REZENSION
MILLE FIORI
- Genre: Familien-/ Taktikspiel
- Jahr: 2021
- Verlag: Schmidt Spiele
- Autor: Reiner Knizia
- Illustration: Stephan Lorenz, Marina Gonzáles
- Spieler: 2 bis 4
- Alter: ab 10 Jahren
- Dauer: ca. 60 bis 90 Min.
- Schwierigkeitsgrad: leicht bis mittel
- Taktiklevel: 6/10
Glas- und Draftkunst in der Lagune
Venedig ist berühmt für sein Glas-Kunsthandwerk. Genau darum dreht sich alles in diesem gehobenen Familienspiel. Ihr engagiert euch in verschiedenen Stadtteilen der im Spiel fiktiven Lagunenstadt, sammelt Punkte, Boni und Extraspielzüge in einem Wettrennen, das am Ende die Frage beantwortet, wer wohl der beste Glashersteller der Stadt ist.
REGELN
Wichtiger Hinweis: Die Regeln beziehen sich auf das hier getestete Exemplar der ersten Auflage. Mittlerweile gibt es eine überarbeite Spielanleitung, in der es zu kleinen Regeländerungen kommt (Kartenverteilung). Um die aktuelle Fassung der Regeln zu erhalten, nutzt bitte den Download der Anleitung auf der Verlags-Homepage von Schmidt Spiele [Link zur Webseite].
Jeder Spieler erhält eine Spielfigur für die Punkteleiste sowie ein Schiff, das auf das Startfeld der Handelsroute auf den Spielplan gestellt wird. Dazu erhält jeder Spieler 30 durchsichtige Farb-Rauten aus Plastik, die das Glas darstellen sollen. Von diesen Rauten legt jeder Spieler fünf als Reserve zur Seite, die anderen 25 Rauten können während des Spiels auf den Spielplan gebracht werden (in der ersten Auflage: drei Rauten, 27 übrig).
Die Karten werden gemischt und als verdeckter Stapel bereitgelegt. Von diesen Karten erhält jeder Spieler 5 erste Karten auf die Hand. Zudem wird eine offene Auslage vorbereitet. Vor jeder Runde gesellen sich so viele Karten in die offene Auslage hinzu, wie Spieler teilnehmen (ebenfalls vom Stapel).
Das Spiel folgt einem simplen Schema: Von den Handkarten sucht sich jeder Spieler eine Karte aus, die er in seinem Spielzug spielen möchte. Die legt er erst einmal verdeckt vor sich ab. Haben alle Spieler ihre Karte gewählt, deckt der Startspieler (der Spieler mit der Dogen-Karte) seine gewählte Karte auf, führt die Aktion aus und legt die Karte anschließend auf den Ablagestapel. Das machen alle anderen Spieler reihum genauso. Die übrigen Handkarten werden an den linken Nachbarn weitergereicht. Wieder suchen alle Spieler eine Karte aus, machen ihre Aktionen, geben die Karten weiter. Von den letzten beiden (bei 2 Spielern von den letzten drei) Karten wird schließlich jeweils noch einmal eine Karte für eine Aktion ausgewählt, die übrigen Karten kommen in die offene Auslage neben den Spielplan. Nach einer Runde wechselt die Dogenkarte zum nächsten Spieler weiter, d.h. der Startspieler ist nun ein anderer Spieler. So werden weitere Runden gespielt.
Eine ausgespielte Karte ermöglicht dem Spieler eine angegebene Hauptaktion oder stets, egal welche Karte der Spieler spielt, eine Alternativaktion. Durch Hauptaktionen kommen Rauten aufs Spielbrett, die Punkte liefern, an bestimmten Stellen Extrakarten aus der Auslage sowie Punkteboni für spezielle Kombinationen.
Das Spielbrett ist in fünf Stadtbereiche unterteilt, die auch farblich unterschiedlich dargestellt sind. Zu jedem Feld gibt es ein Karten-Pendant. Spielt der Spieler also eine Karte aus, so wird damit zunächst das Stadtviertel der Aktion bestimmt. Symbole auf den Karten können dann noch teilweise die Feld-Auswahl eingrenzen.
