REZENSION
LISBOA
- Genre: Strategiespiel
- Jahr: 2017
- Verlag: Eagle Gryphon / Skellig Games
- Autor: Vital Lacerda
- Grafik: Ian O'Toole
- Spieler: 1 bis 4
- Alter: ab 12 Jahren
- Dauer: ca. 120 Min.
- Schwierigkeitsgrad: schwer
- Taktiklevel: 9/10
Der Wiederaufbau Lissabons
Es ist der 01.11.1755, Allerheiligen. Aus dem Nichts wird Lissabon von einem Erdbeben der Stärke 8,5 bis 9,0 erschüttert. Und da ein Unglück bekanntlich nicht allein kommt, trifft die Stadt auch noch ein verheerender Tsunami. Der dreitägige Stadtbrand erledigt dann den Rest. Lissabon wird innerhalb von diesen drei Tagen dem Erdboden gleich gemacht. Hier beginnt unsere Geschichte. Als einflussreiche Adlige sind wir am strukturellen und wirtschaftlichen Wiederaufbau der Stadt beteiligt und versuchen am Ende am meisten von dem wichtigsten aller Luxusgüter überhaupt erhalten zu haben: Perücken!
REGELN
Lisboa wird über eine unbestimmte Anzahl von Runden in zwei Epochen gespielt. Jeder Spieler beginnt mit fünf Startkarten auf der Hand. Die Karten sind der zentrale Mechanismus des Spieles, und haben unterschiedliche Funktionen. Wenn man an der Reihe ist, spielt man eine Karte aus seiner Hand aus, um sie entweder an sein Spielertableau (Portfolio) zu legen oder in den Königshof zu spielen. Nach der Aktion zieht man immer auf fünf Karten auf.
I. Karte in das eigene Portfolio spielen:
Je nach Art der Karte wird diese entweder in den oberen (Adelskarten-) oder den unteren (Wirtschaftskarten-) Bereich des Portfolios gelegt. Adelskarten bringen dem Spieler einen sofortigen Bonus bzw. Malus, der ihm sofort zugesprochen wird. Zusätzlich bringen sie einen zukünftigen Bonus beim Erhalt von Einfluss (siehe „Schiffe bauen“, „Kirchenwertung“). Wirtschaftskarten dienen zunächst als Geldlieferanten. Beim Ausspielen erhält man Réis (die portugiesische Währung) im Wert des aktuellen Wirtschaftstandes aus der königlichen Schatzkammer, danach wird der Wirtschaftsmarker um ein Feld nach unten bewegt. Außerdem bringen die Wirtschaftskarten (ähnlich der Klerus-Plättchen) einen dauerhaften Bonus.
Achtung: Zu Beginn des Spieles hat jeder Spieler nur Platz für genau zwei Karten in seinem Portfolio. Der Spieler kann jederzeit eine dritte Karte spielen, muss dafür jedoch eine beliebige Karte entfernen. Dieses Limit erhöht sich um eins für jedes Set aus unterschiedlichen Trümmermarkern auf dem eigenen Spielertableau (siehe „Geschäfte bauen“und „öffentliche Gebäude errichten“).
Nach dem Spielen der Karte kann man nun entweder mit Adligen handeln oder Schiffe mit Waren beliefern.
(A) Mit Adligen handeln:
Wenn man mit Adligen handelt, kann man bis zu zwei Staatsaktionen ausführen, indem man dem Adligen Waren anbietet (jede der sechs Staatskationen kann pro Zug nur einmal durchgeführt werden).
- Manuel de Maia (Werkzeug oder Gold):
1. Bis zu zwei Beamte vom eigenen Spielertableau in unterschiedliche Amtsstuben einsetzen. Sollte in einer Amtsstube kein Platz mehr verfügbar sein, so wird ein Beamter des Spielers, der mit dem meisten Beamten in der entsprechenden Stube vertreten ist, in das Foyer verdrängt.
