REZENSION

MERW

  • Genre: Strategiespiel
  • Jahr: 2021
  • Verlag: Osprey Games / deutsche Version: Giant Roc
  • Autor: Fabio Lopiano
  • Grafik: Ian O'Toole
  • Spieler: 1 bis 4
  • Alter: ab 14 Jahren
  • Dauer: ca. 90 Min.
  • Schwierigkeitsgrad: mittel 
  • Taktiklevel: 8/10

Tausche Seide gegen Kamele

Merw, die Stadt im heutigen Turkmenistan, war früher ein Zentrum von Wissenschaft und Handel. Im 12. Jahrhundert versucht ihr, Einfluss und Macht zu gewinnen, indem ihr u.a. Gebäude errichtet, Schriftrollen sammelt und der Moschee huldigt. Aber Vorsicht! Die Mongolen warten nur darauf, die Stadt zu übernehmen. Um ihre Überfälle abzuwehren, benötigt ihr eine schützende Stadtmauer, Soldaten - oder einfach Ressourcen für die Bestechung.

REGELN

Bereitet den Spielplan vor, indem ihr die Gebäudeplättchen zufällig auf den Stadt-Feldern verteilt und sonstige Tokens auf die entsprechenden Plätze legt. Mischt die Karawanen-Karten und deckt 8 davon aus, belegt einige Karten mit Kamelen (die Karten, die am weitesten vom Stapel entfernt sind, abhängig von der Spielerzahl). Sortiert die Auftragskarten nach Sorten und legt sie ebenfalls neben den Spielplan. Zudem erhält jeder Spieler das Spielmaterial seiner Farbe (Häuser, Figuren sowie Scheiben für die verschiedenen Leisten).

Gespielt wird das Spiel über 3 Jahre (Durchgänge). Jede Runde ist unterteilt in 4 Runden, die von den vier Seiten der Stadt als Laufstrecke symbolisiert werden. Stellt eure Figuren auf die Startfelder im Nordwesten. Es beginnt der Spieler, der am weitesten vorn steht.

Jedes gespielte Jahr besteht aus verschiedenen Phasen:
(1) Aktionsphase (4x im Wechsel mit dem Rundenende)
Bist du an der Reihe, ziehe deine Figur auf einen freien Slot der aktuellen Laufstrecke rund um die Stadt (in Runde 1 im Norden, in Runde 2 im Osten, in Runde 3 im Süden und in Runde 4 im Westen). Suche dir innerhalb der gewählten Reihe / Spalte ein Gebäudeplättchen aus. Ist es ein unbelegtes Gebäudeplättchen, setze ein Gebäude deiner Farbe darauf. Du erhältst die Ressource des Plättchens und führst danach eine Aktion aus. In der mittleren Reihe / Spalte gibt es zudem den Kamelmarkt, der einem einen Bonus beschert.

Im späteren Verlauf können in so einem Spielzug alternativ auch bereits besetzte Gebäudeplättchen aktiviert werden. Zudem werden immer alle Gebäude der selben Farbe aktiviert, die in der gewählten Reihe / Spalte stehen. Das müssen nicht zwingend die eigenen Gebäude sein, du kannst auch ein Gebäude eines Gegners aktivieren, um von seinem Baufortschritt in dieser Reihe / Spalte zu profitieren. Aktivierst du ein gegnerisches Gebäude, erhält der Eigentümer Ressourcen für das gewählte Gebäude und eventuell verfügbare Upgrades, mit denen man im Spiel durch Joker oder größere Erträge mehr Handlungsfreiheit bei der Ressourcenwahl bekommt.

Grundsätzlich stehen nun immer drei Aktionen zur Auswahl, von denen du eine wählst:
- Die Aktion des aktivierten Gebäudeplättchens
- 1 Schritt auf der Gunstleiste nach vorn ziehen und ggf. Punkte erhalten
- 1 Soldat auf ein bebautes Gebäudeplättchen (ohne Upgrade) stellen: Dafür erhältst du 1 Einfluss bei einem eigenen Gebäude oder 2 Einfluss bei einem Gebäude eines Mitspielers.

