigene Partei zu erlangen, werden die Zootiere mit Futter bestochen. Und sind die Sitze im Parlament erst einmal verteilt, stehen harte Koalitionsverhandlungen an. Schließlich möchte jeder die besten Ämter bekleiden und seine politischen Ziele umsetzen ...
REGELN
Zoocracy verläuft über mehrere Runden, maximal acht. Jede Runde ist unterteilt in verschiedene Phasen, wobei nicht jede Phase in jeder Runde stattfindet. Zunächst erhält jedoch jeder Spieler (= jede Partei) eine bestimmte Anzahl an Futtermarkern (abhängig von der Spielerzahl) sowie einen Sichtschirm, denn die Konkurrenz muss keinen Einblick in die Parteikasse der anderen haben. Außerdem zieht jeder Spieler noch 2 Aktionskarten vom gemischten verdeckten Stapel. Den Aktionskarten sind immer klare Spielphasen zugeordnet, in denen sie ausgespielt werden können. Maximal 5 Karten darf ein Spieler am Ende einer Runde besitzen.
Die Spielphasen:
(1) Präsidentschaftswahl (in der ersten Runde und danach alle 2 Runden; festgehalten durch den Präsidenten-Marker auf der Rundenleiste): Die Spieler bieten verdeckt Futtermarker auf das Amt des Präsidenten. Haben alle Spieler die gewünschte Anzahl an Markern in ihre Hand genommen, wird aufgedeckt. Wer die meisten Marker gesetzt hat, wird Präsident. Er darf sofort ein politisches Ziel erfüllen (= mit seinem Zielmarker 1 Feld nach vorn schreiten). Außerdem erhält er eine weitere Aktionskarte auf die Hand. Die Spieler bekommen nach der Wahl die Hälfte ihrer gebotenen Marker zurück. Bei einem Gleichstand bieten die daran Beteiligten erneut; gibt es auch dann keine Entscheidung, wird die Präsidentenrolle nicht vergeben, dafür wird die nächste Wahl um eine Runde vorgezogen.
(2) Parlamentswahlkampf (jede Runde): Die Spieler dürfen eine durch die Spielerzahl vorgegebene maximale Anzahl an Futtermarkern in den Tiergehegen platzieren. Das ganze geschieht in der Reihenfolge der Sitzverteilung - die Partei mit den meisten Sitzen beginnt. In der ersten Runde gibt es noch kein Parlament, da beginnt die Partie, die den Präsidenten stellt. Gibt es auch diese nicht, wird ausgelost. Wichtig: In jedem Gehege darf ein Spieler maximal 3 Marker auf einmal einsetzen. Nachfolgende Spieler müssen, falls sie auf ein bereits mit Markern belegtes Gehege bieten, stets eine andere Anzahl an Markern hinzulegen. Es darf also nie Gleichstand herrschen. Die Marker bleiben bis zur nächsten Parlamentswahl liegen. Sollte es in einer Runde keine Wahl geben, so können in der darauf folgenden Runde weitere Marker hinzugefügt werden, aber auch dann gilt: Niemals darf sich eine Anzahl an Markern in einem Gehege doppeln.
(3) Parlamentswahl (in der ersten und danach alle 2 Runden; festgehalten durch den Wahl-Marker auf der Rundenleiste): Die einzelnen Gehege werden nun ausgewertet. Einige Gehege liefern Sitze im Parlament für den ersten und den zweiten Platz, andere wiederum nur für den ersten Platz. Wer also die Mehrheit in einem Gehege besitzt, erhält die (höhere) dort angegebene Punktezahl als Sitze, ggf. gibt es die kleinere Zahl an Sitzen für den Zweitplatzierten. Die Sitze werden mit den Spielermarkern im Parlament festgehalten. Jede Partei erhält so viel neues Futter aus dem Vorrat, wie sie Sitze einnehmen konnte. Die Marker werden anschließend entfernt. Die Sitze alle Parteien werden addiert, abgerundet durch 2 geteilt und 1 hinzugefügt. Die so ermittelte Zahl ist die Mehrheitsvorgabe, die mit dem "M"-Marker markiert wird.
(4) Regierungsbildung (immer in Kombination mit der Parlamentswahl): Der Spieler, der die Partei mit den meisten Sitzen anführt, macht nun den ersten Koalitionsvorschlag. Ziel ist es, eine Regierung zu bilden, die mit ihrer Anzahl an Sitzen den Mehrheiten-Marker erreicht oder überschreitet.
Der Spieler schlägt also ein Parteien-Bündnis vor und macht den Spielern zudem ein Angebot, wer aus diesen Parteien welches Amt bekleiden soll:
- Der Regierungschef darf beim Wahlkampf zwei zusätzliche Futtermarker aus dem Vorrat einsetzen.
- Die Finanzministerin darf zu Beginn des Wahlkampfes ein Gehege mit einem Manipulationsmarker versehen. Statt der angegebenen Sitze erhält ausschließlich der Erstplatzierte 4 Sitze im Parlament.