Werkstätten (gelb): Hier muss ein Feld belegt werden, das das Symbol der Karte zeigt. Dafür gibt es 1 Punkt. Werden in späteren Spielzügen weitere Rauten angrenzend an bereits liegende eigene Rauten gelegt, wird immer die Gesamtzahl an belegten Feldern so einer Gruppe gewertet, heißt: 5 aneinander liegende Rauten bringen 5 Punkte. Spielt der Spieler eine Verdoppler-Karte für diesen Bereich, gibt es in diesem Spielzug für eine neu gelegte Raute die doppelte Punktezahl für alle eigenen Rauten der Gruppe.
Wer 4 verschiedene Symbole belegt hat, erhält einen Punkte-Bonus (das höchste noch verfügbare Bonusfeld), und wer eine Raute legt, mit der das Extrakarten-Symbol komplett umschlossen wird (egal, welche Spieler sonst daran beteiligt sind), erhält eine Extrakarte aus der offenen Auslage, die ihm sofort einen Bonus-Spielzug - entsprechend der gewählten Karte - gewährt.
Gebäude (lila): Hier werden die Felder der Reihe nach belegt. Der Spieler erhält die Punkte des belegten Feldes. Sollte ein Spieler mehrere Rauten seiner Farbe hintereinander platzieren können (in einzelnen Spielzügen oder durch Bonusaktionen), gibt es für jede neue Raute auch noch einmal die Punkte der Felder hinzu, die zu dieser durchgängigen Kette an eigenen Rauten beitragen.
Wer als erster Spieler 4 verschiedene Punktezahlen belegt hat, erhält den höchsten Punkte-Bonus. Für 3 bzw. 5 unterschiedliche Zahlen gibt es eine Extrakarte.
Personen (hell- und dunkelgrün): Die Felder der Nobili und Populi werden pyramidenartig belegt. So muss die erste Raute immer in der untersten Reihe platziert werden. Um eine Raute in der mittleren Reihe platzieren zu dürfen, müssen die beiden Felder darunter unterfüttert (also belegt) sein, egal, von welchen Spielern. Gleiches gilt für eine Raute in der dritten Reihe. Symbole müssen in diesen Stadtvierteln nicht zwingend passend gelegt werden, verdoppeln allerdings die Punkte pro Raute von 1 / 3 / 6 (je nach Reihe) auf 2 / 6 / 12 Punkte.
Wer als erster Spieler 3 unterschiedliche Symbole belegt hat, erhält den höchsten Punkte-Bonus. Wer ein Feld der obersten Reihe belegt, erhält eine Extrakarte.
Handel (hellblau): Hier muss ein Feld passend zum ausgespielten Symbol belegt werden. Jedes Symbol hat seine eigene Warenspalte. Wird eine Raute in einer Spalte abgelegt, so wird der Warenwert dieser Spalte bestimmt: Dazu wird einfach die Anzahl der in dieser Spalte abgelegten Rauten verwendet - egal, von wem die Rauten stammen. Liegen 4 Rauten in einer Spalte, ist jede Raute (inkl. der neu hinzugefügten) 4 Punkte wert. Jeder Spieler, der in dieser Spalte mit einer oder mehreren Rauten vertreten ist, erhält die Punkte so einer Wertung.
Wer als erster Spieler 4 unterschiedliche Waren belegt hat, erhält den höchsten Punkte-Bonus. Wer eine Spalte mit einer Raute belegt, die ihm weniger Punkte beschert als einem oder mehreren anderen Spieler(n), erhält eine Extrakarte.
Hafen (dunkelblau): Mit einer ausgespielten Hafen-Karte belegt der Spieler ein beliebiges Schiffsfeld und zieht das Schiff um so viele Felder auf der Handelsroute nach vorn, wie es der Zahl im Steuerrad der Karte entspricht. Das Feld, auf dem das Schiff landet, bestimmt die Punktezahl bzw. ob der Spieler eine Extrakarte erhält.
Wurden alle 3 Anlegeplätze einer Reihe mit Rauten belegt, legen die symbolisierten Schiffe ab. Nun wird die angrenzende Handelsreihe betrachtet. Jede Raute im Hafen ist 1 / 3 / 6 / 10 Punkte wert, je nachdem, ob in dieser Reihe 1 / 2 / 3 / 4 Warenfelder belegt wurden.
Die Alternativaktion: Möchte ein Spieler nicht die Aktion der Karte nutzen, kann er stattdessen auch einfach die Zahl auf dem Steuerrad der Karte dafür gebrauchen, sein Schiff entsprechend nach vorn zu ziehen.
