REZENSION
NAUTILÙS
- Genre: Familienspiel / Taktikspiel
- Jahr: 2020
- Verlag: Nautilùs Games
- Autoren: Benyi, Chris, Kevin, Markus
- Spieler: 2 oder 4
- Alter: ab ca. 10 Jahren
- Dauer: ca. 60 Min.
- Schwierigkeitsgrad: mittel
- Taktiklevel: 7/10
Altes Spiel in neuen Gewässern
Ja, so eine Pazifik-Überfahrt im 19. Jahrhundert dauerte schon eine Weile. Kein Wunder also, dass sich die Schiffsbesatzung mit einem Spiel die Zeit vertrieb. Das können wir auch heute wieder - mit einer eigenen Mischung aus „Mensch, ärgere dich nicht“, „DOG“ und „TAC“.
REGELN
Das Spielbrett aus Holz wird in die Mitte gelegt. Je zwei Spieler bilden ein Team und sitzen sich gegenüber. Sie legen ihre farbigen Murmeln (= Seefahrer) in die vier Löcher ihres Wasserstrudels. Wird nur zu zweit gespielt, spielen beide Spieler mit zwei Farben.
Die Karten werden gemischt, an jeden Spieler werden 5 Karten ausgeteilt. Nachdem jeder Spieler angesagt hat, ob er eine Start-Karte (1 oder 12) besitzt, tauschen sich die jeweiligen Teampartner je eine ihrer Karten aus.
Gespielt wird reihum. Wer am Zug ist und eine Karte spielen kann, MUSS dies tun und danach die entsprechende Aktion durchführen. Sollte einmal keine Karte regelkonform gespielt werden können, muss der Spieler eine Karte abwerfen. Anschließend ist auf jeden Fall der nächste Spieler im Uhrzeigersinn an der Reihe.
Ziel ist es, die vier Murmel-Seefahrer aus dem eigenen Wasserstrudel über das Startfeld, um das Spielbrett herum, in den sicheren Hafen zu bewegen.
Der aktive Spieler spielt also eine Karte. Mit einer 1 oder 12 darf er eine Murmel auf sein Startfeld legen. Ansonsten gilt: Eine schwarze Karte gibt die Anzahl der Schritte vor, die er mit einer seiner Murmeln, die sich bereits im Spiel befinden, machen darf. Goldene Karten haben Spezialeffekte. Wichtig: Die Schrittzahl muss eingehalten werden. Es darf keine Murmel übersprungen werden, egal, von welchem Spieler sie stammt. Passt die Schrittzahl nicht, weil eigene oder fremde Murmeln den Weg blockieren, kann diese Bewegung nicht ausgeführt werden.
Sollte die Bewegung exakt auf einer anderen Murmel enden, wird dieser Seefahrer zurück zu seinem Wasserstrudel katapultiert. Sollte die Bewegung in einer Höhle enden, ist man dort erst einmal sicher. Nur, wenn ein anderer Spieler ebenfalls exakt in diese Höhle zieht, kann eine Murmel dort angegriffen und zurück in den Strudel geschickt werden. Ansonsten aber gilt die Höhle als Ruhepunkt. Sie zählt nicht zum normalen Laufkreis, schützt insbesondere auch vor Überhol- und Rauswurf-Aktionen. Außerdem können Seefahrer so auch die Stelle passieren, ohne blockiert zu werden, was manchmal auch ein guter taktischer Spielzug sein kann.
Wurden sämtliche Karten einer Runde gespielt, wird nun noch die neutrale Moby Dick-Murmel bewegt, sofern sie bereits im Spiel ist. In diesem Fall wird ein normaler 6er-Würfel geworfen und Moby Dick entsprechend weit nach vorn gezogen. Jeder Seefahrer, den Moby Dick überspringt, wird geschlagen und zurück zum eigenen Strudel gestellt (wie gesagt: Murmeln in Höhlen zählen nicht zum Laufkreis und sind geschützt). Sollte ein Spieler hingegen auf das Feld mit Moby Dick ziehen, reitet er auf dieser Murmel bis zum nächsten Seefahrer, der geworfen wird. Der reitende Spieler legt seine Murmel dann am Ende der Bewegung auf das Feld hinter Moby Dick.