Die Aktionen der Plättchen beziehen sich auf die verschiedenen Orte des Spielplans:

  • Karawanserei: Gib gleichfarbige Ressourcen (oder weiße Joker) ab, um entsprechend viele (Gewürz-)Karten zu erhalten. Du hast immer nur Zugang zu den Karten mit Kamel bzw. auf die erste Karte danach. Möchtest du Zugang zu anderen Karten haben, musst du die Karten davor mit Kamelen belegen. Für jedes Paar aus gesammelten Karten mit gleichem Gewürz gibt es einen Bonus. Zudem bringen die Karten am Spielende Punkte.
  • Palast: Platziere einen Höfling in einem der Palast-Räume, um damit am Rundenende Punkte zu machen. Der erste eingesetzte Höfling kostet 1x die angegebene Ressource, der zweite 2x die Ressource usw.
  • Schriftrollen: Für Schriftrollen muss du verschiedenfarbige (oder weiße) Ressourcen zahlen. Für jede Ressource erhältst du eine Schriftrolle. Hast du eine bestimmte Anzahl gesammelt (2 / 4 / 6/ 8), suche dir einen Bonus aus, den deine Mitspielerinnen und Mitspieler dann nicht mehr erhalten können. Das sind Sofortboni (Punkte, Gunst, Einfluss etc.) oder auch dauerhafte Vorteile (Ersparnis oder Joker-Farben beim Bezahlen).
  • Markt: Reise in andere Städte, um dort Güter zu kaufen. Du musst zunächst die Reisekosten (Kamele) bezahlen und dann in der Zielstadt einen Handelsposten errichten. Nun hast du die Möglichkeit, von allen an dein Handelsnetzwerk angeschlossenen Städten Güter zu kaufen (zahle mit den angegebenen Ressourcen). Du kannst auch Güter aus Städten kaufen, in denen du noch keinen Handelsposten besitzt. Dafür werden aber zusätzliche Kamele fällig.
  • Moschee: Zahle die angegebenen Ressourcen, um einen Schritt auf der Moschee-Leiste zu machen und den Bonus zu erhalten (Kamele, Soldaten, Gunst, Upgrades, Punkte ...). Du kannst so viele Schritte machen und Boni sammeln, wie du dir mit deinen Ressourcen erlauben kannst.
  • Stadtmauer: Zahle die angegebenen Ressourcen, um ein Teil der Stadtmauer zu errichten. Stelle das Mauerteil auf einen freien Platz an der Seite einer Reihe / Spalte und erhalte 1 Einfluss (für jedes eigene) oder 2 Einfluss (für jedes fremde Gebäude auf den ersten zwei Feldern, angrenzend zur neu gesetzten Mauer). Auf der Einflussleiste erhältst du diverse Boni und zum Schluss hin auch Punkte.


Jederzeit können ausliegende Aufträge erfüllt werden, wenn die Voraussetzungen dafür vorhanden sind.

(2) Rundenende (4x nach der Aktionsphase)
Hat jeder seine Figur bewegt und die Aktion ausgeführt, endet die Runde. Nun geht es weiter zur nächsten Seite der Stadt (in Runde 2 also in den Osten etc.). Die Figuren reihen sich auf den Startfeldern des nächsten Abschnitts ein - die am weitesten hinten stehende Figur belegt den letzten Platz der neuen Spielerreihenfolge, die anderen folgen entsprechend. Allerdings hast du die Möglichkeit, wenn du deine Figur - in dieser Reihenfolge - auf das neue Startfeld bewegst, einen Platz weiter vorn zu erkaufen. Belege dazu jedes übersprungene Startfeld mit einem Kamel aus deinem Vorrat. Belegt dann jemand anderes ein Feld mit einem Kamel, erhält er dieses.