Spielende: Wurde der Nachziehstapel aufgebraucht und kein Spieler besitzt mehr eine Handkarte, endet das Spiel. Das Spiel endet vorzeitig, wenn ein Spieler seine letzte verfügbare Raute aufs Spielbrett bringt. Die Spielzüge werden noch vollendet, ggf. kommen die Ersatz-Rauten zum Einsatz. Dann gewinnt schließlich der, der auf der Punkteleiste am weitesten vorn steht.
Variante: Für ein taktischeres Spiel wählen die Spieler ihrer Aktionskarten nicht gleichzeitig verdeckt aus, sondern spielen sie immer erst als Reaktion auf den Vordermann. So wird der Glücksfaktor an dieser Stelle komplett ausgeschaltet.
GALERIE
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CHECKPOINT
PRO
- kurzweiliges (gehobenes) Familienspiel
- taktisch geprägt, viele Optionen
- wirkt stets belohnend durch viele Punkte und Boni
- schöne Tischpräsenz
- zwei Varianten möglich - eine eher spaßig-chaotische und eine gut planbare
CONTRA
- Grundmechanismen kennt man - getrennt betrachtet - aus anderen Spielen
MEINUNG
Venedig, La Serenissima - als langjähriger Italien-Fan meine unangefochtene Lieblingsstadt. Enge Gassen, romantische Kanäle, ehrwürdige Gondeln, geschichtsträchtige Palazzi mit einer langen Historie, imposante Monumente - all das findet man in der Lagunenstadt, die man besonders dann für sich entdecken kann, wenn die Touristenströme verschwunden sind. Das Glas-Kunsthandwerk wird hier zelebriert, und Mille Fiori (italienisch für "tausend Blumen" und der Name einer Glasware) ist eine Hommage an diese Kunst, wenn die Stadt, in der das Spiel spielt, in der Spielstory als solche gar nicht benannt wird, sondern fiktiv bleibt. Die Assoziationen hingegen sind real.
Das Spielschachtel-Cover wirkt dabei eher klassisch und überzeugt viele Spieler wahrscheinlich nicht direkt durch ein spannendes Thema - aber wer das Spiel erst einmal auf dem Tisch liegen hat, erlebt eine tolle Tischpräsenz! Der Spielplan ist freundlich gestaltet, die farbigen Glas-Rauten (nun gut, sie sind eigentlich aus Plastik) erfüllen den Plan zunehmend mit farbenfrohem Leben. Das sieht echt schön aus, und lädt definitiv zum Spielen ein.
Spielerisch ist Reiner Knizias Werk an bekannte Mechanismen angelehnt. Ja, so einen Karten-Draft-Mechanismus kennen wir mittlerweile aus vielen Spielern, und das Belegen der Felder in den verschiedenen Stadtteilen erinnert wiederum an Roll-and-Write-Spiele, bei denen ebenfalls durchs taktische Platzieren (von Kreuzen, hier von Rauten) auf verschiedene Weise Punkte generiert, Boni ausgelöst und Extraspielzüge erspielt werden können. Nun hat bei Mille Fiori aber nicht jeder Spieler sein eigenes Spielblatt, sondern es wird auf einem großen Gemeinschaftsplan gespielt - und dadurch ergibt sich eine schöne Dynamik, die durch die Interaktion hervorgerufen wird.
Das verdeckte "Bieten" auf ein Aktionsfeld führt öfters dazu, dass einem ein Spieler, der vor einem an der Reihe ist, ein gewünschtes Feld vor der Nase wegschnappt. Ja, manchmal möchte man eine Mitspieler „lesen“ können, um zu wissen, welche Karten sie wohl als nächstes spielen. Der Startspieler ist da im Vorteil, da er seine Aktion sicher durchbekommt, aber das ist kein Garant für einen Spielsieg, denn der Startspieler wechselt nach jeder Runde. Ja, gerade das Auswählen der Karte und das Zittern, ob die für gut befundene Aktion dann gleich auch noch das nötige Feld zur Verfügung stellt, verursacht eine schöne Spannung und auch Emotionen. Wer so etwas nicht mag, der kann auch mit der eher nüchternen Taktik-Variante spielen. Dann kann auf Spielzüge aktiv reagiert werden, allerdings wird das Spiel dadurch länger und grübellastiger - und für mich nur halb so lustig.
