REZENSION
MERCHANTS COVE
- Genre: Taktikspiel
- Jahr: 2022
- Verlag: Final Frontier Games Games / deutsche Version: Pegasus Spiele
- Autoren: Jonny Pac, Carl Van Ostrand, Drake Villareal
- Grafik: Mihajlo Dimitrievski
- Spieler: 1 bis 4
- Alter: ab 10 Jahren
- Dauer: ca. 60 bis 90 Minuten
- Schwierigkeitsgrad: leicht, Zugang: mittel
- Taktiklevel: 7/10
Der Handel blüht
Als Händler bieten wir im Hafen von Merchants Cove die unterschiedlichsten Waren an. Die Abenteurer, die am Steg mit dem Schiff anlegen, haben da unterschiedliche Wünsche. Wer die Nachfrage gut antizipiert und zu den eigenen Gunsten beeinflusst, kann in diesem asymmetrischen Eurogame richtig viel Gold, respektive Punkte, verdienen.
REGELN
Jeder wählt bzw. erhält einen eigenen Charakter sowie sämtliches passendes Spielmaterial inkl. einem eigenen Spielertableau und Verkaufsregal. Legt den Spielplan aus, bestückt ihn mit ersten Gildenmitgliedern jeder Farbe, mit Karten sowie sechs Booten, die zu Beginn einer Runde in der Bootsphase jeweils mit zwei zufälligen Abenteurern aus dem Beutel befüllt werden. In jedem Boot ist Platz für insgesamt vier Abenteurer, weitere folgen im Spiel. Es gibt blaue, gelbe, grüne und rote Abenteurer, aber auch graue Schurken. Die zufällig aufgedeckte Schurkenkarte bestimmt, wie viele Schurken in den Unterschlupf gestellt und wie viele in den Beutel gemischt wurden. Teilweise haben die Schurkenkarten auch noch individuelle Effekte.
Phase 2 jeder Runde ist die Aktionsphase. Die Reihenfolge der Spieler wird mit den Zeitmarkern auf der Uhr des Spielplans bestimmt. Es ist immer derjenige am Zug, der am weitesten hinten steht bzw. sich oben in einem Stapel aus Zeitmarkern befindet. Die dann gewählte Aktion auf dem eigenen Board verursacht Zeit, heißt, der Zeitmarker wandert mit jeder Aktion weiter. Um eine Aktion zu wählen, muss die eigene Figur auf das passende Aktionsfeld gezogen werden, wobei keine Aktion zweimal hintereinander gewählt werden darf.
Zwei Aktionen gleichen sich bei allen Charakteren: So ist es jedem möglich, gegen Abgabe der geforderten Zeit, teilweise auch gegen Aufnahme einer Korruptionskarte, einen Städter zu sich zu holen. Die Städter-Karten liefern Gildensymbole, aber auch einen einmaligen Effekt, der beim Kauf ausgeführt wird (z.B. Elimination von Korruptionskarten oder die Produktion einer Ware). Die Karte wird dann hinter den eigenen Aktionsstreifen geschoben und einer der Mitarbeiter-Aktionen zugeordnet. Das Ausführen sämtlicher mit Karten aktivierter Mitarbeiter-Aktionen ist eine weitere mögliche Standardaktion.
Jeder Charakter besitzt aber nun eine eigene Spielweise, wie er an Waren gelangt, deren Produktion ja das Hauptziel des Spiels ist. Ohne auf alle Details eingehen zu wollen, gibt es im Grundspiel folgende Optionen, von denen jeder nur die eigene, also die seines Charakters ausführt:
- Beim Schmied werden Öfen mit Würfeln gefüllt. Dabei gilt es, bestimmte Summen zu erzielen, um Waren zu erhalten. Die Würfel können manipuliert werden, auch können neue Würfel geschmiedet werden. Je nach Größe des Ofens gibt es eine große oder kleine Ware in der Farbe des Würfels, der auf dem oberen Feld platziert wurde.
