REZENSION

PAX PAMIR (SECOND EDITION)

  • Genre: Strategiespiel
  • Jahr: 2020
  • Verlag: Spielworxx / Wehrlegig Games
  • Autor: Cole Wehrle
  • Grafik: Cole Wehrle
  • Spieler: 1 bis 5
  • Alter: ab 14 Jahren
  • Dauer: ca. 45 - 150 Min.
  • Schwierigkeitsgrad: mittel bis schwierig
  • Taktiklevel: 10/10

Der Feind meines Feindes

  Afghanistan – geschundenes Land am Hindukusch. Die jüngsten Ereignisse in dieser von Krisen und Kriegen gebeutelten Region haben uns allen vor Augen geführt, wie ein Land zwischen den Interessen unterschiedlichster Mächte und Akteuren aufgerieben werden kann. Weniger bekannt ist hingegen die Tatsache, dass schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts die damaligen Großmächte Russland und Großbritannien mit allen Mitteln um ihre Einflusssphären in Zentralasien kämpften. Die Auswirkungen dieses Konfliktes, der als „Great Game“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist, spüren wir noch heute, fast 200 Jahre später. Nun halten wir die Schicksalsfäden in der Hand – wird es uns gelingen, den Frieden in den Pamir zurückzubringen? 

REGELN

Nur sechs Provinzen groß ist das Spielfeld, mit dessen Hilfe wir in den nächsten ein- bis dreieinhalb Stunden in die Geschichte Zentralasiens eintauchen, das „Große Spiel“ erleben und dieses möglichst zu unseren Gunsten beeinflussen werden. Wir schlüpfen in die Rolle eines Anführers im Afghanistan des 19. Jahrhunderts und versuchen so, durch wechselnde Koalitionen und Loyalitäten, durch geschicktes Taktieren und Verhandeln und mittels cleverer Planung durch die Wagnisse der damaligen Zeit zu manövrieren und das bessere Ende für uns zu haben. 


Motor des Spieles sind die 142 Karten, die sowohl die Geschehnisse auf dem Spielbrett beeinflussen als auch die Aktionsmöglichkeiten, die die einzelnen Spieler haben. Zu Beginn einer Partie sind diese sehr überschaubar, denn jeder Akteur hat grundsätzlich erst einmal nur zwei unterschiedliche Aktionen zur Verfügung: eine Karte kaufen oder eine Karte ausspielen. Das Angebot an Karten wird in Pax Pamir durch einen Markt bestimmt. Auf diesem liegen immer zwei Reihen à sechs Karten aus, aus denen der aktive Spieler auswählen kann. Dabei sind die beiden äußerst links liegenden Karten kostenlos. Die anderen, rechts anschließenden Karten kosten dagegen Geld, und zwar immer eine Rupie mehr als die Karte links davon, so dass der Preis dieser Karten zwischen einer Rupie und fünf Rupien am rechten Ende des Marktes liegt. Das beim Kauf einer Karte entrichtete Geld wandert allerdings nicht in die Bank, sondern Münze für Münze, ganz links beginnend, auf die anderen Karten des Markttableaus. Das Geld ist also tatsächlich nicht weg, sondern liegt auf den anderen Karten bereit, um dann später als Anreiz und Bonus für potenzielle Kaufinteressierte zu fungieren. 


Mit dem Ausspielen einer Karte nimmt das Spiel dann Fahrt auf, da diese auf vielfältige Weise ins Spielgeschehen eingreifen können. Dabei wird eine Karte immer in die eigene Auslage, den sogenannten „Hof“ gespielt, der sich so erweitert. Zunächst werden aber durch eine ausgespielte Karte einmalig neue Einheiten auf den Spielplan gebracht. Das können Straßen, Armeen, Stämme oder auch Spione sein. Manche Karten bringen sogar frisches Geld ins Spiel. Zudem ist jede Karte einer von vier Farben zugeordnet: Wirtschaft, Militär, Politik oder Diplomatie. Je nach Anzahl und Stärke der Karten einer Farbe in der eigenen Auslage, können so Beschränkungen, wie die Größe der Auslage oder das Handkartenlimit, erweitert oder aber eine Besteuerung durch Gegenspieler gemildert werden. 