(3) Invasion (nur am Ende von Jahr 2 und Jahr 3): Die Mongolen fallen nun von allen Seiten in die Stadt ein und attackieren jeweils die ersten beiden Gebäude jeder Reihe und Spalte. Ist ein Gebäude ungeschützt, verliert der Besitzer dieses. Ein Gebäude gilt hingegen als geschützt, wenn es von einem Soldaten bewacht oder in beide Richtungen mit einer Stadtmauer abgeschirmt wird. Alternativ kann auch eine Ressource in Plättchenfarbe bezahlt werden, um den Angriff abzuwehren.

(4) Wertung
Am Ende der Runde gibt es Punkte: 

  • Für jeden im Palast eingesetzten Höfling musst du einen Gunst-Punkt ausgeben, um die gewählte Wertung auszulösen (Punkte für Schriftrollen, Karawanen-Karten, Güter, Fortschritt auf der Moschee-Leiste). Befinden sich mehrere eigene Höflinge im selben Raum, erhöhen sich die Punkte dementsprechend.
  • 1 Punkt für jedes eigene Gebäude in der Stadt
  • Zusatzpunkte für gesammelte Wertungsplättchen
  • Zusatzpunkte für jedes Moschee-Gebäude, wenn du das letzte Feld auf der Moschee-Leiste erreicht hast.


Auf diese Weise werden nun 3 Jahre (Durchgänge) gespielt. Dann folgt die Schlusswertung, in der es noch einmal Punkte für gesammelte Karawanen-Karten gibt. Dazu werden Sets aus unterschiedlichen Karten gebildet und pro Set (je nach Anzahl der Karten im Set) 1 bis 10 Punkte vergeben.

Wer nun insgesamt die meisten Punkte erlangen konnte, gewinnt.

Das Spiel bietet auch einen Solo-Modus.

GALERIE

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CHECKPOINT

PRO

  • interessante Aktionsauswahl
  • vielfältige Möglichkeiten, um an Boni und Punkte zu kommen
  • interaktive Elemente zwischen den Spielern
  • sehr schöne Gestaltung


CONTRA

  • Moschee-Leiste wirkt recht stark
  • mitunter höhere Downtime

MEINUNG

Manchmal sind die Umstände, durch die man auf ein Spiel aufmerksam wird, nicht die, die man vielleicht vermuten mag. So waren es weder das Thema noch das Spielprinzip, die mich auf Merw neugierig gemacht haben, sondern der Illustrator ... Als Fan von Ian O‘Toole-Grafiken geriet dann auch Merw auf meinen Radar, es folgte ein Blindkauf. Und in der Tat sieht das Spiel echt hübsch aus, hat hochwertiges Material, ja, es erinnert optisch dadurch gar an bekannte Lacerda-Spiele wie Lisboa.

Optische Blender braucht hingegen kein Mensch. Glücklicherweise ist Merw aber kein Blender, sondern ein schönes strategisches Spiel mit verschiedenen Elementen wie Ressourcen-Management, Set-Collecting und auch Engine-Buildung. Ein Spiel für Vielspieler, definitiv, wenngleich die Regeln doch recht schnell verinnerlicht sind.

Als “Herz der Seidenstraße“, wird die Stadt Merw bezeichnet, in der wir Gebäude errichten, Handel treiben, Aufträge erfüllen, Fortschrittsleisten empor steigen - einfach bekannte Eurogame-Kost zu uns nehmen. Die Idee, Kamele als Zahlungsmittel einzusetzen, die Zugreihenfolge damit ändern zu können, Zugang zu Karten und Orten zu erhalten, das ist alles in der Hinsicht tricky, als es ein Geben und Nehmen ist. Da, wo ich Kamele platziere, können andere Spieler sie für sich gewinnen.

Herzstück des Spiels ist jedoch die „Stadt“, genauer gesagt der daran geknüpfte Auswahlmechanismus der Aktionen. Zeile bzw. Spalte wählen, Plättchen aktivieren - in Besitz nehmen oder ein in Besitz genommenes erneut nutzen, egal, ob eigene oder fremde Gebäude. Je mehr gleichfarbige Häuser in einer Reihe stehen, umso höher der Ertrag. Da kann es sich auch lohnen, in der Zugreihenfolge nach vorn zu preschen, um eine fremde Gebäudefarbe zu aktivieren. Das mag den Besitzer vielleicht teilweise ärgern, da der Slot dann blockiert ist, aber er erhält ja zumindest einen Trost-Bonus. So ist immer Interaktion zwischen den Spielern vorhanden.