- Als Kapitänin geht es auf hohe See. So können mit den Aktionsfeldern Schiffe bewegt, kleine Meerestiere geangelt oder Schatztruhen für große Waren gehoben werden. Auch kann der Kompass gedreht und so noch mehr Bewegung generiert werden. Manche Aktionen kosten aber zusätzlich Münzen, die man sich mit einer weiteren Aktion auch wieder zurückholen kann.
- Bei der Alchemistin werden die Zauberkessel mit Zutaten (= Murmeln) gefüllt, die auf eine taktische Weise dem Dekanter entnommen werden. Je nach Kombination entstehen große oder kleine Waren in den verschiedenen Farben. Eingesetzte schwarze Magie hingegen wird nach dem Brauen gesondert gesammelt und kann Korruption verursachen.
- Der Zeitreisende bewegt immer zwei Figuren im Ziehharmonika-Prinzip auf die auswechselbaren Portal-Felder, auf denen u.a. Waren generiert werden. Regelmäßig gibt es Zwischenstopps, die Zeitmarker liefern, welche wiederum Zeit einsparen können beim Ausführen der Aktionen, und es werden Portale getauscht.
Beim Ziehen der Zeitmarker über die Uhr werden regelmäßig neue Abenteurer aus dem Beutel gezogen und auf einem vom gerade aktiven Spieler gewählten Schiff platziert. Ist ein Schiff komplett mir Abenteurern gefüllt, wird es zu einem Steg gezogen. Es gibt drei Schiffe links und drei Schiffe rechts von der Insel. Wurden je zwei Schiffe pro Seite zum Anlegen gebracht, werden die Abenteurer auf die jeweiligen Stege gestellt. Das dritte Schiff auf jeder Seite legt nicht an, die Abenteurer werden stattdessen in ihre Gildenhäuser gestellt, Schurken in den Unterschlupf.
Haben alle Zeitmarker den Markt-Marker erreicht, findet die Marktphase statt. Jeder darf nun reihum sämtliche eigene Waren an farblich passende Abenteurer auf den Stegen verkaufen.
- Auf dem linken Steg dürfen nur große Waren verkauft werden.
- Auf dem mittleren Steg dürfen nur kleine Waren verkauft werden.
- Auf dem rechten Steg, dem Schwarzmarkt, dürfen großes und kleine Waren verkauft werden, allerdings nur unter Hinzunahme einer Korruptionskarte.
Der Wert einer Ware wird bestimmt durch den aufgedruckten Preis, der mit der Anzahl wartender Abenteurer am entsprechenden Steg multipliziert wird. So erhaltenes Gold wird immer direkt auf der Punkteleise abgetragen; bei mehr als 100 Punkten gibt es für jeden Hunderter einen Rubin.
Jeder Charakter besitzt auf seinem Tableau zudem freischaltbare Unterstützungsfelder in allen vier Farben. In der zweiten Hälfte der Marktphase liefern aktivierte Felder jeweils so viel Gold pro Abenteurer-Farbe, wie Abenteurer im entsprechenden Gildenhaus stehen.
Auf diese Weise werden drei Runden gespielt. In jeder weiteren Runde wird ein Maus-Marker von der Uhr auf die niedrigste Uhrzeit gelegt. So haben die Spieler mit jeder weiteren Runde weniger Zeit zur Verfügung, dafür aber die Möglichkeit, an leeren Maus-Feldern Zeit einzusparen, wenn sie gegen Korruption einen Umweg gehen.
Schlusswertung: Nach der letzten Runde gibt es für gesammelte Gildensymbole auf Städter- und Korruptionskarten noch einmal jeweils so viele Punkte, wie Abenteurer in den farblich passenden Gildenhäusern stehen. Jedes Korruptionssymbol hingegen ist so viele Minuspunkte wert, wie Schurken im Unterschlupf stehen.