Darüber hinaus bringen ausgespielte Karten aber auch noch einen dauerhaften Nutzen, denn sie zeigen immer eines oder mehrere Aktionssymbole, die die Handlungsmöglichkeiten im Spiel facettenreicher machen. Sobald ein Spieler eine Karte in seinen Hof gespielt hat, kann er seine zwei Aktionen pro Zug nicht mehr nur zum „Karte kaufen“ und „Karte spielen“ verwenden, sondern auch für eine seiner Kartenaktionen nutzen. Der Clou: während der gesamten Partie ist immer eine der vier Kartenfarben die sogenannte „bevorzugte Farbe“. Diese kann durch das Ausspielen bestimmter Karten auch wechseln. Allen ist aber gemein, dass Aktionen von Karten, die der aktuell bevorzugten Farbe entsprechen, nicht zum Limit von zwei Aktionen pro Spielzug zählen. Ist also beispielsweise violett (Politik) die bevorzugte Farbe, kann ich, zusätzlich zu den mir zustehenden zwei Aktionen von jeder violetten Karte an meinem Hof, eine weitere als „freie Aktion“ ausführen, wenn ich das möchte. Dabei kann das Timing des Ausspielens sehr entscheidend sein. Durch geschicktes Ausspielen passender Karten kann man durch einen Wechsel der bevorzugten Farbe mitten im Zug sogar die freien Aktionen von zwei verschiedenen Farben nutzen. 


Bevor wir uns die Kartenaktionen genauer ansehen, gilt es zum besseren Verständnis aber zunächst einmal, einen genaueren Blick auf das Spielprinzip der Loyalitäten zu werfen. Während der gesamten Partie Pax Pamir sympathisiert ein Spieler nämlich immer mit einer der drei beteiligten Mächte: den Russen, den Briten oder den Afghanen. Zu Beginn einer Partie erklärt man dazu schlicht und ergreifend, zu welcher der drei Koalitionen man loyal ist. Erklärt man sich beispielweise loyal zur russischen Seite, setzt man von nun an, wann immer möglich, russische Armeen und russische Straßen auf das Spielbrett. Dazu kommt, dass das Ausmaß einer Loyalität stärker wird, je mehr Beute und Geschenke man hat und je mehr Patrioten sich am eigenen Hof tummeln. Doch Loyalitäten können sich ändern. Wann immer es einem Spieler opportun erscheint, kann er seine Loyalität wechseln; sei es durch Anheuerung eines Patrioten einer anderen Couleur oder durch stumpfen Verrat mittels einer Beutekarte. Was so schlimm klingt, ist manchmal pure Notwendigkeit. In Pax Pamir wechseln die Geschicke häufig, und eine gerade noch vielversprechende Koalition kann schnell in eine hoffnungslose Situation geraten. Wer am Hindukusch die Nase vorn haben will, darf sich nicht scheuen, seine Treueschwüre auch mal zu brechen – zur Not auch mehrmals im Verlauf einer Partie. 


Doch nun zurück zu den Kartenaktionen. Neben den bereits erwähnten Einmaleffekten wie dem Einsatz von eigenen Stämmen und Spionen sowie Armeen und Straßen der gewählten Loyalität, eröffnen die Aktionssymbole auf ausgespielten Karten neue Möglichkeiten. So kann man mit einer Aktion Steuern erheben und Rupien kassieren, der gewählten Loyalität Geschenke darbringen oder weitere Armeen rekrutieren und Straßen bauen. Darüber hinaus gibt es auch konfrontativere Aktionssymbole, mit deren Hilfe man Spione auf andere, gerne auch gegnerische Karten wandern lassen kann, wo sie dann mit einer anderen Aktion Karten durch Verrat zerstören können. Und natürlich darf auch die Schlacht als Aktion nicht fehlen, mit der man gegnerische Stämme, Armeen und Straßen auf dem Spielplan dezimieren kann. 


Mit jeder ausgespielten Karte erhöhen sich also die Auswahlmöglichkeiten eines Spielers, um seine beiden Standardaktionen einzusetzen. Und je mehr Karten in dem eigenen Hof liegen, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, abhängig von der bevorzugten Farbe, von mehreren Bonusaktionen zu profitieren. Der Spielablauf von Pax Pamir ist also vorrangig geprägt vom Kauf und Ausspielen von Karten sowie der Beeinflussung der Konstellationen auf dem Spielbrett mittels der Aktionsmöglichkeiten, die einem die Symbole auf den eigenen Karten bieten. Doch all dies übersetzt sich noch nicht automatisch in Siegpunkte, um die es auch in Pax Pamir geht. Die gibt es nämlich nur maximal viermal während einer Partie, und zwar immer dann, wenn eine „Dominanzcheck“-Karte gekauft oder (seltener) vom Markt entfernt wird. 


Im Rahmen der Spielvorbereitung werden vier Karten mit dem Dominanzcheck so in den Kartenstapel eingemischt, dass sie – mehr oder weniger gleichmäßig verteilt – in den unteren zwei Dritteln des Kartenstapels auf ihren Auftritt warten. Wird dann eine solche Karte nach ihrem Erscheinen vom Markt gekauft, wird sofort das Spiel unterbrochen und der Dominanzcheck ausgelöst. Führt dann eine Koalition bei einem solchen Dominanzcheck deutlich, und zwar mit mindestens vier Blöcken (Armeen und Straßen) mehr als die jeweils anderen Koalitionen, erhalten Spieler, die loyal zur dieser Koalition sind, Siegpunkte gemäß ihres Einflusses auf diese, in der Abstufung fünf, drei und einen Punkt(e). Entscheidend ist hierbei die eigene Anzahl der Beutekarten, der Patrioten und Geschenke an die eigene Loyalität. 


