REZENSION
RÄUBER DER NORDSEE
- Genre: Strategiespiel
- Jahr: 2016
- Verlag: Schwerkraft
- Autoren: Shem Phillips
- Grafik: Mihajlo Dimitrievski
- Spieler: 2 bis 4
- Alter: ab 14 Jahren
- Dauer: 60 - 80 Min.
- Schwierigkeitsgrad: mittel
- Taktiklevel: 7/10
Nicht sterben ist auch keine Lösung
Geht im Wikingerdorf arbeiten, macht Darbringungen für den Häuptling und rüstet euch mit einer Schiffscrew für die aufregenden Plünderfahrten!
REGELN
Zunächst werden die leeren Beutefelder des Spielplans zufällig mit Beutestücken aus dem Stoffbeutel gefüllt. Dazu gesellen sich die schwarzen, grauen und weißen Wikinger nach Vorgabe. Im Dorf belegen sie drei Ortsfelder. Jeder Spieler erhält eine Schiffskarte, einen schwarzen Wikinger, 2 Münzen und 5 Handkarten, von denen er zunächst 3 behalten darf. Im Spiel gibt es dann übrigens immer ein Spielerlimit von max. 8 Handkarten, 8 Münzen und 8 Proviant. Beute kann man hingegen unbegrenzt sammeln.
Ist ein Spieler am Zug, kann er entweder ins Dorf zum Arbeiten gehen oder er geht auf Plünderfahrt.
- Arbeiten im Dorf: Der Spieler stellt seinen Wikinger auf ein freies Ortsfeld, macht die zur Farbe des Wikingers passende Aktion (z.B. Münzen oder Proviant, neue Handkarten erhalten etc.) und nimmt anschließend einen anderen Wikinger von einem besetzten Ortsfeld in seinen Vorrat für die neue Runde. Die Aktion des Ortes, von dem der Spieler den Wikinger weggenommen hat, führt er ebenfalls aus. Dann ist der nächste Spieler dran.
Die Handkarten zeigen diverse Dorfbewohner. Im Ort kann die Ratshalle ausgewählt werden, um eine Karte von der Hand abzuwerfen und die einmalige Ratshallen-Aktion der Karte auszuführen. Die Baracke hingegen ermöglicht es dem Spieler, eine Handkarte, die er mit entsprechend Silber bezahlt hat, offen neben sein Schiff zu legen. Der Dorfbewohner gilt nun als Crewmitglied und bietet einen dauerhaften Vorteil. Maximal 5 Crewmitglieder darf jeder Spieler auf einmal besitzen.
Im Langhaus lassen sich zudem - nach Auftrag auf den ausliegenden Plättchen - diverse gesammelte Dinge in Siegpunkte umwandeln ("Darbringung machen").
- Plündern: Mit einer entsprechenden Anzahl an Crewmitgliedern und weiterem "Zeugs" (Proviant, teilweise Gold), kann der Spieler, wenn er an der Reihe ist, auch übers Meer fahren und einen Ort mit einem geforderten Wikinger in einer bestimmten Farbe, ausrauben. Das bringt entweder direkt Siegpunkte oder aber Punkte in Abhängigkeit der militärischen Stärke (berechnet über Stärkepunkte auf der roten Leiste, Stärkepunkte der Crewmitglieder und ggf. einem Wurf von einem oder zwei Stärkewürfeln). Zudem geht die Beute (mitsamt des auf dem Beutefeld vor Spielbeginn platzierten Wikingers) in den Besitz des Spielers. Die Beute kann bis zum Spielende gehortet werden (für Siegpunkte) oder im Spiel eingesetzt werden, um bestimmte Aktionen ausführen zu dürfen. Ist eine Walküre (oder auch mehrere) unter der Beute, muss der Spieler für jede Walküre ein Crewmitglied "töten" (die Karte abwerfen), dafür aber auf der Walkürenleiste vorrücken, was am Ende auch noch einmal Punkte bringt, genauso wie einige Crewmitglieder.
Die letzte Runde wird gespielt, wenn die fünfte Festung überfallen wurde, keine Walküren oder keine Darbringungsplättchen mehr auf dem Stapel vorhanden sind. Wer nach der letzten Runde und der Schlusswertung die meisten Siegpunkte generieren konnte, hat gewonnen.
