REZENSION

STROGANOV

  • Genre: Strategiespiel
  • Jahr: 2021
  • Verlag: Game Brewer
  • Autor: Andreas Steding
  • Grafik: Maciej Janik
  • Spieler: 1 bis 4
  • Alter: ab 12 Jahren
  • Dauer: ca. 90 Min.
  • Schwierigkeitsgrad: schwer
  • Taktiklevel: 7/10

Ohne Eisenbahn nach Sibirien

Während ich den Namen Stroganov nur vom Essen her kannte, weiß meine kluge Leserschaft natürlich, dass es sich um ein russisches Adelsgeschlecht des 16. Jahrhunderts handelt, welches dafür bekannt ist, Sibirien erschlossen zu haben. Als Mitglieder der Stroganov-Familie schicken wir unsere Kosaken los, Pelze zu sammeln, Außenposten zu errichten und uns Jagdrechte zu sichern. 

Vorab: Zurzeit (Stand: September 2022) befindet sich die Ukraine weiterhin im Krieg mit Russland, da Russland im Februar 2022 einen Angriff auf die Ukraine gestartet hat. Einen Kommentar zu diesem Thema im Hinblick auf das Thema dieses Spiels findet ihr im Meinungsteil!

Zur Besprechung des im Herbst 2021 erschienenen Spiels lag mir die englische Version vor, aber eine deutsche Version ist bei Game Brewer ebenfalls verfügbar.

REGELN 

Bevor es an die Ausbreitung unseres Einflusses auf Sibirien geht, muss dieses erst einmal zusammengepuzzelt werden. Auf dem zentralem Brett finden sich mehrere Landschaftsplättchen, die sich in einer langen Reihe über verschiedene Regionen erstrecken. Die Landschaftsplättchen werden mit Fellen belegt, die Werte zwischen 1 und 8 haben. Das östlichste Plättchen bekommt zusätzlich noch ein Tigerfell. Jede Region bekommt außerdem ein Dorfplättchen, ein Jurtenplättchen und einen Zarenwunsch (Auftragskarte). Jeder Region wurde außerdem eine Fellart zugeordnet. Im Markt finden sich noch 8 zufällige Felle.

Alle Stroganovs stellen ihre Kosaken-Figuren auf das Startteil, welches sich vor dem westlichsten Landschaftsplättchen befindet. Die Reihenfolge der Kosaken ist dabei auch die Spielerreihenfolge.

Es werden noch Liederplättchen (eins pro Stroganov) ausgelegt, und jeder setzt seinen Zählstein auf die Geschichtenleiste.

Jeder Stroganov hat ein eigenes Tableau, auf dem sich die Trophäenleiste samt Zählstein befindet. Und weil dort noch viel Platz ist, lohnt es sich auch, dort die Start-Rohstoffe in Form von ein paar Pferden, einem Außenposten, einer Münze, einem Fell und einem Zarenwunsch zu lagern.

Jetzt kann es auch schon losgehen. Es werden 4 Jahre à 4 Jahreszeiten gespielt. In Frühling, Sommer und Herbst werden Aktionen ausgeführt, und im Winter gibt es eine Zwischenwertung sowie Belohnungen, und alles wird wieder aufgefüllt.

Frühling, Sommer und Herbst laufen alle nach dem selben Schema ab. Jeder Stroganov macht einen Zug. Die Reihenfolge wird durch die Kosaken festgelegt. Es wird von Osten nach Westen abgehandelt. Wer an der Reihe ist, durchläuft 3 Schritte.

Im ersten Schritt muss der Spieler sich nach Osten bewegen. Ein oder zwei Bewegungen können dies sein, aber durch Abgabe von 1, 3 oder 6 Pferden können auch 3, 4 oder 5 Bewegungen gemacht werden.

Im zweiten Schritt macht der Spieler eine Standardaktion. Markiert sind diese durch silberne Ringe. Die Standardaktionen erlauben es, sich Pferde oder eine Münze zu nehmen, den Kosaken vor- oder zurückzubewegen und ein Fell in mehrere Belohnungen zu tauschen. Eine wichtige silberne Aktion ist die Jagd. Normalerweise nimmt sich dann der Spieler das Fell mit dem niedrigsten Wert von der Landschaft, auf der sein Kosake steht. Für Pferde dürfen dabei Felle übersprungen werden, und für eine Münze darf ein zweites Mal gejagt werden.

