REZENSION

RENATURE

  • Genre: Familien-/ Strategiespiel
  • Jahr: 2020
  • Verlag: Deep Print Games / Pegasus Spiele
  • Autoren: Wolfgang Kramer, Michael Kiesling
  • Grafik: Dennis Lohausen
  • Spieler: 2 bis 4
  • Alter: ab 8 Jahren
  • Dauer: ca. 45 - 60 Min.
  • Schwierigkeitsgrad: mittel
  • Taktiklevel: 7/10

Trügerische Idylle

Eigentlich sieht es friedlich aus, das kleine Tal mit seinen grünen Wiesen und Bachläufen. Doch der Schein trügt: Die Menschheit hat Flora und Fauna ausgerottet. Unsere Aufgabe ist es nun, das Gleichgewicht in der Natur wiederherzustellen. Dazu siedeln wir Tiere an und pflanzen Gräser, Büsche und Bäume.

REGELN

Der Spielplan wird mit den Wertungsmakern (Sonnenblumen) bestückt, wobei jedes der braunen Pflanzgebiete aus mehreren Einzelfeldern besteht und ein der Größe entsprechender Marker darauf gelegt wird. Die Marker zeigen auf ihrer Vorderseite immer zwei Punktezahlen - eine größere und eine kleinere, dazu verdeckt auf der Rückseite weitere Punkte, die jedoch geheim bleiben.

Jeder Spieler erhält ein Spielertableau (im Spiel zu zweit zwei aneinander gelegte Tafeln) und stellt Gräser, Büsche, Kiefern und Eichen darauf - die Anzahl richtet sich nach der Spielerzahl. Jeder Spieler besitzt Pflanzen in seiner Spielerfarbe sowie neutrale Pflanzen (naturfarben). Der Startspieler legt seinen Wertungsmarker auf Feld 4 der Punkteleiste, die anderen Spieler reihen sich dahinter ein. Außerdem zieht jeder Spieler, wieder abhängig von der Spielerzahl, eine bestimmte Anzahl an Domino-artigen Steinen (jeweils bedruckt mit zwei Tieren) aus dem Stoffbeutel und legt sie in verdeckten Stapeln vor sich ab. Drei Steine zieht jeder Spieler aus seinem Vorrat und stellt sie vor sich; dabei darf nur er selbst die Motive sehen.

Ist ein Spieler an der Reihe, legt er einen seiner drei gezogenen Steine auf den Spielplan, entweder auf eines von vier Startfeldern, oder angrenzend an bereits zuvor platzierte Steine, stets nur auf grüne Felder mit Bachlauf. Wird angrenzend gelegt, müssen die sich berührenden Kanten in ihrer Tierart gleichen. Eine Tierart ist immer Joker-Tier. Am Anfang ist dies der Schmetterling. An so einen Tierart darf ein beliebiges Tier angelegt werden bzw. der Stein darf auch an beliebige andere Tiere angelegt werden. Sobald der Spieler seinen Stein platziert hat, darf er nun eine beliebige Pflanze von seinem Tableau angrenzend an den gelegten Stein auf ein freies braunes Feld stellen. Dafür erhält er auf jeden Fall einen Punkt. Stehen bereits andere Pflanzen in diesem Gebiet, erhält der Spieler Zusatzpunkte für jede weitere gleiche oder kleinere Pflanze in diesem Gebiet (egal, von welchem Spieler diese gepflanzt wurden). Dies gilt auch für neutrale Pflanzen! Die Punkte werden immer direkt auf der Punkteleiste festgehalten.

Sobald ein braunes Pflanzgebiet komplett mit Steinen umschlossen wurde (bzw. kein weiterer Stein mehr auf noch freie Felder gelegt werden kann, da es sich um Einzelfelder handelt), findet eine Mehrheitenwertung in diesem Gebiet statt. Dazu ermittelt jeder Spieler seinen Pflanzenwert in dem Gebiet - Gräser zählen als 1, Büsche als 2, Kiefern als 3 und Eichen als 4 Punkte. Die Summe, die sich aus den eigenen Pflanzen ergibt, wird mit denen der Mitspieler verglichen. Der Spieler mit dem höchsten Wert erhält die größere Punktezahl des dort liegenden Plättchens, der Spieler mit dem zweithöchsten Wert erhält die kleinere Punktezahl. Ist ein Spieler allein vertreten, erhält er beide Punktezahlen. Neutrale Pflanzen zählen bei der Mehrheitenberechnung wie echte Spieler, d.h. theoretisch kann auch „Neutral“ Platz 1 belegen - dafür gibt es dann aber keine Punkte auf der Punkteleiste, denn neutrale Pflanzen sind keinem Spieler zugeordnet. Die Punkte würden dann entsprechend verfallen. Gleiches gilt natürlich ggf. auch für Platz 2. 