Nach jeder Runde werden neue Karten ausgegeben - in den Runden 1 bis 4 jeweils fünf Karten, in der fünften Runde 6 Karten. So werden alle Karten einmal komplett durchgespielt. Erst danach werden die Karten neu gemischt und dann wieder, von vorn beginnend, nach dem gleichen Schema ausgeteilt.
Werfen wir einen Blick auf die Karten. Diese haben folgende Funktionen:
- 1: Einen Seefahrer vom Strudel aufs Startfeld stellen. Alternativ: 1 Schritt vorwärts ziehen.
- 2: Mit einem Seefahrer 2 Schritte vorwärts ziehen.
- 3: Mit einem Seefahrer 3 Schritte vorwärts ziehen.
- 4: Mit einem Seefahrer 4 Schritte rückwärts (!) ziehen. So kann man auch rückwärts in den Zielhafen ziehen, wenn man das Startfeld einmal übersprungen hat.
- 5: 5 Schritte auf beliebige eigene Seefahrer und die des Teampartners aufteilen.
- 6: Mit einem Seefahrer 6 Schritte vorwärts ziehen.
- 7: Mit einem Seefahrer 7 Schritte vorwärts ziehen. Jede übersprungene Seefahrer (ggf. auch ein eigener) wird zurück zum Strudel geschickt.
- 8: Mit einem Seefahrer 8 Schritte vorwärts ziehen oder den nächsten Spieler aussetzen lassen.
- 9: Mit einem Seefahrer 9 Schritte vorwärts ziehen.
- 10: Mit einem Seefahrer 10 Schritte vorwärts ziehen.
- 12: Einen Seefahrer vom Strudel aufs Startfeld stellen. Alternativ: 12 Schritte vorwärts ziehen.
Außerdem gibt es noch einige Bildkarten:
- Nautilùs: Den letzten Spielzug rückgängig machen und für sich selbst nutzen. Moby Dick taucht mit dieser Karte erstmals auf dem Feld hinter dem Startfeld des Spielers auf, der die erste Nautilùs-Karte gespielt hat.
- Kompass: Zwei beliebige (!) Seefahrer vertauschen ihre Plätze, auch Moby Dick darf gewählt werden.
- Teleskop: Die anderen Spieler müssen in dieser Runde mit offenen Karten spielen.
- Sturm: Die Spieler reichen ihre Karten an ihren rechten Sitznachbarn weiter. Der Spieler, der den Sturm gespielt hat, spielt dann direkt noch eine weitere Karte.
- Kaperfahrt: Die Karten des linken Nachbarn nehmen, eine Karte auswählen und für ihn einen Zug machen.
- Seehandel: Eine Karte verdeckt mit dem Teampartner austauschen.
- Moby Dick: Moby Dick bis zum nächsten Seefahrer vorziehen. Dieser wird geschlagen und zurück in den eigenen Strudel gestellt.
Ende des Spiels: Sobald ein Spieler alle vier Murmeln in den sicheren Hafen bewegt hat, spielt er nun noch als Unterstützer für seinen Teampartner, heißt: Er bewegt in seinen Zügen auch die Murmeln des Mitspielers. Das Team, das als erstes Team alle Murmeln im Hafen ansammeln konnte, gewinnt.
Hinweis: Das Spiel ist im Eigenverlag „Nautilùs Games“ erschienen und kann direkt über die Webseite www.nautilusgames.de bestellt werden. Dort gibt es auch ein ergänzendes Erklärvideo der Herausgeber zu sehen.