Im dritten Schritt gibt es für den Stroganov noch eine silberne oder goldene (fortgeschrittene) Aktion. Diese kann der Stroganov frei wählen.

Goldenen Aktionen erlauben es, in der Region des Kosaken oder einer Region mit Außenposten verschiedene Dinge zu tun. Es kann ein neuer Zarenwunsch auf die Hand genommen, eine Jurte besucht werden, wodurch es die Belohnung des Jurtenplättchens der Region gibt, danach wird das Plättchen entfernt; ein Dorf kann besucht und die entsprechende Belohnung kassiert werden. Für 2 Felle der Region kann ein Landschaftsplättchen gekauft werden. Dieses bringt eine sofortige Belohnung (Pferde, Münzen, Punkte) und am Ende des Spiels nochmal Punkte. Jedes Fell auf dem genommenen Landschaftsplättchen erhöht dabei dessen Kosten.

Eine goldene Aktion erlaubt es dem Kosaken auch, einen Außenposten in der Region zu errichten, wenn der Spieler dort noch keinen besitzt und einen Außenposten im eigenen Vorrat hat.

Manche Belohnungen zeigen eine Trophäe. Diese erlaubt es auf der Trophäenleiste voranzuschreiten, wenn das Fell, welches auf dem nächsten Feld zu sehen ist, abgegeben wird. Dann darf der Stroganov sich noch eine Belohnung nehmen, die der Zählstein auf der Trophäenleiste erreicht oder überschritten hat.

Nach der goldenen oder silbernen Aktion kann in Schritt 3 eine weitere Aktion gekauft werden. Eine silberne Aktion kostet ein beliebiges Fell, während eine goldene Aktion das Fell der entsprechenden Region kostet.

In seinem Zug darf ein Familienmitglied auch noch ein paar freie Aktionen ausführen. Es können auf verschiedene Arten Felle vom Markt gekauft oder Zarenwünsche erfüllt werden. Ein Zarenwunsch zeigt eine Anzahl von Fellen, die ein Stroganov besitzen muss, und eine Anzahl die abgeworfen werden muss, um den Wunsch des Zaren zu erfüllen. Ein erfüllter Zarenwunsch bringt sofort Punkte und meistens einen dauerhaften Vorteil oder Punkte am Spielende für bestimmte gesammelte Sachen im Spiel.

Nach Schritt 3 ist der nächste Spieler dran. Waren alle einmal an der Reihe, geht der Jahreszeiten-Stein einen Schritt voran. Erreicht er den Winter, gibt es eine kleine Wertungsphase. Zunächst erhält jeder Spieler sein Einkommen. Dies sind 2 Pferde plus 1 Pferd pro Banner im eigenen Besitz. Dann geben einige erfüllte Zarenwünsche auch Einkommen.

Jetzt bekommt der östlichste Kosake 2 Geschichtspunkte und der Zweit-Östlichste 1 Geschichtspunkt. Danach dürfen sich die Spieler, in Spielerreihenfolge, ein Liederplättchen für Geschichtspunkte kaufen. Die Geschichtspunkte werden abgegeben, das Lied entfernt und die darauf gezeigt Belohnung kassiert.

Dann gibt es noch haufenweise Verwaltung: Markt und Liederplättchen werden neu bestückt, Landschaftplättchen, Zarenwünsche und Jurten werden nach Westen geschoben, um Lücken in ihren Reihen zu schließen. Dann werden die Reihen mit neuen Zarenwünschen, Landschaften oder Jurten aufgefüllt. Ab dem zweiten Jahr kommen mehr Lieder, Jurten und Zarenwünsche ins Spiel, die sich mehr auf Punkte fokussieren.

Nach dem viertem Winter gibt es eine Endwertung, bei der einige erfüllte Zarenwünsche sowie Sets aus verschiedenen Landschaftsplättchen und Tigerplättchen Punkte bringen. Dann gibt es noch ein paar Trostpunkte für übrige Münzen, Pferde und Felle.

Wer dann die meisten Punkte hat, gewinnt.