Dabei ist Mille Fiori kein Glücksspiel - es ist ein Spiel mit dem Glück, ja, aber es ist taktisch geprägt. So muss ich stets meine Optionen im Blick behalten und versuchen, meine Aktionen so geschickt zu kombinieren, dass ich Kettenspielzüge auslöse. Schließlich ist das Spiel auch einfach ein Wettrennen. Das betrifft sowohl die Punkte-Boni als auch das Spielende. Hat ein Spieler alle Rauten untergebracht, endet das Spiel vorzeitig. Blöd, wenn man dann selbst viele Zusatz-Aktionen verschenkt hat und am Ende noch auf zehn ungenutzten Rauten sitzen geblieben ist.
Diese Boni, diese Kettenzüge, ja überhaupt der Punkte-Regen, der sich während des Spiels über die Spieler ergießt - das alles in Kombination ist wunderbar belohnend. So hat man nie das Gefühl, dass man ins Blaue spielt, um am Spielende festzustellen, dass man doch weniger Punkte gesammelt hat, als gedacht. Nein, hier sieht man stets das Ranking. Und auch wenn ein Spieler mal 30 Punkte vorn liegt, heißt das bei Mille Fiori noch gar nichts. Ein, zwei Boni eingesackt - und schon ist man wieder im Rennen. Unsere Spielergebnisse waren stets eng, jede Partie war unterhaltsam. Da verzeiht man es dem Spiel auch, dass Marker für die 100-Punkte-Überschreitung wohl einfach vergessen oder nicht für nötig betrachtet wurden. Das ist aber nur ein Mini-Manko am Rande, denn da kann man sich recht leicht behelfen, sollte man da etwas vergesslich sein, was die Frage betrifft, wie oft man das Spielfeld nun gerade umrundet hat ... Im Spiel zu zweit sind Punkte jenseits der 200 keine Seltenheit.
Mille Fiori ist sicher kein Spiel für die Hardcore-Strategiespieler. Obwohl die einzelnen Punkteregeln erst einmal verstanden und behalten werden müssen, ist die Spieltiefe für die Expertenspieler einfach zu gering und den meisten in der Standard-Variante auch zu glückslastig. Angeleitete Wenig- bzw. Gelegenheitsspieler gehören da eindeutig mehr zur Zielgruppe dieses Spiels. Auch Vielspieler können sich sicher für eine Runde erwärmen, wenn sie akzeptieren, welche Art von Spiel da vor ihnen liegt. Als Familienspiel macht das Spiel seine Sache jedenfalls sehr gut.
Ja, für mich ist Mille Fiori sogar ein Familienspiel, wie es im Buche steht. Okay, vielleicht ist es ein gehobenes Familienspiel mit seinen verschiedenen Wertungen und taktischen Bonus-Überlegungen. Wer so etwas bereits in Roll-and-Write Spielen wie Ganz schön clever und Co. mochte, der wird sicher auch an Mille Fiori Gefallen finden. Es ist sicher nicht DIE Spieleinnovation des Jahres, aber das Spiel ist grundlegend sympathisch, erzeugt Spannung und Emotionen - und kommt einem dabei nie zu lang vor, da immer alle gleichzeitig in eine Partie involviert sind. Das Spielgefühl kann zudem über die Spieleranzahl und die gewählte Variante an die eigenen Vorlieben angepasst werden - ob rein taktisch oder mit spaßigem Gerangel - beides ist möglich.
Ich vergebe alles in allem sehr gute 8 Kultpunkte - weniger für etwas völlig Neuartiges, aber für eine absolut stimmige Komposition und eine - für mich und für die anvisierte Zielgruppe - attraktive Optik. Von meiner Seite aus auf jeden Fall eine Empfehlung wert!
VIDEO
Unser Video zum Spiel findet ihr auf YouTube: https://youtu.be/Wkr2wUIJ2z8
KULTFAKTOR: 8/10
Spielidee: 7/10
Ausstattung: 9/10
Spielablauf: 8/10
TEAM-TREND
Die Kultfaktor-Wertungen weiterer Spielkultisten:
Anna: 8/10
Verena: 8/10
Karsten: 7/10
EUER REZENSENT
INGO
Vielspieler, Skifahrer, Italien-Fan, Medienheini
Eine Rezension vom 21.10.2021
Bildnachweis:
Coverfoto: Schmidt Spiele
Weitere Fotos: Spielkultisten