REZENSION

VENEDIG

  • Genre: Strategiespiel
  • Jahr: 2021
  • Verlag: Braincrack Games / Giant Roc
  • Autoren: Andrei Novac, Dávid Turczi
  • Grafik: Bartlomiej Roczniak
  • Spieler: 1 bis 5
  • Alter: ab 14 Jahren
  • Dauer: ca. 60 bis 90 Min.
  • Schwierigkeitsgrad: mittel
  • Taktiklevel: 7/10

Handel in der Lagunenstadt

Im Venedig des 16. Jahrhunderts werden wir zu Händlern, die sich mit Hilfe der Gondeln in den Kanälen Venedigs von Gebäude zu Gebäude bewegen. Dann geht es darum, Aufträge zu erfüllen, Einfluss zu gewinnen, aber auch politische Macht zu erlangen - und das nicht nur auf legalem Wege ...

ÜBERBLICK

Es gibt Regeln für eine Solo-Variante und Sonderregeln für zwei Spieler (inkl. 3. Spieler als KI). Ab drei Spielern kann das Spiel regulär gespielt werden.

Hinweis: Die folgende Beschreibung gibt einen groben Überblick über den Spielablauf. Regel-Details werden hier nicht beschrieben.


Die Spielplanseite darf frei gewählt werden. Die Farbunterschiede zeigen lediglich Tag und Nacht in Venedig. Liegt der Plan in der Tischmitte, wird er zufällig mit Gebäudeplättchen belegt. In Abhängigkeit der Spieleranzahl werden verschiedene weitere Materialien vorbereitet, u.a. auch der Spielende-Marker und die Vertragskarten. Jeder Spieler erhält ein eigenes Tableau, eigene Figuren, einen eigenen Gondoliere, zwei Gondeln, Brücken, Markierungsmarker und zwei Vertragskarten. Die Markierungsmarker werden auf die verschiedenen Leisten des Spielplans und des Tableaus gelegt. Die Rohstoffe (Keramik, Silber, Stoff) bleiben im offenen Vorrat liegen. Die Einflusskarten werden gemischt und als Stapel bereitgelegt. Das Startgeld ist an die Position des Spielers angepasst. Der Startspieler nimmt sich den Startspielermarker und den Marker der "ersten Bewegung". Jeder Spieler nimmt sich noch eine Gunstkarte, dann kann die Runde beginnen.


Jeder Spieler setzt nacheinander jeweils eine Gondel und einen Gehilfen. In rückläufiger Reihenfolge wird dann die zweite Gondel ebenfalls platziert. Für den platzierten Gehilfen wird einmalig der Effekt des Gebäudes sofort ausgelöst.


Das eigentliche Spiel verläuft dann reihum. 

Ablauf eines Spielerzuges:

  1. Einflusskarte ausspielen (kann man im Spielverlauf erwerben).
  2. Der Gondoliere muss auf die freie eigene Gondel versetzt werden (Bei Zahlung von 3 Geld kann dies unterbleiben).
  3. Bewegungsplanung: Jede Bewegung kostet Geld oder den Bewegungsmarker. Die Bewegung durch die Kanäle wird Feld für Feld auf dem Spielplan mittels des zu bezahlenden Geldes angezeigt.
  4. Bewegung abhandeln. Dabei gibt es Unterschiede: 
  • Bewegung am Gebäude vorbei ohne Gehilfe: Es passiert nichts.
  • Bewegung am Gebäude vorbei mit Gehilfe: Der Spieler kann den Effekt des Gebäudes nutzen.
  • Bewegung an gegnerischer Gondel vorbei: Beide Spieler verlieren eine Schriftrolle oder erhalten eine Intrige je gegnerischer Gondel.
  • Bewegung an eigener Gondel vorbei: Rohstoffe dürfen zwischen den Gondeln getauscht werden.
  • Bewegung unter einer gegnerischen Brücke hindurch: Es gibt keine Kosten vom Spielplan. Der Spieler erhält eine Intrige.
  • Bewegung unter einer eigenen Brücke hindurch: Es gibt keine Kosten vom Spielplan. Der Spieler erhält eine Münze aus dem Vorrat.


Wird die Bewegung an einem Gebäude beendet, gibt es eine Abfolge von Aktionen: 

  • Optional: Vertrag erfüllen (Abgeben der passenden Rohstoffe der jeweiligen Vertragskarte)
  • Siegpunkte und Geld erhalten
  • Die abgehandelte Vertragskarte wird unter das eigene Spielertableau gelegt. Der Dauereffekt kann nun je nach Bedingungen immer wieder genutzt werden (Max. 3 Dauereffekte sind erlaubt).
  • Optional: Setzen eines Gehilfen oder Vorrücken eines Gehilfen (auf die Felder des Gebäudes). Dadurch verändern sich die Sondereffekte des Gebäudes. Je Spieler kann immer nur ein Gehilfe dort platziert werden. Rückt ein Gehilfe auf ein bereits besetztes Feld, wird dieser Gehilfe um ein Feld weitergeschoben usw.
  • Der Effekt des Gebäudes wird ausgelöst für den Spieler, so er einen Gehilfen dort besitzt. Es gibt kommunale Gebäude mit Sonderregeln.


5. Aufräumen: Bezahlte Münzen werden vom Spielplan entfernt, der Bewegungsmarker weitergegeben.


Das Spiel endet durch zwei Möglichkeiten:

  • Die letzte Vertragskarte wird gezogen. 
  • Ein Spieler erreicht die Spielende-Markierung auf der Hauptratsleiste auf dem Spielplan.


Der Spielende-Marker wird auf die Markierung des Spielplans gesetzt. Nun wird die laufende Runde noch beendet plus zwei weitere Runden.