GALERIE

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CHECKPOINT

PRO

  • schön anzusehen
  • anspruchsvoll
  • viel visuelle Unterstützung


CONTRA

  • Wartezeit
  • viele Möglichkeiten
  • keine individuelle Spielerübersicht

MEINUNG

Zunächst sollte ich das Offensichtliche ansprechen. In Stroganov spielen wir eine russische Adelsfamilie, die, mit Unterstützung des Zaren, Sibirien erschließt, was schließlich zur Ausweitung des Zarenreiches ostwärts führte. Unterstützt jetzt ein Spiel mit so einem Thema den aktuellen politischen Kurs Russlands? Sind die Handlungen der Stroganov gar eine russische Legitimierung der aufs Äußerste zu verurteilenden Eroberung ukrainischer Gebiete im Jahr 2022? Aus unserem Verständnis lautet die Antwort "Nein". Das heutige Russland ist ein anderes als das des 16. Jahrhunderts. Spätestens mit dem Ende des ersten Weltkrieges und der mit der russischen Revolution einhergehenden Ermordung der gesamten Zarenfamilie ist diese Regierung Russlands verschwunden. Auch waren das weltpolitische Klima, politische Ansprüche etc. damals anders, als sie es heute sind. Das Spiel betrachtet also diese Zeitepoche und erschien, bevor im Jahr 2022 der Krieg gegen die Ukraine begann. Ein Spiel mit einem historischem Thema ist für Verlage immer gewagt, und wenn wir ein solches Spiel besprechen, weisen wir auch immer auf die historische Einordnung hin. Ob sich letztlich dann doch Geschichte im Jahr 2022 wiederholt, möchte ich an dieser Stelle lieber der fachkundigen Einschätzung politischer Beobachter und Historiker überlassen. Entscheidet bitte für euch selbst, ob ihr Spiele mit einem historischen Thema, losgelöst von aktuellen Geschehnissen, auf den Tisch bringen möchtet.

Wenn, losgelöst von den Ereignissen seit Februar 2022, direkte Kritik am Thema des Spiels angebracht ist, dann kann man diese mit den indigenen Völkern Sibiriens begründen, welche unter der späteren Ausbreitung des russischen Imperiums gelitten haben. Letzteres steht zur der Zeit, in welcher Stroganov spielt, noch bevor, und ist kein Bestandteil des Spiels. Die damals erfolgreiche Familie Stroganov sammelte und handelte Pelze. Sie hat des Zarens Unterstützung und muss nun dessen Erwartungen gerecht werden. Sibirien wird im Spiel von den Stroganov erkundet, es wird Handel getrieben.

Dieser Prozess ist in Stroganov sowohl durch die Gestaltung, als auch durch die Mechanik gut repräsentiert. Die Kosaken müssen sich weiter nach Osten bewegen, weil die Belohnungen für verschiedene Aktionen schnell weniger werden in den westlichen Regionen. Somit streben die Kosaken meist nach Osten, um mehr Pelze zu sammeln, Jurten zu besuchen, Zarenwünsche zu holen oder Außenposten zu errichten. Hier zeigt sich, wie die Jagd den Tierbestand reduziert und immer mehr Land erschlossen werden muss. Im zweiten Jahr gibt es dann schon öfters leere Landschaftsteile, die einfach nur den Weg in den Osten verlängern, allerdings können die Landschaftsplättchen deutlich billiger gekauft werden, als jene mit Pelzen darauf. Gekaufte Landschaftsplättchen werden entfernt, und so verkürzt sich der Weg nach Osten bis zum Winter, in welchem die Plättchen aufgefüllt werden.

Diese Bewegungen machen Stroganov schon interessant. Ich sollte nach vorne laufen, aber vielleicht sind bestimmte Aktionen unterwegs wichtig. So versucht jeder seine Position auf die geplanten Aktionen abzustimmen. Hinzu kommt noch, dass eine große Bewegung viel mehr Pferde kostet, als mehrere mittelgroße Bewegungen.

Dabei wandern die Spieler über die wunderschön gestalteten Landschaftsplättchen. Was nicht so ansehnlich ist, sind dagegen die Pferdeplättchen. Darauf sind Pferde-Spielsteine zu sehen. Es erscheint seltsam, dass dort nicht Bilder von Pferden, sondern Spielsteine zu sehen sind, aber es ist leicht zu erklären. Bei der Kickstarter-Deluxe Ausgabe sind kleine Pferde-Spielsteine dabei und jene auf den Plättchen sollen vermutlich die Normalsterblichen daran erinnern, dass sie diese verpassen.