Nun gibt es bei den Mehrheitenwertungen noch einen besonderen Clou: Erzielen zwei Spieler einen Gleichstand, so eliminieren sie sich gegenseitig aus der Wertung. Ein lachender Dritter kann so z.B. mit nur einem Gras (1 Punkt) eine Ansammlung von höherwertigen Bäumen ausstechen, wenn die beteiligten Spieler eben einen Gleichstand aufweisen. Das kann auch taktisches Mittel sein: So können Spieler absichtlich Gleichstände (auch mit neutralen Pflanzen) herbeiführen, um die Konkurrenz auszuschalten.

Wann immer ein Spieler ein Gebiet abschließt, erhält er, unabhängig davon, wer bei der Mehrheitenwertung Punkte macht, das ausliegende Sonnenblumen-Plättchen. Auf der Rückseite findet er (noch geheime) Punkte für die Schlusswertung.

Jeder Spieler besitzt zudem einen Vorrat an Wolken. Diese können im Spiel eingesetzt werden:

  • Für 2 Wolken kann das Joker-Tier beliebig geändert werden.
  • Für 3 Wolken erhält der Spieler direkt einen weiteren Spielzug.
  • Für 1 bis 4 Wolken kann der Spieler eine bereits platzierte Pflanze auf sein Tableau zurückholen, wenn er dafür Platz hat, und diese Pflanze später neu einsetzen. Das empfiehlt sich besonders für Pflanzen aus bereits gewerteten Gebieten. Die Anzahl der zu zahlenden Wolken entspricht dabei dem Mehrheiten-Wert der Pflanze (also 1 für Gras bis 4 für eine Eiche).


Auf einigen Feldern können auch neue Wolken eingesammelt werden, wenn dort eine Pflanze eingesetzt wird.

Nach jedem Spielzug zieht der aktive Spieler wieder auf 3 Steine nach. Sollte er einmal keinen Stein legen können, muss er in seinem Spielzug einen Stein ohne weitere Aktion abwerfen. 

Das Spiel endet, sobald kein Spieler mehr einen Stein besitzt. In der Schlusswertung gibt es noch einmal Punkte für

  • jede noch übrig behaltene Wolke auf dem eigenen Tableau
  • eingesammelte Sonnenblumen (durch das Abschließen von Gebieten)
  • noch nicht gewertete Gebiete (dort findet nun eine übliche Mehrheitenwertung statt, nur ohne die zusätzliche Vergabe des Sonnenblumen-Plättchens).

Außerdem werden Minuspunkte für jede nicht eingesetzte Pflanze verteilt, heißt: Eine Eiche auf dem eigenen Tableau bringt am Spielende 4 Minuspunkte, ein Busch 2 Minuspunkte etc. Auch hier ist es wieder unerheblich, ob es sich um eine Pflanze der eigenen oder der neutralen Farbe handelt.

Der Spieler mit den meisten Punkten gewinnt.

GALERIE

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CHECKPOINT

PRO

  • leicht eingängige Legeregeln
  • schöne Mischung aus Taktik und etwas Glück
  • viele taktische Entscheidungen
  • schönes Thema, schöne Optik, schönes Material


CONTRA

  • direkter Angriff kann zu Frustmomenten führen
  • Sonnenblumen-Plättchen etwas schwer zu handhaben

MEINUNG

Hätte im Jahr 2020 nicht die Corona-Pandemie die Fridays-for-Future-Bewegung in den Nachrichten scheinbar komplett abgelöst, wäre das Thema des Klimawandels bzw. der Umweltverschmutzung sicher auch heute noch stärker in den Medien präsent. Dass es sich dabei um ein wirklich wichtiges Thema handelt, das die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder stark beeinflussen wird, sollte jedem mittlerweile ja klar sein. Umso schöner, wenn ein Verlag genau auf so ein Thema setzt. In „Renature“ können wir thematisch das heilen, was wir zuvor zerstört haben. Und in der Tat wirkt es dann schon fast romantisch, wenn sich in dem anfangs kargen Tal zunehmend mehr Tiere und Pflanzen ansiedeln. Das löst auf jeden Fall rein optisch einen Belohnungseffekt aus, und auch spielerisch ist „Renature“ sehr gefällig und kurzweilig. Das Domino-Prinzip spricht bereits Familien an, die Illustrationen sind schön anzusehen und auch das Holzmaterial ist hochwertig, einzig die Sonnenblumen-Plättchen liegen gefühlt immer im Weg herum; sie sind für Grobmotoriker etwas schwer zu handhaben. Ansonsten ist alles top!