- Der Verteidigungsminister darf zu Beginn des Wahlkampfes ein Gehege mit einem Blockademarker versehen. In dieses Gehege dürfen dann keine Futtermarker mehr eingesetzt werden.
Zudem kündigt der Spieler an, welche zwei Parteien in dieser bzw. der nächsten Runde je ein politisches Ziel umsetzen dürfen, also in der Fortschritts-Phase (7) 1 Feld auf der Leiste nach vorn ziehen.
Die Spieler stimmen nun mit ihren Ja-/Nein-Markern über den Koalitionsvorschlag ab. Wird die neue Regierung mehrheitlich angenommen, werden die Rollen wir zuvor abgesprochen verteilt. Wird sie hingegen abgelehnt, ist der nächste Spieler in der Reihenfolge der Sitze im Parlament am Zug. Er stellt nun seinen Koalitionsvorschlag vor. Kommt keine Regierung zustande, bleibt die bisherige im Amt, allerdings werden eingesetzte Ämter-Karten nicht reaktiviert ("Übergangsregierung"); das geschieht erst, wenn eine neue Regierung gebildet wurde. In der ersten Runde kann es passieren, dass noch keine Regierungsbildung stattfindet. In diesem Fall wird die nächste Parlamentswahl um ein Jahr vorgezogen.
Der Spieler mit den meisten Sitzen im Parlament unter den Parteien, die nicht zur Regierung gehören, wird Oppositionsführer. Er darf im Wahlkampf eine Negativkampagne auslösen, indem er einen beliebigen Futtermarker gegen einen eigenen aus dem Vorrat austauscht. Das ist allerdings nur möglich, wenn dadurch keine Gleichstände entstehen.
(5) Ereignis (jede Runde): Die 8 Ereigniskarten wurden vor Spielbeginn gemischt und als verdeckter Stapelbereit gelegt. Unter den letzten 3 Karten befindet sich - an zufälliger Position - die Karte mit der Spielende-Flagge. In der Ereignis-Phase wird die oberste Karte aufgedeckt und ausgeführt. So gibt es dann zusätzliches Futter für bestimmte Ämter, es darf mehr oder weniger Futter als gewöhnlich eingesetzt werden oder aber politische Ziele dürfen in dieser Runde nicht bzw. nur mit Extra-Zahlung umgesetzt werden. Wird die Spielende-Karte aufgedeckt, endet das Spiel nach dieser Runde.
(6) Misstrauensvotum (theoretisch jede Runde, jedoch mit Einschränkungen): Sollte die Regierung durch ausgespielte Aktionskarten keine Mehrheit mehr besitzen, darf der Oppositionsführer einen neuen Koalitionsvorschlag machen. Wird dieser angenommen, wechseln die Ämter entsprechend. Ansonsten passiert nichts.
(7) Fortschritt (jede Runde): Jede Regierungspartei zieht eine neue Aktionskarte, jede Oppositionspartei gleich zwei Karten. Das für diese Runde festgelegte politische Ziel wird von der vorgeschlagenen Partei umgesetzt, sofern dies nicht durch ein Ereignis blockiert wird. Dann wird der Rundenmarker vorgezogen.
Spielende: Das Spiel endet, wenn die Spielende-Karte aufgedeckt wird (spätestens nach Runde 8, frühestens nach Runde 5). Wer die meisten politischen Ziele umsetzen konnte, gewinnt. Das Spiel endet vorzeitig, wenn es einem Spieler gelingt, das letzte Feld der Zielleiste zu erreichen - dann gewinnt dieser Spieler. Bei einem Gleichstand entscheidet die Parteikasse der Beteiligten über den Sieg.
Varianten für besonders verhandlungsstarke Gruppen:
- Der Regierungschef bestimmt, wer ein politisches Ziel umsetzen darf. Er muss sich nicht an die Versprechen des Koalitionsvertrages halten.
- Die Möglichkeit eines Misstrauensvotum ist auch dann erlaubt, wenn die bestehende Regierung noch eine Mehrheit besitzt.
Im Spiel zu zweit entfallen die Koalitionsverhandlungen. Die Ämter gehen also immer an die Partie mit mehr Stimmen im Parlament.
GALERIE
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CHECKPOINT
PRO
- Thema "Wahl" auf eine einfache, dennoch taktische Weise umgesetzt
- spannende Verhandlungen
- ideal für Gruppen ab mindestens 4 Spielern
- schöne Karten-Illustrationen
CONTRA
- zu zweit weit weniger Potenzial
- viele Glückselemente sorgen ab und zu für chaotische Verläufe, die nicht planbar sind
- kleine Regelschwächen
MEINUNG
Noch nie wurde eine Bundestagswahl wohl medial so umfassend aufbereitet wie im Jahr 2021. Und egal, wie sie letztlich ausgegangen ist: Sie zeigte uns die diversen Facetten einer Demokratie, inklusive hartem Wahlkampf. Dabei ist das amtliche Endergebnis keinesfalls mehr ein Garant für die endgültige Wahl des Bundeskanzlers, zu groß ist die Parteienlandschaft geworden, die Aufteilung der Stimmen zu verstreut. Gibt es keine große Koalition, sind nun meistens mindestens drei Parteien zur Regierungsbildung nötig.