GALERIE
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CHECKPOINT
PRO
- bekannter Mechanismus mit eigenen Ideen
- Teamspiel
- sehr hochwertiges Spielbrett im maritimen Look
- für alle, denen "Mensch, ärgere dich nicht" zu glückslastig ist, und die neue taktische Möglichkeiten gegenüber "DOG" suchen
CONTRA
- Spielidee grundlegend bekannt
- kann sich mitunter in die Länge ziehen
MEINUNG
Das Team von Nautilùs hat viel Herzblut in die Entwicklung dieses Spiels gesteckt. So setzt man besonders auf nachhaltige Materialien; das Spielbrett aus Birkenholz im maritimen Look ist ein Hingucker, die Murmeln als Spielsteine sind das ebenfalls. Das Team macht keinen Hehl daraus, das das Spiel an die Klassiker Mensch, ärgere dich nicht bzw. deren taktischen Weiterentwicklungen DOG und TAC angelehnt ist. Auf der eigenen Webseite erklärt man offen die Unterschiede und sieht in Nautilùs noch mehr strategische Tiefe. Ist das so?
Zunächst ist es lobenswert, dass man es erst gar nicht versucht, Nautilùs als gänzlich neues Spiel zu vermarkten. Das wäre auch kontraproduktiv, denn natürlich ist auch für einen Otto-Normalverbraucher die Ähnlichkeit zu Mensch, ärgere dich nicht (Mädn) offensichtlich. Wem der Klassiker schon immer zu glückslastig war, der konnte schon länger auf DOG zurückgreifen. Da wurde dann nämlich bereits nicht mehr gewürfelt, sondern es wurden gezielt Karten gespielt; die Bewegungen der Figuren lagen also stärker in den Händen der Spieler und waren nicht mehr nur durch das zufällige Würfelergebnis bestimmt. Viele sagen, DOG sei das bessere Mädn, auch wenn es immer noch nicht so bekannt ist wie das Original. Mit TAC erschien dann ein weiteres Spiel in diesem Segment, und auch DOG entwickelte sich weiter. Vieles aus Nautilùs erinnert dann auch an Black DOG. Da hetzte uns ein Hund über das Spielfeld, in der maritimen Variante ist es Moby Dick.
Die Macher von Nautilùs haben sich dann zudem noch einige neue Sonderkarten einfallen lassen, die im Spiel dann z.B. auch einen Kartentausch erlauben, zusätzliche Moby Dick-Bewegungen oder das Spiel mit offenen Karten erzwingen. So bekommt das Spiel seine eigene Note. Die Tatsache, dass die Funktionen der einzelnen Karten nicht auf den Karten selbst vermerkt sind, ist am Anfang etwas umständlich, da man auf den Referenzkarten nachsehen muss, was so eine Karte nun genau macht. Das ist allerdings recht schnell verinnerlicht und hat zudem den Vorteil, dass auch Hausregeln oder künftige neue Ideen leichter zu realisieren sind. So braucht es keine neuen Karten, sondern einfach nur neue Funktionen, die man ihnen über Referenz-Regeln zuordnet.
Vom Spielgefühl ist Nautilùs dann schon als „klassisch“ einzustufen. Das Spiel mit den Karten und besonders auch das Teamspiel sind natürlich ein taktischer Vorteil gegenüber Mädn, allerdings, das muss ich zugeben, hatte ich diese Vorteile bei DOG auch schon. Die neuen Kartenaktionen bringen aber durchaus Abwechslung ins Spiel, wobei ich nicht mit jeder Aktion so ganz glücklich bin.
Die Tatsache, dass man eigene Murmeln nur mit einer 1 oder 12 ins Rennen bekommt, ist rein von der Wahrscheinlichkeit, solche Karten auf der Hand zu halten, zwar noch vertretbar, doch wir kennen ja Murphys Gesetz. Wenn zu Spielbeginn eines der beiden Teams gleich 6 Möglichkeiten hat, Murmeln einzusetzen, und das andere Team, bei unglücklicher Kartenverteilung, vielleicht nur eine oder gar keine, dann ist das schon etwas ärgerlich. Hier wäre in der Zukunft noch irgendein Ausgleich-Mechanismus schön, der zumindest allen Spielern erlaubt, eine Murmel auf die Laufstecke zu bringen.