2. Einen beliebigen Bauplan eines Architekten auf sein Spielertableau legen. Man darf beliebig viele Baupläne besitzen.
- Marquis de Pombal (Bücher oder Gold):
1. Der Spieler darf das nächste Schiff vom Stapel bauen, indem er entsprechend des Lagerraum (1-4) unterschiedliche Waren abgibt. Das Schiff wird in den oberen Bereich des Portfolios gelegt (Kartenlimit beachten). Danach bekommt man Einfluss entsprechend seines Portfolios und etwaiger Boni. Der Wirtschaftsmarker wird zudem ein Feld nach unten gesetzt. Alternativ kann der Spieler auch ein bereits gebautes Schiff mit einem höherwertigerem ersetzen und erhält die Differenz der Kosten als Rabatt.
2. Der Spieler produziert Waren in allen seinen gebauten Geschäften und legt diese in sein Lager („Lagerlimit beachten“). Zudem reduziert sich der Wert jeder produzierten Warenart um genau einen Schritt.
- König Joseph I. (Tuch oder Gold)
1. Der Spieler kann den Kardinal um ein bis zwei Felder im Uhrzeigersinn bewegen und sich ein angrenzendes Klerus-Plättchen nehmen (Limit von vier beachten). Erreicht oder überschreitet der Kardinal das Symbol für den Kirchenschatz, wird der Wirtschaftsmarker ein Feld nach oben gesetzt. Erreicht er das Feld „kirchlicher Einfluss“ kommt es sofort zu einer Kirchenwertung. Alle Spieler können nun beliebig viele Klerus-Plättchen abwerfen und die darauf abgebildeten Perücken punkten. Sollten sie dies tun, erhalten sie auch Einfluss entsprechend ihres Portfolios.
2. Der Spieler kann sich eines der Gunstplättchen eines Adligen nehmen, welches er noch nicht besitzt.
(B) Waren verkaufen
Der Spieler kann beliebig viele Waren an beliebig viele Schiffe (auch an die der Mitspieler) verkaufen. Er erhält dafür Geld entsprechend des Marktwertes der entsprechenden Waren. Sollte während dieser Phase die maximalen Ladekapazität eines Schiffes erreicht worden sein, so bekommt dessen Eigentümer eine Perücke pro Ware. Die Warenplättchen werden umgedreht, und zu Beginn des nächsten Zuges des Schiffbesitzers entfernt.
II. Eine Karte in den Königshof spielen
(C) Einen Adligen besuchen
Spielt man eine Adelskarte in den Königshof, muss man zunächst so viel Einfluss ausgeben wie gegnerische Beamte in der Amtsstube des entsprechenden Adligen stehen. Für jeden Einfluss, den man nicht bezahlen kann, verliert man eine Perücke. Danach darf man eine der beiden Staatsaktionen und muss (!) die Hauptaktion des entsprechenden Adligen durchführen.
1. Ein Geschäft errichten (Manuel de Maia)
Der Spieler kann hier ein Geschäft im Stadtviertel errichten. Dazu wählt er sich einen freien Bauplatz in einer der vier Straßen (die mit den Farben der Waren korrespondieren) und legt das entsprechende Geschäft darauf. Dann nimmt er sich den auf dem Bauplatz abgedruckten Bonus und darf einen Trümmerwürfel aus der entsprechenden Reihe oder Spalte entfernen, und diesen auf sein Spielertableau legen. Sollte er so ein Set aus drei unterschiedlichen Würfeln gesammelt haben, so kann er den entsprechenden Trümmerset-Marker von seinem Tableau auf den Königshof legen (Portfolio-und Warenlimit werden um eins erhöht). Nun werden die Kosten für die Baumaßnahme bezahlt. Diese setzen sich aus der Summe der noch übrigen Trümmerwürfel (1 Real für blaue, 2 Réis für rote und 3 Réis für braune Würfel) sowie dem aktuellen Stand des Wirtschaftsmarker zusammen. Beim Ausgeben von Bargeld gilt generell: Der Spieler kann jederzeit fehlendes Geld kompensieren, wenn er auf der Einflussleiste bis zur nächsten Münze zurückgeht.