Dann folgt die Wertung

  • Für die Platzierung auf der Hauptratsleiste gibt es Punkte unter Beachtung der eingesetzten Gehilfen. 
  • Die Intrigenleiste des eigenen Tableaus muss kontrolliert werden. Bei Bedarf können hier jetzt noch Verbesserungen erreicht werden: 2 Schriftrollen oder 4 Geld verringern die Intrige um 1. Der Spieler mit der meisten Intrige > 0 scheidet aus und wird nicht gewertet! 
  • Übrige Münzen können 4:1 in Punkte getauscht werden.
  • Gunstkarten bringen ebenfalls Siegpunkte.


Wer jetzt die meisten Siegpunkte erworben hat, gewinnt.

GALERIE

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CHECKPOINT

PRO

  • schönes Spielmaterial
  • viel Planung möglich


CONTRA

  • Schwächen in der funktionellen Umsetzung
  • mit Strategen am Tisch sehr hohe Downtime 

MEINUNG

Das erste, was beim Öffnen der Schachtel auffällt, ist das Material. Brücken (sogar bedruckt), detaillierte Gondeln, Gondoliere, Gehilfen. Es macht Lust aufs Spiel, vor allem, wenn man Venedig kennt und von der Stadt fasziniert ist. 

Der doppelseitige Spielplan beinhaltet eine Tag- und eine Nachtseite. Eher ein Gimmick, da sich das Spiel daraufhin nicht ändert. Das Spiel benötigt einigen Platz zum Aufbau. Optisch schick und ansprechend - bis zu den Gebäudekärtchen. Hier dann ein erster Kritikpunkt: Stehen alle Gehilfen auf dem Gebäude, kann man die Symbolik nur noch sehen, wenn die Figuren kurz angehoben werden. Dabei fallen schnell Figuren um, auch so ist das unpraktisch. Insgesamt eines der Probleme im Spiel: Grobmotoriker verlieren den Reiz am Spiel unterwegs. Das ist schade und fällt in etlichen Testgruppen negativ auf. 

Als weitere Hürde gilt es vorab die Anleitung zu überwinden. Ihre Gliederung ist stellenweise verwirrend. Es muss hin und her geblättert werden. Einmal verstanden, gelingt der Einstieg dann deutlich schneller und das Durchspielen der fünf Phasen erfolgt gut nachvollziehbar. Die verwendete Symbolik kann allerdings noch Fragen hinterlassen, zumal auf einer Karte auch Unterschiede zwischen Anleitung und Plättchen bestehen. 

Ein Spielerzug umfasst das mögliche Ausspielen einer Einflusskarte, das Versetzen des Gondolieres, die Planung der Reiseroute mittels der zu bezahlenden Goldstücke, die Durchführung der Fahrt inkl. der Auftragserfüllung usw. und das Aufräumen des genutzten Materials. Auch hier gilt: überschaubare Regeln. ABER: Das Spiel neigt dazu, Spielern viel Raum zum Nachdenken zu geben. Tatsächliche Zugplanung ist erst im Augenblick des eigenen Zuges möglich, sodass durch mögliche Kettenzüge zum Teil wirklich (wirklich!) lange Denkzeiten (bei uns nachgemessen bis zu 15 Minuten) entstehen. Natürlich will niemand den Sieg verschenken, und das Spiel ist auch nicht dafür gedacht, planlos gespielt zu werden. Die Zeitangabe von 20 Minuten pro Spieler ist nach unseren Erfahrungen leider deutlich untertrieben, wenn typische Grübler am Spiel teilnehmen. 

Zudem sind die Intrigen gleichermaßen Freud und Leid, da der Spieler mit den meisten Intrigen einfach nicht mehr gewinnen kann. An der Stelle kommt die Frage nach der tatsächlichen Zielgruppe. Eigentlich will das Spiel Planung. Man kann es auch aus dem Bauch heraus spielen, aber das befriedigt Taktiker und Strategen nicht. Venedig ist damit kein Familienspiel, da derlei Denkpausen zwar dem aktiven Spieler Spaß machen, den Wartenden aber nicht. Spiellängen von über 2,5 Stunden sind dabei für 14-jährige Mitspieler nur begrenzt ertragbar. Hier wäre eine Einstiegsvariante ohne Intrigen besser gewesen. 

Auch die Solo-Variante hat so ihre Schwächen: Eine Runde dauert 60 bis 90 Minuten … der virtuelle Gegenspieler bekommt automatisch Punkte, die sich der Spieler selbst hart erarbeiten muss. Die anberaumte Rundenzeit reicht nicht aus, um aus dem Aufbau zu lukrativen Kettenzügen kommen. Dadurch wirkt die KI als sehr stark. Im Solospiel geht ein Drittel der Spielzeit nur dafür drauf, die Züge des Gegenspielers auszuführen. Glück spielt mit, da die Karten für die KI gemischt und gezogen werden. Das Solospiel wirkt, als wurde es nachträglich hinzugefügt. 

Und nun liegt mit "Venedig" also ein Handels- und Optimierungsspiel vor mir, das trotz interessanter Mechanik und optisch schickem Material die Spieler nicht so recht zu überzeugen weiß. Das ist echt schade. Am ehesten würde ich es dann zu dritt oder mit Spielern empfehlen, die jeden Zug nicht bis zum Äußersten durchdenken.

KULTFAKTOR: 6/10

Spielidee: 7/10
Ausstattung: 7/10
Spielablauf: 6/10

EURE REZENSENTIN

GABI

Immer-und-Überall-Spielerin, Spieleberaterin, Krankenschwester

Eine Rezension vom 08.10.2021

Dieser Spieletest wurde unterstützt durch ein Rezensionsexemplar.

Bildnachweis:
Coverfoto: Braincrack Games / Giant Roc
Weitere Fotos: Spielkultisten