Tja, was wäre das für ein schönes Wohlfühlspiel, wenn jetzt noch alle an einem Strang ziehen und kooperativ die Natur retten würden ... Doch das ist, wie schon meine Überschrift verrät, eine Fehlannahme. Im Kern ist „Renature“ nämlich etwas ganz anderes: Es ist ein knallhartes Angriffsspiel, bei dem die Mehrheitenwertungen in den Gebieten dazu führen, dass sich jeder selbst der Nächste ist. Natürlich kann man das Spiel auch ganz harmlos spielen, indem man sich aus dem Weg geht. Aber das ist nicht Sinn des Spielprinzips. Vielmehr geht es bei Area-Control, wie der Name schon sagt, ja darum, Gebiete zu kontrollieren, zu dominieren. Also möchten wir stets die Konkurrenz übertreffen, und das geht hier sogar noch sehr perfide mit einem Element, das einige wohl zum Beispiel aus dem Würfelspiel „Las Vegas“ kennen - das Motto lautet da: „Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte“. Und so kann man Pflanzenansammlungen von Spielern gezielt boykottieren, indem man sie z.B. mit neutralen Pflanzen zum Gleichstand nötigt und die daran beteiligten Spieler somit aus der Wertung eliminiert. Natürlich gibt es für das Anpflanzen an sich auch Punkte, aber die Mehrheitenwertungen können einem schon noch einmal einen ordentlichen Boost auf der Punkteleiste bescheren.

Sucht euch eure Mitspieler daher gut aus! Wer es nicht leiden kann, wenn ihm zuvor Erschaffenes von anderen Spielern zerstört wird, der sollte vielleicht doch besser ein anderes Spiel wählen. Hinzu kommt ein nicht zu verleugnender Königsmacher-Effekt. Wenn ein Spieler die Wahl hat, welchem von zwei Spielern er Punkte durch das Hinzustellen einer Pflanze raubt, dann können darunter tatsächlich Freundschaften leiden, insbesondere, wenn es stets den selben Spieler trifft, der ausgebootet wird oder Spieler sogar zusammenhalten und sich gegen einen anderen Spieler verbünden, obwohl dieser nicht mal in Führung liegt. Ich sage mal so: Als ich 8 Jahre alt war, wären da wahrscheinlich auch mal Bäume über den Spieltisch geflogen ... Das hinterlässt dann einen leichten Beigeschmack, der das Spiel für mich gar nicht mal mehr so sehr für Familien tauglich macht, wie man sich das eigentlich gedacht hat. „Renature“ ist für mich schon fast ein Kennerspiel, auf jeden Fall aber ein knallhartes Taktikspiel.

Nicht falsch verstehen. Ich mag „Renature“! Ich mag eben auch diese taktischen Möglichkeiten, die das Spiel bietet, ohne dabei spielerisch zu überfordern. Die Altersangabe „ab 8 Jahre“ halte ich jedoch für etwas zu niedrig gewählt, da im Spiel auch viel gezählt bzw. gerechnet werden muss, was die jüngeren Spieler noch nicht so gut überblicken können. "Ab 10 Jahre" träfe es für mich da besser. Und bitte entscheidet selbst, wie frusttolerant euer Gemüt bei einer destruktiven Spielweise der Konkurrenz sein wird. Wenn ihr mit so etwas umgehen könnt und Spaß am Ausschalten der Mitspieler habt, dann ist „Renature“ auf jeden Fall ein kleines Juwel, das harmloser aussieht, als es ist. Da steckt auf jeden Fall mehr Spieltiefe hinter, als es die Optik vermuten lässt.

Da ich echt unterschiedliche Erfahrungen in meinen Testrunden gemacht habe, sind die 7 Kultpunkte, die ich vergebe, ein Kompromiss, ja, sozusagen ein Mittelwert. Spieler, die sich ungerecht behandelt fühlten bzw. oft Wertungen verloren, stuften den Spielspaß dann eher so im Bereich von 5 bis 6 Punkten ein, was dafür durchaus noch okay ist, denn das Spiel an sich bleibt ja auch dann noch kurzweilig in seiner Spielweise. Hardcore-Taktiker, die kein Problem damit haben, dass man ihnen bzw. anderen absichtlich sicher geglaubte Punkte wegnimmt, mochten „Renature“ umso lieber. Bei ihnen kam das Spiel mit 8 bis hin zu 9 Kultpunkten überdurchschnittlich gut weg. Die Wahrheit liegt in den meisten Partien aber irgendwo dazwischen. Für mich ist „Renature“ auf jeden Fall ein schönes Spiel (und das meine ich nicht nur optisch und thematisch), aber es ist eben ein Spiel mit Ecken und Kanten und sicher kein Spiel, mit dem man spontan neue Freundschaften gewinnt ... ;)