Die Übersicht aller silbernen und goldenen sowie freien Aktionen und der Rundenablauf sind geschickt auf dem Spielbrett untergebracht. Trotzdem hätten meine Mitspielenden sehr wohl eine eigene Aktionsübersicht gebrauchen können. Das Spielbrett ist ja nicht immer von allen gleich gut einsehbar. Und es gibt wirkliche einige Aktionsmöglichkeiten.

Und die Zahl der Möglichkeiten ist sowieso schon eine unschöne Kante bei Stroganov, denn den meisten Mitspielenden fällt es schwer, in dem Wald der Möglichkeiten den Pfad zu sehen, der zu ihrem Ziel führt, und dann muss noch herausgefunden werden, ob das gewählte Ziel das optimale ist. Während ich eigentlich die geringe Punktzahl am Ende (so 30 bis 50 Punkte) recht angenehm empfinde, bedeutet diese aber auch, dass es sich lohnt, einen Zug für 2 Punkte noch mal zu überdenken. Und so sehe ich den anderen zu, wie sie sich fragen, ob es doch noch die Möglichkeit für ein Hasenfell gibt, damit die eine Landschaft gekauft werden kann. Ach so, nein, zwei Hasenfelle, denn die zweite Aktion muss ja bezahlt werden. Mal sehen ... mit fünf Pferden? Oder mit einem Pferd und einem Fell? Oder warte ... ich kann die Münze nutzen … tja, und es eröffnet sich eine Downtime aus der Hölle. Dies hängt aber sehr von den Spielenden ab, aber die meisten meiner Mitspielenden konnten sich leider nicht schnell entscheiden, weswegen ihr auch die 90 Minuten auf der Schachtel mit mehr als 2 Spielern als unrealistisch erachten müsst, außer, es ist eure vierte oder fünfte Partie.

Wenn ich jetzt noch erwähne, dass Aufbau und Verwaltung bei diesem Spiel auch etwas länger ausfallen als bei anderen Spielen, dann denkt ihr bestimmt, dass ich Stroganov nicht mag. Stimmt aber nicht. Meistens mag ich dieses Spiel. Ich finde es interessant zu schauen, welche Pelze ich erreichen kann und welche Aktion sich lohnt. Ich plane, welche Pelze ich für Sonderaktionen ausgebe, versuche geschickt, Zarenwünsche zu sammeln, wegen der Punkte und Fähigkeiten. Oder ich rechne schon mal, welches Landschaftsplättchen ich kaufen kann. Meist tut sich auch eine Lösung auf, wenn nur noch wenig fehlt. Für viele Spielende dieser Art fühlt sich Stroganov meist eher belohnend an, weil doch immer etwas bei den Aktionen herauskommt. Auch bieten die ausliegenden Zarenwünsche oder Fellkombinationen genug Variation, um den Verlauf jeder Partie anders zu gestalten.

Die fortgeschrittenen Spielertafel-Rückseiten, welche dann allen Stroganovs individuelle Trophäenleisten geben, fand ich eher zu viel, aber für Fans des Spiels, die schon viele Partien hinter sich haben, gibt dies nochmal etwas Abwechslung.

FAZIT: Die Kombination von Aktionen und Bewegungen wie bei Stroganov habe ich bisher noch nicht so gesehen, und ich finde, dies ist auch wahrscheinlich der interessanteste Aspekt des Spiels. Dabei sieht es auch sehr ästhetisch aus. Könnte ich Stroganov auch mit 3 oder 4 Leuten in 90 Minuten durchspielen, wäre ich spielerisch wirklich begeistert, leider ist aber die Menge an Aktionsmöglichkeiten für viele meist undurchdringlich. 

KULTFAKTOR: 6/10

Spielidee: 7/10
Ausstattung: 9/10
Spielablauf: 5/10

EUER REZENSENT

LUTZ

Wahl-Niederländer, Elektrochemiker, Zuvielspieler, Rätselenthusiast

Eine Rezension vom 07.09.2022

Dieser Spieletest wurde unterstützt durch ein Rezensionsexemplar.

Bildnachweis:
Coverfoto: Game Brewer
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