2. Ein öffentliches Gebäude eröffnen (Joseph I.)
Um ein öffentliches Gebäude zu errichten, benötigt der Spieler den farblich passenden Bauplan. Er nimmt sich das entsprechende Gebäude und legt es auf einen freien Bauplatz. Zudem legt er die darauf liegenden Trümmermarker auf sein Tableau (diese müssen nicht bezahlt werden). Außerdem muss er so viele Beamte aus den Amtsstuben bzw. der Plaza zurück auf sein Tableau stellen wie auf dem Bauplan angegeben (fehlende Beamte können mit Réis eingestellt werden). Zum Schluss der Aktion erhält der Spieler Perücken für die von ihm gebauten Geschäfte, wenn die Farbe der Straße mit denen des öffentlichen Gebäudes übereinstimmt. Spätere im Spielverlauf gebaute Geschäfte punkten rückwirkend.
3. Einen Erlass nehmen (Marquis de Pombal)
Der Spieler wählt einen offenen liegenden Erlass und legt ihn neben sein Spielertableau. Dann darf er (wenn verfügbar) einen seiner Trümmerset-Marker einsetzten, um einen zweiten Erlass zu nehmen. Die Erlasse bringen dem Spieler am Ende des Spieles zusätzliche Perücken ein.
Nachdem der aktive Spieler seine Aktion beendet hat, können die anderen Spieler in Spielerreihe folgen, indem sie das entsprechende Gunstplättchen des Adligen abgeben. Ein Spieler, der dem aktiven Spieler auf diese Weise folgt, darf allerdings nur eine der drei Aktionen ausführen.
(D) Ein Ereignis unterstützen
Spielt der Spieler eine Wirtschaftskarte in den Königshof, bezahlt er Réis entsprechend des aktuellen Standes des Wirtschaftsmarkers und führt die Aktion aus bzw. erhält die Belohnungen, die auf der Karte abgebildet ist.
Ende der ersten Epoche/ Ende des Spieles:
Sobald drei von vier Nachziehstapeln leer sind bzw. ein Spieler in seinem Zug zwei (erste Epoche) bzw. vier (zweite Epoche) Trümmersets vervollständigt hat, endet die aktuelle Epoche und es kommt zur Zwischen- bzw. Endwertung.
In der Zwischenwertung erhält jeder Spieler für jedes seiner vollständigen Trümmersets drei Perücken. Danach darf jeder Spieler beliebig viele Handkarten abwerfen (für jeden abgeworfenen Typ Adelskarte bekommt der Spieler den aufgedruckten Bonus), und ergänzt seine Hand mit den lila Politikarten. Die roten Politikarten in der Auslage werden mit den braunen ersetzt, außerdem werden die Schiffe ausgetauscht.
In der Schlusswertung bekommen die Spieler Perücken für ihre gebauten Schiffe, vollständige Trümmersets, für ihre gebauten Gebäude und erfüllten Baupläne (Mehrheitenwertung), erhaltenen Erlasse, übrige Gunstplättchen und Réis. Der Spieler mit den meisten Perücken ist der Sieger.
Das Spiel bietet auch einen Solospiel-Modus.
GALERIE
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CHECKPOINT
PRO
- komplexes und gut verzahntes Strategiespiel
- historische Spielstory
- hochwertige Komponenten
- Ian O‘Toole-Grafik
CONTRA
- heftiger Preis
MEINUNG
Sobald man ein Spiel von Vital Lacerda vor sich auf dem Tisch liegen hat, kann man sich einer Tatsache sicher sein: In etwa drei Stunden wird man sich, der Kopf raucht noch, erschöpft in seinem Stuhl zurückfallen lassen. Und genau so ist es auch bei dem 2017 erschienenen „Lisboa“, obwohl Lacerda von seinen Spielen augenzwinkernd behauptet, dass sie ganz einfach wären: „Spiele eine Karte aus deiner Hand aus, mache eine Aktion und ziehe eine Karte nach. Fertig!“ - Diese Aussage scheint nach einem Blick auf den Spielplan und das Regelheft natürlich erst mal absurd, trotzdem steckt ein kleiner Funken Wahrheit in dieser. Der Grundablauf von „Lisboa“ ist nämlich sehr gradlinig. Die Schwierigkeit und Komplexität des Spieles kommt durch seine wunderschöne Verzahnung der einzelnen Mechanismen zum Tragen. Im Mittelpunkt steht natürlich die Hauptmechanik der „Multi-Used-Cards“, also der Karten, die auf verschiedene Weise eingesetzt werden können.