Unser Video zum Spiel findet ihr auf YouTube:  https://youtu.be/8wExxbp_pJg

KULTFAKTOR: 7/10

Spielidee: 8/10
Ausstattung: 8/10
Spielablauf: 5-9/10

EUER REZENSENT

INGO

Vielspieler, Skifahrer, Italien-Fan, Medienheini

Eine Rezension vom 03.02.2021

ZWEITMEINUNG

Der Klimawandel ist real. Nur wenn wir jetzt alle gemeinsam anpacken, können wir die Welt retten. Los geht's …zu Hause, in der Freizeit. Unsere Umwelt sollte uns wichtig sein.

Beginnen können wir schon mal spielerisch, indem wir die Bachlandschaft unseres Spielplans mit Tieren, Bäumen, Gräsern und Sträuchern der heimischen Flora und Fauna neu besiedeln.

Renature ist als erweitertes Domino einzustufen. Ein Spielplan als Legebegrenzung, eine Siegpunktleiste, wechselnde Joker und ein Spielertableau machen aus dem einfachen Domino-Prinzip "Stein-an-Stein" ein doch recht anspruchsvolles Familienspiel. Die Regeln sind leicht verständlich, sodass auch 8-jährige sie rasch erlernen können. Doch die taktischen Möglichkeiten können in dem Alter oft noch nicht eingeschätzt werden, zumal das Spiel für Frust sorgen kann, wenn man Steine eben partout nur über Bezahl-Joker einsetzen kann. Glück spielt eben doch mit. 

Im Spiel gibt es dann auch Fleiß-Aufgaben, die anfangs oft vergessen werden: Punkte für gesetzte Pflanzen. Das Gute: man kann sie später nachrecherchieren. 


Außerdem kann und sollte man Mitspieler angreifen und den anderen die Landschaftsansprüche streitig machen. In der ersten Runden zeigen sich die taktischen Feinheiten noch nicht. Dann wird erst einmal eher Domino gespielt, auch wenn das eigene Tableau die Möglichkeiten klar aufzeigt. Nach und nach erkennt man den taktischen Anspruch.

Und so stellt sich die Frage nach der Zielgruppe? Kennerspiel? Nur bedingt, denn dafür ist schon zu viel Glück drin. Familien mit Kindern ab 8 Jahren? Nur bedingt, denn dafür ist schon zu viel Taktik drin. Eine geschickte Platzierung der Steine ist gefragt und die Kontrolle über möglichst gewinnträchtige Gebiete. Wer in einem Gebiet die Baum-Überhand behält, erhält den Bonus. Gleichstände sind dabei klar geregelt: Dann bekommt keiner was. Auch die neutralen Steine sorgen für taktische Spielzüge. sie können gut dafür eingesetzt werden, den anderen Gleichstände zu bescheren. Kurz gesagt: Ärger ist vorprogrammiert. Das muss man mögen. Auch die am Ende immer stärker durch Platzmangel eingeschränkten Legemöglichkeiten sorgen bei einigen Spielern für ungute Gefühle.

Und genau hier trennen sich die Spielerfahrungen. Manch einer lehnt das Spiel aufgrund des Angriff-Charakters bald ab - und manche beißen sich fest. Die ringen um jeden Punkt. Renature liegt eben genau zwischen den Zielgruppen: ein Familienspiel, ja, aber mit schon erfahreneren Kindern, die ihre Frustration kontrollieren können und statt der Wut zu erliegen eben selber taktisch angreifen (das gilt übrigens teils auch für die älteren Spieler ...). 

Übrigens: Die liebevolle Grafik lädt zwar zum Spielen in der Natur ein, aber schon nach wenigen Runden merkt man: Schönheit und Überlebenskampf liegen oft nah beieinander! 


Unser Video zum Spiel findet ihr auf YouTube:  https://youtu.be/8wExxbp_pJg

KULTFAKTOR: 7/10

Spielidee: 8/10
Ausstattung: 8/10
Spielablauf: 7/10

TEAM-TREND

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Die Kultfaktor-Wertungen weiterer Spielkultisten:

Beate: 8/10
Nicole: 8/10
Birgit: 6/10
Jürgen: 6/10

EURE REZENSENTIN

GABI

Immer-und-Überall-Spielerin, Spieleberaterin, Krankenschwester

Eine Zweitmeinung vom 01.04.2021

Dieser Spieletest wurde unterstützt durch ein Rezensionsexemplar.

Bildnachweis:
Coverfoto: Deep Print Games / Pegasus
Weitere Fotos: Spielkultisten