Sollte Afghanistan bei einem solchen Check jedoch zersplittert sein und keine Koalition über einen Vorsprung von vier Blöcken gegenüber den jeweils anderen Mächten haben, bekommen die Spieler stattdessen Punkte gemäß ihrer Machtbasis. Diese wiederum bemisst sich nur über die Anzahl von Stämmen und Spionen, die man zum Zeitpunkt des Dominanzchecks auf dem Spielbrett hat. Wer die meisten eigenen Spielsteine auf dem Brett hat, bekommt drei Siegpunkte, der Zweitplatzierte zumindest noch einen Siegpunkt. Abhängig von der (sich häufig ändernden) Anzahl der Armeen und Straßen auf dem Spielbrett sind also zwei völlig unterschiedliche Parameter für die Vergabe der Siegpunkte entscheidend. Richtiges Timing, geschicktes Taktieren (auf dem Spielbrett und abseits davon) und ein gutes Gespür für günstige Gelegenheiten sind daher der Schlüssel zum Sieg in Pax Pamir


Sollte es vorkommen, dass zwei Dominanzcheck-Karten gleichzeitig auf dem Markttableau liegen, wird sogar - ohne Kauf - sofort ein entsprechender Check durchgeführt und dann beide Karten entfernt, sodass in Summe ein Check weniger als üblich gespielt wird. Das Spiel endet, sobald der letzte Dominanzcheck, bei dem die zu vergebenden Punkte noch mal verdoppelt werden, durchgeführt wurde. Es kann allerdings auch sofort enden, falls nach einem Dominanzcheck ein einzelner Spieler mit vier oder mehr Siegpunkten vor allen anderen liegt. In jedem Fall ist aber der Spieler mit den meisten Siegpunkten der Gewinner und kann sich damit rühmen, den größten Einfluss auf das „Große Spiel“ gehabt zu haben. 

GALERIE

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CHECKPOINT

PRO

  • spielt sich gut in allen Besetzungen: mit weniger Spielern konfrontativer, mit mehr Spielern taktischer
  • spannend bis zum Schluss durch häufig wechselnde Geschicke 
  • sehr schönes Spielmaterial mit zeitgenössischen Darstellungen und hochwertigen Komponenten


PRO ODER CONTRA 

  • nichts für friedfertige Aufbau-Fans: hier geht es heiß her – gerne auch mal „in your face“, und das muss man mögen

MEINUNG

Um es direkt vorweg zu nehmen: Pax Pamir hat sich einen Platz unter meinen persönlichen Lieblingsspielen erobert.


Warum? Weil es genau die Atmosphäre an den Spieltisch bringt, wegen der Brettspiele seinerzeit mein Hobby geworden sind. Von der mechanischen Seite betrachtet erzeugt das Spiel einen Spannungsbogen, der bis zum Schluss anhält und bei dem der Sieger häufig erst auf den letzten Metern ermittelt wird. Jeder Zug ist relevant, und die sich rasch ändernden Situationen auf dem Spielbrett machen jede Partie zu einer hoch dynamischen Angelegenheit. Eine einzige, ausgespielte Karte kann den Unterschied machen und aus einer beherrschbarer Konstellation auf einmal ein Bedrohungsszenario werden lassen. Was nun? Dagegen halten? Mit einem anderen Spieler verbünden? Die Taktik ändern? Oder sogar die Seiten wechseln und im Kielwasser des Gegners schwimmen, um im richtigen Moment aus der Deckung zu kommen? Bündnisse werden schnell geschmiedet, um einen gemeinsamen Kontrahenten nicht übermächtig werden zu lassen. Und sie können ebenso schnell wieder zerfallen, wenn sich der Wind dreht. Dieser sprichwörtliche „knife fight in a phone booth“ fesselt die Spieler am Tisch und hält die Spannung hoch.


Dazu trägt natürlich auch der Wertungsmechanismus bei. Punkte sind in Pax Pamir sehr wertvoll. Sie werden nur spärlich dosiert vergeben, und es kommt nicht selten vor, dass eine Partie mit neun oder weniger Punkten gewonnen wird. Umso wichtiger werden auch hier Allianzen, die die Abstände nicht zu groß werden lassen; schon allein aufgrund der Tatsache, dass ein Vorsprung von vier Punkten ja ein Spiel vorzeitig beendet. Pax Pamir ist in jeder Besetzung spannend, wobei eine Zweier-Partie naturgemäß eher konfrontativ verläuft, wo hingegen bei einem Spiel in Vollbesetzung zumeist eher das Taktieren und Paktieren im Vordergrund steht. 