Und hier stellt sich mir als Spieler die erste Herausforderung. Möchte ich mein Portfolio für dauerhafte Boni erweitern, kann dann aber nur die eher schwächeren Staatsaktionen ausführen (die ich dann auch noch teuer mit kostbaren Gütern bezahlen muss), oder spiele ich die Karte in den Königshof und kann neben der Staatsaktion noch die stärkere Adelsaktion ausführen? Und ständig bin ich in Armut an Ressourcen. Geld, Güter und Einfluss sind immer Mangelware und deren Balance erfordert ständige Aufmerksamkeit. Die Interaktion zwischen den Spielern ist subtil, aber auf jeden Fall vorhanden.
Das Folgen von Spielern (welches Lacerda aus „The Gallerist“ übernommen hat) und das Mitnutzen der gegnerischen Schiffe verhindern hinreichend eine solitäre Spielerfahrung. Da wir gerade von solitär sprechen. Das Spiel beinhaltet einen Solospielmodus, der meiner Ansicht nach gelungen ist, aber nicht perfekt ist. In meiner Rezension bewerte ich nur den Mehrspieler-Modus.
Das Material ist, wie von Eagle Gryphon Games gewohnt, üppig und qualitativ hochwertig. Wenn ich jetzt die Nadel im Heuhaufen suchen müsste, passen die in der Deluxe-Version erhaltenen Beamten-Meeple nicht perfekt in das Spielertableau. Aber das ist Meckern auf höchstem Niveau. Grafisch gibt es einige Kontroversen. Der pastellfarbene Blauton, der an die typischen portugiesischen Wandmalereien mit Azulejo-Fliesen angelegt ist, ist für den erfahrenden Brettspieler ungewöhnlich, hat mich persönlich aber vollkommen abgeholt. Zu Ian O’Toole muss ich hier nichts mehr großartig sagen, für mich ist er der beste Grafikdesigner dieser Zeit.
Auch an der Spielanleitung gibt es nichts auszuseten. Sie ist logisch aufgebaut, mit vielen Bildern und Beispielen. Die Spielerhilfen sind eine der besten, die ich je gesehen habe. Diese Opulenz lässt sich Eagle-Gryphon wie gewohnt teuer entlohnen. Über 150 Euro für ein Brettspiel sind eine ordentliche Ansage. Hier muss jeder einzelne für sich entscheiden, ob er diese Summe für sein Hobby investieren möchte, von daher geht auch dieser Aspekt nicht in meine Bewertung ein.
„Lisboa“ ist eine Liebeserklärung Lacerdas an seine Heimatstadt, und dies merkt man dem Spiel in jeder Pore an. Allein im historischen Hintergrund der Anleitung kann man sich verlieren, und ich empfehle jedem Erklärer diesen in seine Erklärung einfließen zu lassen. Für mich ist „Lisboa“ Lacerdas Meisterwerk, an dem sich alle seine Nachfolger messen lassen müssen. Deswegen vergebe ich hier ohne zu zögern zehn von zehn Perücken! Chapeau, Vital Lacerda, Chapeau (oder portugiesisch: Chapéu)!
KULTFAKTOR: 10/10
Spielidee: 10/10
Ausstattung: 10/10
Spielablauf: 10/10
TEAM-TREND
Die Kultfaktor-Wertungen weiterer Spielkultisten:
Ingo: 10/10
André: 8/10
Beate: 8/10
EUER REZENSENT
MATTHIAS
Traingames, you say? Hold my beer!
Eine Rezension vom 13.01.2021
Dieser Spieletest wurde unterstützt durch ein Presse-Exemplar.
Bildnachweis:
Coverfoto: Eagle Gryphon Games
Weitere Fotos: Spielkultisten