Das Worst Case-Szenario passiert natürlich nicht zwingend, aber er kann passieren, dass man in seinen Spielzügen nur Karten abwirft, weil man ansonsten nichts Regelkonformes ausführen kann. Auch die Nautilùs-Funktion, die es erlaubt, die vorherige Aktion wieder rückgängig machen zu dürfen, kann einerseits hilfreich, andererseits aber auch sehr destruktiv sein. Habe ich mit Mühe eine Murmel ins Rennen gebracht oder gerade ins Ziel befördert, muss ich schon eine gewisse Frustresistenz besitzen, wenn mein Gegner dann mit einem "Ätsch!" die Nautilùs-Karte spielt - im besten Fall ist mein Teampartner dann ebenfalls im Besitz einer solchen Karte ... Dieses gewollte Tauziehen führt dazu, dass eine Partie Nautilùs auch mal länger werden kann, als man es anfangs vermutet. Ja, sogar 2-Stunden-Partien sind dann möglich.
Wie ich schon öfters in anderen Rezensionen erwähnte, gehöre ich ausdrücklich nicht zu den Spielern, die Mensch, ärgere dich nicht und Co. verteufeln. Von daher ist mir das klassische Spielprinzip auch heute noch sympathisch und Nautilùs hat auch nette eigene Ideen, die eben diesen Klassiker auf eine neue Ebene heben. Allerdings gibt es halt schon DOG. Wer DOG oder insbesondere auch Black DOG bereits besitzt, wird sich zweimal fragen, ob er auch noch Nautilùs benötigt. Die Frage nach der Zielgruppe ist somit die schwierigste. Zunächst einmal richtet sich Nautilùs natürlich an die Spieler, die diesen bekannten Mechanismus mögen. Wer bisher nur Mädn kannte, wird sich mit Nautilùs gut unterhalten fühlen. Stellen wir DOG / Black DOG in den Vergleich mit Nautilùs, so unterscheiden sich die Spiele dann mehr in kleinen Feinheiten. DOG ist insgesamt zugänglicher für Familien, Nautilùs richtet sich mit seinen neuen kleinen feinen taktischen Möglichkeiten noch mehr an die Gruppe, die eine größere Herausforderung sucht und die Gegenspieler noch gezielter ausmanövrieren möchte.
Der Preis von ca. 50 Euro geht für die hochwertige Ausstattung des Spiels sicher in Ordnung, ja, so wird ein Klassiker schon zum Hingucker - ein Spiel, das man auch einfach zu dekorativen Zwecken in seiner Wohnung platzieren kann. Nachhaltigkeit bei Spielmaterialien ist sicher ein guter Ansatz, die Tatsache, dass man dem Spiel keine Spielanleitung beilegt, sondern diese zum Download anbietet, finde ich dennoch etwas schade. Die meisten Spieler werden sich diese dann eh ausdrucken, und wenn ich ein klassisches Brettspiel kaufe, dann wünsche ich mir, dass ich eigentlich möglichst ohne technische Hilfsmittel losspielen kann. Eine dauerhafte (Papp-)Spielschachtel mit einer gedruckten Anleitung (gern auf 100%-Recycling-Papier) wäre für die Zukunft für mich schon noch wünschenswert, da die Zielgruppe für ein solches Spiel sicher weniger bei denen zu suchen ist, die sich Spiele hauptsächlich über YouTube-Videos beibringen.
Alles in allem ist Nautilùs für mich keine spielerische Revolution; ich denke, das erwartet aber auch niemand. Auf jeden Fall ist Nautilùs ein ebenbürtiger Mitstreiter in der Gruppe von Spielen rund um Mädn, DOG und TAC, mit erhöhtem Anspruch. Wer bereit dazu ist, dass sich eine Spielpartie aus genannten Gründen auch zeitlich mal etwas in die Länge strecken kann, erhält einen (auch optisch) reizvollen Vertreter dieses Genres. Ich vergebe anhand der Eindrücke in unseren Testrunden insgesamt gute 7 Kultpunkte.
KULTFAKTOR: 7/10
Spielidee: 7/10
Ausstattung: 9/10
Spielablauf: 7/10
EUER REZENSENT
INGO
Vielspieler, Skifahrer, Italien-Fan, Medienheini
Eine Rezension vom 06.04.2021
Dieser Spieletest wurde unterstützt durch ein Rezensionsexemplar.
Bildnachweis:
Coverfoto: Nautilùs Games
Weitere Fotos: Spielkultisten