Zoocracy überträgt unser Wahlsystem abstrahiert auf eine unverfängliche Tierwelt. Während das übrige Spielmaterial eher zweckmäßig erscheint, sind die Illustrationen der tierischen Politiker und Wähler durch „The Mico“, trotz grimmigem Blick auf dem Cover, geradezu herzig, aber Zoocracy ist kein Kinderspiel, wenn es vielleicht auf den ersten Blick auch so den Anschein haben könnte.
Die Regeln des Spiels befinden sich auf gehobenem Familienspiel- bzw. Kennerspiel-Niveau. Letztlich geht es darum, Punkte zu generieren, auch wenn man es hier „politische Ziele“ nennt. Die sind thematisch - wie so oft auch in der Realität - nicht mit Inhalt gefüllt, sondern stellen einfach Schritte auf der Fortschrittsleiste dar. Zoocracy ist also eine Art Wettrennen.
Wie man im Spiel an die für eine Regierungsbildung nötigen Sitze im Parlament gelangt, ist vom Mechanismus altbekannt: Klassisches Area Control trifft hier auf eine offene Bietmechanik, wobei der Einsetzmechanismus der eigenen Marker, genau wie das verdeckte Bieten auf die Präsidentenrolle, schon auch taktisch geprägt ist. Bei der Auswertung der Stimmen muss dann immer etwas administriert, ja, auch gerechnet werden. Aber diese kleine Fleißarbeit zwischendurch wird dann belohnt mit der Verhandlungsphase. Die ist wohl das wahre Herzstück des Spiels, zumindest, wenn sie richtig ausgelebt wird. Zoocracy ist in jedem Fall gruppenabhängig. Richtig Spaß macht es, wenn sich die Spieler auf ihre Rollen einlassen und um jedes Amt kämpfen.
Nun haben wir es gerade in den letzten Monaten immer wieder erlebt, dass sich Politik äußeren Begebenheiten anpassen muss. Das ist auch im Spiel der Fall. Ereignisse kommen zufällig, Aktionskarten verändern Situationen, es gibt nie eine wirkliche Planungssicherheit. Das ist natürlich so gewollt und verhindert auch, dass ein Spieler, der viel Futter durch viele Sitze im Parlament ansammelt, uneinholbar nach vorn schießt. Dennoch: Wer lieber rein strategisch spielt, ist hier sicher falsch. Das Spiel lebt von seinen Überraschungs- und Ärger-Momenten.
Die Regeln sind dabei überschaubar, wenngleich nicht an allen Stellen immer sofort einleuchtend. Insbesondere die Regel, die besagt, dass jeder bei der Präsidentenwahl die Hälfte des gebotenen Futters abgibt, stellt einen vor die Frage, warum man dann vorher überhaupt das Doppelte bietet? Das macht natürlich so keinen Sinn. Die Hausregel, dass die Partei, die den Präsidenten stellt, den vollen Betrag zahlen muss, während alle anderen nur die Hälfte berappen, ist da deutlich sinniger. Andere kleine Regelunsicherheiten werden dann aber meist im Spiel gelöst.
Ein großer Schwachpunkt des Spiels ist die Angabe der Spieleranzahl. Das Spiel suggeriert, mit 2 Spielern ebenso gut zu funktionieren, wie mit 6 Spielern. Das ist nach unseren Erfahrungen aber keinesfalls so. Die 3-Spieler-Grenze ist das absolute Minimum und auch schon fast grenzwertig. Richtig Spaß kommt auf, je mehr Parteien am Spiel beteiligt sind. Ab 4 Spielern, noch besser mit 5 oder 6 Spielern, wird das Gerangel um die Stimmen zunehmend spannender und auch die Koalitionsverhandlungen entwickeln dann erst ihr volles Potenzial.
Zoocracy bietet rein spielerisch jetzt keine Mega-Innovation, wird aber auch mehr getragen von der Kommunikation der Spieler. Wer so etwas mag, Junta als zu anarchisch und Die Macher als viel zu komplex empfindet, der wird hier mit einem schon familiengerechten Ansatz zum Thema "Politik und Wahl" sicher seine Freude haben - allerdings eine entsprechende Spielerzahl und kein Groll auf Glücksfaktoren vorausgesetzt! Insgesamt vergebe ich 7 Kultpunkte - zu zweit würde ich abweichend höchstens 5 Punkte locker machen, da dann für mich einfach wesentliche tragende Elemente fehlen; in großer Besetzung und mit entsprechender Einstellung aller Spieler zum Spiel können das aber auch sehr gute 8 Punkte sein, wenn alle dem politischen Thema zugeneigt sind.
KULTFAKTOR: 7/10
Spielidee: 8/10
Ausstattung: 7/10
Spielablauf: 7/10
EUER REZENSENT
INGO
Vielspieler, Skifahrer, Italien-Fan, Medienheini
Eine Rezension vom 26.09.2021
Bildnachweis:
Coverfoto: Haas Games
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