Meines Erachtens noch wichtiger ist aber das Geschehen abseits des Spielbretts. Die Gespräche am Spieltisch, das süffisante Kommentieren eines Spielzuges, die Verhandlungen um einen Steuererlass oder auch das Schmieden einer Allianz gegen einen oder mehrere Gegner – all das macht Pax Pamir zu mehr als ein paar Figuren und Karten, die auf einem Brett eingesetzt werden um Siegpunkte zu generieren. Hier entsteht eine dichte Atmosphäre, prallvoll mit Erstaunen und Anspannung, Freude und Ärger, Triumph und Tragödie. Man muss einfach beim Ausspielen von Dost Mohammed eine Geschichte erzählen, warum er nun ins Geschehen eingreift. Der Bau der Lapislazuli-Mine wird den anderen Akteuren genauso eingehend begründet, wie die hilfreiche Unterstützung durch die Persische Armee begrüßt wird.


Man darf dabei nicht außer Acht lassen, dass Pax Pamir auch (gefühlt) ungerecht sein kann. Wenn die eigenen Pläne nicht aufgehen und nichts so recht gelingen will, kann man schon mal mit seinem Schicksal hadern. Auch in diesem Punkt ist das Spiel nah an der Realität: es gibt Situationen, in denen man nur noch die Wahl zwischen zwei Übeln hat. Dann heißt es: das Beste aus der Situation machen und hoffen, dass sich das Blatt nach dem nächsten Dominanzcheck wendet. Pax Pamir hat – abgesehen von der Verdoppelung der Punkte im letzten Dominanzcheck – keinen eingebauten Ausgleich für hinten liegende Spieler. Das muss man wissen, bevor man sich an den Tisch setzt. „Hilf dir selbst, dann hilft dir Harry Flashman“ ist die Devise des Spiels. Pax Pamir ist eine Achterbahnfahrt, kein Sonntagsspaziergang.


Dass das Eintauchen in die Welt des 19. Jahrhunderts am Hindukusch so gut gelingt, liegt nicht zuletzt an der schönen Umsetzung des Spiels. Das beginnt bei dem Spiel-„Brett“ aus Baumwolltuch, setzt sich mit den schön geformten Spielsteinen aus Kunstharz (Resin) fort und mündet in den Karten, die durchgehend mit wunderschönen, zeitgenössischen Illustrationen gestaltet sind.


Und nach der Partie? Dann sitzt man noch am Tisch und sinniert, wie das Spiel anders gelaufen wäre, wenn man die eine Schlacht nicht gefochten oder den anderen Verrat besser doch begangen hätte. Ob es wirklich klug war, den Dominanzcheck zu kaufen, oder ob man sich doch besser auf einen schnellen Loyalitätswechsel hätte einlassen sollen. Pax Pamir wirkt nach. Und das nicht nur bezogen auf den Ablauf der Partie. Das Spiel lässt die Spieler eintauchen in die politischen Ränke, die Afghanistan schon vor 200 Jahren zum Spielball machten, und das, ohne zu moralisieren, sondern durch Immersion in das Thema. Und wenn die Spielsteine schon längst wieder in der Schachtel ruhen und die Freunde wieder zu Hause sind, sitzt man manchmal noch am Tisch und fragt sich, wie es geschehen konnte, dass uns das „Große Spiel“ auch zwei Jahrhunderte nach den Geschehnissen rund um Zar Peter I., Queen Victoria und Dost Mohammed noch immer in Atem hält.


Ein rundum gelungenes Spiel.

KULTFAKTOR: 10/10

Spielidee: 10/10
Ausstattung: 10/10
Spielablauf: 10/10

Kauf-Hinweis: Die deutsche Version des Spiels ist mittlerweile verlagsseitig ausverkauft (Stand: Januar 2022) und nur noch auf dem Gebrauchtspiele-Markt erhältlich. Ansonsten sind noch fremdsprachige Versionen im Handel, beachtet aber, dass ihr die Kartentexte dann verstehen solltet, denn das Spiel ist nicht sprachneutral.

EUER REZENSENT

ANDRÉ

Ruhrpottkind, Spielkartensammler, Strategiespiel-Geek und 18xx-er. Power to the Meeple!

Eine Rezension vom 26.01.2022

Dieser Spieletest wurde unterstützt durch ein Presse-Exemplar.

Bildnachweis:
Coverfoto: Spielworxx / Wehrlegig Games
Weitere Fotos: Spielkultisten