Rundenweise zeigen sich dann immer mehr die Erfolge, die man erzielt, wenn man hier geschickt plant. Kleine Anmerkung am Rande: In unseren Runden wurde oftmals der Kamelmarkt in der Mitte der Reihen und Spalten vergessen. Die Boni sollte man sich nicht entgehen lassen. Überhaupt lebt das Spiel davon, so viele Boni wie möglich einzuheimsen, denn alles ist gut verzahnt, und jeder Bonus hilft einem weiter, nach vorn zu gelangen.

Merw besitzt gleich mehrere Schauplätze. Ohne die Stadt kann man nicht gewinnen. Was man aber nebenher noch alles macht, liegt in der eigenen Hand. Ob man nun auf Karten-Sets spielt, auf Schriftrollen, auf Palast-Wertungen, auf Handelsposten - da kann man vieles ausprobieren. Wer überall ein bisschen mitmischt, wird gut durchs Spiel kommen. Auffällig stark wirkte auf uns die Moschee-Leiste. Wer die komplett vernachlässigte, war in unseren Partien jedenfalls kein Siegeskandidat. Wer hier schnell nach oben stieg, schien immer einen Vorteil zu haben. Das wird man spätestens ab der zweiten Partie berücksichtigen. Aber: Es gibt definitiv verschiedene Wege zum Sieg, das freut das Strategen-Herz.

Recht ungewöhnlich für ein solches Spiel ist der Gefahren-Aspekt, der nach Runde 2 und Runde 3 lauert. Durch die virtuellen Mongolen können da Besitztümer wieder zunichte gemacht werden. Schutz ist also wichtig, manchmal auch dann, wenn ich dadurch Gegner schütze, denn ich bekomme dadurch Einfluss und wieder wichtige Punkte. Teilweise ist man aber auch bereit, einfach auf die Forderung der Mongolen einzugehen und Schutzgeld in Form von Ressourcen zu bezahlen - oder man opfert sogar ein Gebäude, weil es keine gute Aktion mehr für die eigene Spielplanung liefert und zudem im Nachhinein auf einem strategisch ungünstigen Platz der City errichtet wurde.

Merw ist ein Spiel, das in der Tat meinen Geschmacksnerv trifft: Taktische Auswählen der Aktionen, vorausschauendes Planen, Umgang mit Ressourcen und Bonus-Kombos machen das Spiel für mich sehr attraktiv, die Optik unterstützt das schöne Spielgefühl, wenngleich man auch viel Bekanntes präsentiert bekommt. Die ideale Spielerzahl liegt in meinen Augen bei 3 Spielern. Bei 2 Spielern muss ein Dummy-Spieler herhalten, mit 4 Spielern können die Wartezeiten länger sein, denn das Spiel lädt bei der Spielzug-Optimierung auch mal zum Grübeln und Durchrechnen von Aktionsmöglichkeiten ein, insbesondere zum Ende hin.

Lassen wir diesen Kritikpunkt mal weg, dann bietet Merw mir jedoch sehr gute Unterhaltung - ja, wüsste ich nicht, dass es von Fabio Lopiano stammt, würde ich vielleicht gar einen Lacerda-Titel vermuten. Insgesamt vergebe ich sehr gute 8 Kultpunkte. 

KULTFAKTOR: 8/10

Spielidee: 8/10
Ausstattung: 9/10
Spielablauf: 8/10

EUER REZENSENT

INGO

Vielspieler, Skifahrer, Italien-Fan, Medienheini

Eine Rezension vom 14.01.2022

Bildnachweis:
Coverfoto: Osprey Games / Giant Roc
Weitere Fotos: Spielkultisten