Wer nun die meisten Punkte (= das meiste Gold) sammeln konnte, gewinnt.
Das Spiel bietet zudem einen Solo-Modus mit eigener Spielertafel und Solo-Karten.
GALERIE
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CHECKPOINT
PRO
- grandiose Optik
- eine im Kern simple Mechanik mit asymmetrischen Mini-Spielen
- taktisch beeinflussbarer Handel
- funktioniert gut in Gruppen mit geringerer Erfahrung in komplexen Spielen
CONTRA
- rein spielerisch jetzt nicht besonders herausfordernd
- viel Erkläraufwand
- mitunter fühlt es sich repetitiv an
MEINUNG
Wow, die Tischpräsenz von Merchants Cove ist grandios, keine Frage. Da kommt dann recht schnell die Frage auf, ob das Spiel denn auch spielerisch mit dem gebotenen Augenschmaus mithalten kann.
Was erwartet euch in Merchants Cove? Im Kern ist das Ziel schnell erklärt: Ihr produziert Waren in vier Farben und zwei unterschiedlichen Größen und verkauft sie an den passenden Stegen des Hafens an die dort farblich passenden Abenteurer. So weit, so leicht. Interaktion entsteht dann vor allem durch die Bestückung der Boote. Die Spielerreihenfolge nach dem Prinzip „der Letzte zuerst“ erinnert an andere Spiele, die ein ähnliches System verwenden, Nova Luna zum Beispiel, Patchwork, ... Bei Merchants Cove lässt sich da nur im kleinen Rahmen taktieren, da die Aktionen eigentlich immer eine oder zwei Stunden auf der Uhr verbrauchen, sodass keine großen Unterschiede entstehen, die alles komplett durcheinander wirbeln, aber dennoch: Wer zuerst über eine Markierung auf der Uhr zieht und einen neuen Abenteurer aus dem Beutel in ein Schiff stellt, hat manchmal eben doch den entscheidenden Vorteil, darüber zu bestimmen, ob eine bestimmte Abenteurer-Farbe eher für große oder kleine Waren taugt. Auch entscheidet sich letztlich darüber, wie viele Minuspunkte am Ende durch Schurken entstehen. Fakt ist: Das Glück spielt beim Ziehen aus dem Beutel natürlich auch mit, dennoch ist das der interaktivste Teil des Spiels.
Direkte Berührpunkte gibt es im restlichen Spiel nicht. Merchants Cove verläuft gefühlt schon sehr solitär, jeder kocht auf seinem Händler-Tableau sein eigenes Süppchen. So kann das Spiel gut als Einstieg in die Welt asymmetrischer Spiele genutzt werden. Das bedeutet aber auch: Es erfordert erst einmal einiges an Erklär-Aufwand, wenn Neulinge mitspielen. Klar, man kann ihnen auch das jeweilige Regelheft in die Hand drücken, aber sinnvoller ist es schon, wenn jemand erläutert, was nun jeder zu tun hat, und das ist, bis auf die Administration des großen Spielplans, dann im Ziel zwar gleich, in der Umsetzung mit jedem Charakter jedoch verschieden.
Wer nun angesichts der Größe der Schachtel ein episches Spiel erwartet, der mag eventuell enttäuscht werden. Merchants Cove würde ich fast als „Familienspiel plus“ einordnen, ja, die Einordnung als Kennerspiel geht auch in Ordnung, aber rein spielerisch sind es eher parallel gespielte Minispiele, die wir hier absolvieren. Nun ist es für die anderen Spieler am Tisch meist nicht allzu spannend, bei den Aktionen der anderen zuzuschauen; einzig die Frage, welche Waren da produziert werden, kann die eigene Entscheidung bezüglich der Hafen-Belegung beeinflussen.