GALERIE
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CHECKPOINT
PRO
- neuartiges Workerplacement-/Displacement-Prinzip
- viel Abwechslung durch diePersonenaktionen
- immer neuer Spielaufbau
- kurze Spielzüge, geringe Wartezeit
- tolle Gestaltung
CONTRA
- teilweise glücksabhängig
- graue und schwarze Figuren
- schlecht zu unterscheiden
MEINUNG
Die Nordsee ist ja hinlänglich bekannt für ihr raues Klima. Nein, damit meine ich jetzt nicht die oft kühlen Temperaturen und die eine oder andere frische Brise am Meer. Ich rede vom Wikingerleben, von echten Kerlen, von Zeiten, in denen Plünderfahrten zum Alltagsleben gehörten. Ja, eben genau von den Zeiten, in denen das Spiel "Räuber der Nordsee" angesiedelt ist. Der schön gestaltete Spielplan wirkt von seiner Optik ja noch richtig romantisch, die Dorfbewohner auf den Spielkarten (ebenso genial illustriert) hingegen zeigen, wohin die Reise geht. Nein, mit Diplomatie wurde man zu Wikingerzeiten nicht reich. Ein Raufbold, ein Barbar, ein Totengräber, ein Berserker oder ein Rächer machen da eine deutlich bessere Figur auf dem eigenen Schiff. Wie gut, dass diese und viele weitere Charaktere die Protagonisten sind, sonst wären wir in den eher kämpferisch geprägten Zeiten aber sowas von am A***. Doch was ist eigentlich unser Ziel? Dem Häuptling imponieren! Und fette Beute machen, natürlich in fremden Häfen, Festungen, und selbst Klöster sind uns nicht heilig, um an Gold, Vieh, Eisen und Ruhm zu gelangen. Da ist es auch normal, dass man das eine oder andere Mannschaftsmitglied auf die letzte Reise nach Walhalla schickt, wenn es den Walküren verfallen ist.
Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!
Doch beginnen wir erst einmal ganz harmlos. Regelrecht profan schicken wir unseren eigenen Wikinger ins Dorf, zum arbeiten. Verschiedene Orte, die einem bestimmte Aktionen ermöglichen, stehen dort zur Auswahl. Freier Platz gesucht, Arbeiter hingestellt, Aktion durchgeführt. Das ist Worker-Placement, wie es im Buche steht. Kennen wir also schon aus vielen anderen Spielen. "Räuber der Nordsee" hat hier jedoch eine neue, innovative Mechanik zu bieten. Denn: Nach dem "Placement" folgt das "Displacement". Heißt: Ich setze einen Wikinger ein und entferne von anderer Stelle einen bereits vorhandenen. Auch dieser beschert mir die zum Ort passende Aktion, gleichzeitig bleibt er bis zur nächsten Runde in meinem Vorrat. Dieses Prinzip des "Gebens" und "Nehmens" ermöglicht es mir grundsätzlich, immer alle Orte im Dorf besuchen zu können, doch das ist dann im Detail trickreicher als man denkt. Die Reihenfolge ist nämlich von großer Bedeutung, ebenso die eingesetzte Farbe der Wikinger (wobei man schwarz und grau oftmals schlecht auseinanderhalten kann, wenn die Beleuchtung nicht optimal ist), denn die stellt mir - je nach Ort - verschiedene Aktionsvarianten zur Auswahl. Das alles greift schon einmal super ineinander und beinhaltet auch taktische Einflussnahme auf meine Mitspieler.
So ein Totengräber ist Gold wert!
Etwas weniger Einfluss hat man beim Ziehen der Handkarten. Klar, hier ist ein Zufallselement im Spiel, das aber (meist) nicht stört. Ja, es KANN passieren, dass ich kurz vor Schluss eine Siegpunktekarte ziehe, die mir Punkte für etwas gibt, was ich zufällig eh schon gesammelt habe. Aber meist bieten mir die Karten da schon vorher andere Möglichkeiten. Beim Einsetzen der Dorfbewohner (also eben der Spielkarten) habe ich nämlich erneut viele taktische Entscheidungen zu treffen. Welchen Bewohner kann ich anheuern, um ihn in meine Crew zu befördern? Achte ich auf seinen "Preis", seine militärische Stärke oder den dauerhaften Vorteil, den er mir bringt? Maximal fünf Crewmitglieder darf ich besitzen. Somit bleibt die Übersicht darüber, welche Vorteile ich momentan besitze, immer in einem angenehmen Rahmen; da gab es dann doch andere Spiele, bei denen man an dieser Stelle doch viel schneller den Überblick verlor (ich denke da z.B. an "Seasons"). Einmal in der Crew, heißt aber nicht, dass ich meinen Dorfbewohnern eine Dauerstellung gebe. Bei den Plünderfahrten liefern sie mir wichtige Voraussetzungen, um überhaupt einen Überfall starten zu können, geben mir Stärke, um - ggf. zusammen mit weiterer, bereits erspielter Stärke und den Stärkewürfeln - an Ruhmespunkte zu gelangen. Doch beim Plündern kann auch der eine oder andere Bewohner an Bord "draufgehen"...
Wer plündert, hat nicht immer mehr vom Leben!