Die eigenen Spielzüge sind immer recht schnell abgehandelt, der Spielspaß ist dabei ein wenig abhängig vom gewählten Charakter. Der Schmied und die Alchemistin werden vor kleine Optimierungsaufgaben gestellt, für sich nicht neu, aber zumindest kurzfristig reizvoll. Der Zeitreisende kam bei uns weniger gut an, da der Ablauf seiner Züge recht vorgegeben erscheint. Dennoch möchte man gerade anfangs gern alle Charaktere kennenlernen, auch die der Erweiterungen. So ist erst einmal Abwechslung vorhanden, die ein wenig darüber hinwegtäuscht, dass die eigentliche Mechanik innerhalb einer Partie recht repetitiv erscheint. Gefühlt mache ich in meinen Spielzügen immer das selbe, um an mein Ziel zu gelangen, nämlich Waren zum Handeln generieren. Alternative Strategien gibt es da nicht wirklich, denn die Punkte der Gilden allein sind mehr Bonus.
Wenn ihr meine Wertung seht, werdet ihr feststellen, dass Spielidee und Ablauf für mich insgesamt keine 9 Punkte darstellen, so wie ich sie für die Ausstattung des Spiels vergebe. Die ist - bis auf die teils ausfransende Pappe bei den Schiffen und Regalen - eigentlich perfekt, inklusive Sortiereinlage. Meine Kultwertung fällt dementsprechend auch etwas verhaltener aus. In gemischten Runden, in denen nicht nur Geeks am Tisch sitzen, kommt Merchants Cove gut an, und wenn ihr einen Blick auf unseren Team-Trend weiter unten werft, dann seht ihr, dass andere Spielkultisten dem Spiel auch noch mehr zugeneigt sind als ich. Für mich ist Merchants Cove definitiv kein schlechtes Spiel, es ist auf jeden Fall sympathisch, wirklich schön anzusehen, und, wie eben schon gesagt, bestens geeignet, um Neulinge an asymmetrische Spielweisen heranzuführen.
Dennoch birgt es mit seiner Opulenz die Gefahr, falsche Erwartungen zu wecken. Das, was ich in den asymmetrischen Mini-Spielen letztlich mache, ist für sich genommen dann - mit etwas Spielerfahrung - weniger innovativ, als ich es mir vielleicht gewünscht hätte. Ja, vielleicht hätte ich mir auch noch irgendwelche Möglichkeiten gewünscht, von anderen Charakteren spielerisch zu profitieren bzw. an ihrem Handeln zu partizipieren. Um es als genialen Dauerbrenner zu bezeichnen, fehlt mir persönlich da leider noch der entscheidende Kick, der dem Regelaufwand gerecht wird. Zwischendurch spiele ich Merchants Cove aber dennoch gern mal mit.
Fazit: Je nach Gruppe und Spielerfahrung vergebe ich im Durchschnitt 7 Punkte - mit Meinungsausschlägen in beide Richtungen, wie es sich in unseren Partien zeigte. Eine Empfehlung geht an die Personen, die keine Expertenspiel-Kost erwarten, sondern ein eher lockeres Kennerspiel mit wunderschöner Optik. Einzig die Bereitschaft, ein paar Regeln mehr zu lesen als in vergleichbaren Spielen, muss anfänglich vorhanden sein.
VIDEO
Unser Video zum Spiel findet ihr auf YouTube: https://youtu.be/79Stac-LUy4
KULTFAKTOR: 7/10
Spielidee: 7/10
Ausstattung: 9/10
Spielablauf: 6/10
TEAM-TREND
Die Kultfaktor-Wertungen weiterer Spielkultisten:
Andreas: 10/10
Nico: 8/10
Nicole: 8/10
Jürgen: 5/10
EUER REZENSENT
INGO
Vielspieler, Skifahrer, Italien-Fan, Medienheini
Eine Rezension vom 20.11.2022
Dieser Spieletest wurde unterstützt durch ein Rezensionsexemplar.
Bildnachweis:
Coverfoto: Final Frontier Games / Pegasus Spiele
Weitere Fotos: Spielkultisten