Überhaupt das Plündern: Hier steckt eine große Varianz im Spiel, denn die Beuteteile auf den einzelnen Beutefeldern werden bei jeder Partie neu und zufällig verteilt. So muss ich nicht nur darauf achten, welchen Ort ich überhaupt plündern KANN, sondern auch, für welche Beute ich mich entscheide. Gold, Eisen und Vieh bringen mir am Spielende Siegpunkte; allerdings benötige ich sie auch während des Spiels öfters, um weiterzukommen. Und dann sind da noch die Walküren, die mir Crewmitglieder rauben. Möchte ich sie überhaupt in meiner Beute haben? Bei einer mühevoll zusammengestellten, guten Crew kann es schon mal wehtun, dass ich nach einer Plünderung erst einmal wieder schlechter dastehe, doch Sterben bringt Punkte. Und nicht gerade wenige. Wie sagte meine Mitspielerin Nicole so schön: "Nicht sterben ist auch nicht gut". Recht hat sie. Das ist auch das Schöne an "Räuber der Nordsee". Man wird immer wieder vor Entscheidungen gestellt, die aber nicht in Sackgassen enden, sondern einem immer auf irgendeine Weise nützen. So stellt sich, um noch einmal zu den Handkarten zurückzukommen, ja hier bereits die Frage, ob man überhaupt Geld spart (bitte unbedingt, wenn möglich, die Deluxe-Version kaufen, denn da gibt's für einen geringen Aufschlag hochwertige Metallmünzen! Link siehe unten), um eine Person in die eigene Auslage zu bringen, oder ob man sie im Dorf für eine Einmal-Aktion opfert. Auch dieses Element ist tricky und herausfordernd.
Das Ende naht, lang lebe der Wikinger!
Das Spielende wird allein bestimmt über die Handlungen der Spieler. Heißt: Es müssen fünf der sechs Festungen überfallen, es müssen alle Walküren abgeräumt oder der Darbringungsplättchen-Stapel geleert worden sein. Moment, welcher Stapel? In meinen Testrunden lief das Spiel immer (!) über die Plünderungen. Siegpunkte über Darbringungsplättchen zu generieren, schien für niemanden so arg interessant. Woran liegt das? Wahrscheinlich an der Tatsache, dass ich eh erst plündern muss, um an ausreichend Beute für die Aufträge des Häuptlings zu gelangen. Oder daran, dass ich immer einen grauen bzw. weißen Wikinger benötige, um diese Aktion ausführen zu dürfen. Nun sind insbesondere die weißen Figuren aber rar, beide Farben kommen erst über Plünderungen ins Spiel und sind meist auch von den Mitspielern heiß begehrt. Ich möchte an dieser Stelle aber nicht sagen, dass die Darbringungen partout nicht beachtet werden. Mir wurde - das muss ich an dieser Stelle klarstellen - sogar darüber berichtet, dass bei anderen Spielern das Spiel sehrwohl auch mal über dieses Element beendet wurde. Ist aber eher eine Seltenheit. Keine Seltenheit ist es, dass das Spiel zum Ende hin manchmal ein wenig zu stocken scheint, weil einem gerade der "richtige" Wikinger für eine bestimmte Aktion fehlt. Zu Beginn ist da immer eine breite Auswahl vorhanden, zum Ende hin werden die Beutefelder aber immer weniger - und hat man einmal zu viel Beute ausgegeben, kann es zum Ende hin etwas mühsam werden, das Spielende auszulösen. Glücklicherweise empfindet man das aber als Spieler nie als wirklich störend. Dafür sind die Spielzüge der Spieler derart knackig-kurz, dass während des ganzen Spieles stets nur äußerst geringe Wartezeiten entstehen.
Fazit:
"Räuber der Nordsee" hat sich seinen Platz in unserer "Hall of Kult" absolut verdient. Es ist ein "typisches" Eurogame, das jedoch mit einem innovativen, einfachen, aber genialen Workerplacement-Mechanismus überrascht, dabei toll aussieht, eine selbsterklärende Symbolik besitzt und - und das ist das Wichtigste - ein sehr gut verwobenes, abwechslungsreiches Spielerlebnis mit vielen kurzen, aber immer spannenden Entscheidungen bietet, unabhängig von der Spielerzahl! Bis auf die minimalen, zuvor erwähnten Kritikpunkte, haben wir hier - in meinen Augen - ein nahezu perfektes Spiel vorliegen, das bei unseren offenen Spieletreffs schon viele Fans gewinnen konnte. Feierlich vergebe ich sehr gute 9 Kultpunkte für die Wikinger! In diesem Sinne: Uuuh, uuuh, uuuh! Oder so ähnlich...
Ein Video zum Spiel findet ihr auf YouTube: https://youtu.be/lwAAbFgdtsQ
KULTFAKTOR: 9/10
Spielidee: 9/10
Ausstattung: 9/10
Spielablauf: 9/10
TEAM-TREND
Die Kultfaktor-Wertungen weiterer Spielkultisten:
André: 9/10
Carsten: 9/10
Nicole: 9/10
Ulf: 9/10
Ralf: 8/10
Dän: 7/10
Jürgen: 7/10
Lutz: 7/10
EUER REZENSENT
INGO
Vielspieler, Skifahrer, Italien-Fan, Medienheini
Eine Rezension vom 16.01.2017
Dieser Spieletest wurde unterstützt durch ein Presse-Exemplar.
Bildnachweis:
Coverfoto: Schwerkraft Verlag
Weitere Fotos: Spielkultisten