REZENSION
HEAT: PEDAL TO THE METAL
- Genre: Taktikspiel
- Jahr: 2022
- Verlag: Days of Wonder
- Autoren: Asger Harding Granerud, Daniel Sjkold Pedersen
- Grafik: Vincent Dutrait
- Spieler: 1 bis 6
- Alter: ab 10 Jahren
- Dauer: ca. 30 bis 60 Min.
- Schwierigkeitsgrad: leicht
- Taktiklevel: 8/10
In diesem Rennen gibt es keinen Schönheitspreis ...
Die Jahre 1961 bis 1965 sind in der Formel 1-Geschichte eine eigene Epoche. Regeln wurden geändert, die Fahrzeuge sicherer gemacht, und die berühmten Rennställe waren nicht begeistert. Doch die Rennen jener Zeit waren sehr spannend, die Rennstrecken mit Mauern und Strohballen gesichert, und Namen wie Graham Hill, John Surtees, Dan Gurney, Jim Clark, Jochen Rindt und Jackie Stewart gehören immer noch in die Rückblicke dieser Rennserie. Das Spiel versetzt uns in diese Zeit und möchte die Spannung der Rennen auf unsere Spieltische übertragen. Gelingt das?
REGELN
Gleich zwei doppelseitige Spielpläne mit vier Rennstrecken machen schon die Streckenwahl nicht leicht, sorgen aber dafür, dass mit den Profiregeln ganze Meisterschaften gespielt werden können. Zu Beginn erläutere ich die Grundregel, um später auf die Profiregeln einzugehen.
Das Ziel dieses Spiels ist schnell geklärt: das Rennen gewinnen! Nach der Auswahl der Rennstrecke bekommt jeder Spieler einen Cockpit-Bogen mit drei Karten-Ablagen, der Rundenübersicht und der Gangschaltung. Die Rennwagen werden zufällig auf die Startpositionen gestellt. Identische Kartensätze aus jeweils drei Rennkarten mit den Werten 1-4, drei Stresskarten und drei Upgrade-Karten (Wert 0, 5 und Heat) werden gemischt und verdeckt auf das linke Feld des Cockpits gelegt; jeder Spieler beginnt eine Spielrunde mit sieben Handkarten. In die Mitte des Cockpits (Motorfeld) werden offen sechs Hitzekarten gelegt, das rechte Feld ist der Ablagestapel.
Ein Durchgang besteht aus 9 Schritten, durch die uns die Rundenübersicht sicher führt.
- Schalten: Auf unserer Gangschaltung stellen wir den Gang für den aktuellen Durchgang ein. Schalten wir mehr als einen Gang rauf oder runter, muss das mit Hitzekarten ausgeglichen werden. Alle Spieler spielen gleichzeitig.
- Karten spielen: Der eingelegte Gang entspricht der Kartenzahl, die in diesem Durchgang gespielt werden muss. Alle Spieler legen gleichzeitig entsprechende Karten verdeckt aus.
- Fahren: Anhand der innen liegenden Leitlinie und der auf zwei Feldern parallel verlaufenden Rennstrecke, wird, beginnend mit dem führenden Fahrzeug, der Reihe nach gefahren. Die Summe der ausgespielten Kartenwerte entspricht der Geschwindigkeit und somit der Anzahl zu fahrender Felder. Die Bewegung wird durch nebeneinander stehende Fahrzeuge nicht blockiert; nur enden darf die Bewegung nicht auf besetzten Feldern, das Feld dahinter ist dann das Ziel. Die drei Stresskarten können nur in diesem Schritt ausgespielt werden, die Anzahl der „+“-Symbole erfordert das Aufdecken entsprechend vieler Rennkarten vom Nachziehstapel, somit also ein zufälliges (stressiges) Element zur Bestimmung der Geschwindigkeit.
- Adrenalin: Der aktuell letztplatzierte Fahrer (ab 5 Spielern die zwei letzten Fahrer) bekommen einen zusätzlichen Punkt Geschwindigkeit und einen Punkt Kühlung (Die Erklärung der Kühlung folgt später), wenn er/sie es wollen.
- Reagieren: Alle in den vorherigen Schritten erspielten Symbole werden jetzt ausgelöst: Boost („+“-Symbol), Kühlung … Weitere sind im Profispiel möglich.
- Windschatten: Beendet ein Fahrzeug den Zug neben oder direkt hinter einem anderen Fahrzeug, kann der Windschatten genutzt und zwei Felder weitergefahren werden. Der Windschatten erhöht für den nächsten Schritt, „Kurven durchfahren“, nicht die Geschwindigkeit.
- Kurven durchfahren: In den Kurven der Rennstrecken ist eine Geschwindigkeitsbeschränkung an einer Kurvenlinie vorgegeben. Bei Überfahren dieser Linie darf der Rennpilot die Geschwindigkeit dieser Beschränkung nicht überschreiten. Passiert dies doch, muss die Differenz mit entsprechenden Hitzekarten ausgeglichen werden. Sind keine Hitzekarten mehr auf dem Motorfeld vorhanden, schleudert das Fahrzeug aus der Kurve, und der Spieler muss weitere Stresskarten auf die Hand nehmen und vor der Kurve im ersten Gang wieder anfahren.
- Abwerfen: Optional dürfen weitere Rennkarten abgeworfen werden.
- Nachziehen: Alle gespielten Karten werden auf den Ablagestapel gelegt und die Hand wieder auf sieben Karten aufgefüllt.
Das Deck-Management bekommt mit den Hitzekarten einen Störfaktor. Immer wenn Hitze entsteht - beim Schalten um mehr als einen Gang, oder bei der zu schnellen Durchfahrt von Kurven - werden diese Karten auf den Ablagestapel gelegt und können, wenn auf der Hand, nur durch Kühlung wieder auf das Motorfeld zurückgelegt werden. Kühlungspunkte erhält der Spieler durch langsameres Fahren in Gang 1 und 2, sowie in Schritt 4 (Adrenalin) als letztplatziertes Fahrzeug.
Um Sieger des Spiels zu sein, überquert der eigene Rennwagen natürlich als erster die Ziellinie nach der vorgegeben Rundenzahl der jeweiligen Rennstrecke.
Profiregeln:
Diverse Module werden in Heat – Pedal to the Metal direkt mitgeliefert und können je Spielgruppe hinzugefügt werden:
- Werkstatt: Die drei Upgrade-Karten des Grundspiels verbleiben in der Schachtel und werden durch drei Karten aus einem einfachen und einem komplexen Stapel ersetzt. Dies geschieht in einer Auswahl aus drei Karten mehr als teilnehmende Spieler in Reihenfolge der umgekehrten (2x) und tatsächlichen (1x) Startaufstellung. Elf verschiedene Bauteile verbessern die Autos auf verschiedene Weise, z.B. machen Bremsen eine Geschwindigkeit „von/bis“ möglich, Reifen erhöhen die Kurven-Höchstgeschwindigkeit oder kühlen die Fahrzeuge, Kraftstoff bringt Karten aus dem Ablagestapel zurück auf die Hand, oder das Gaspedal darf erst im Schritt 5 (Reagieren) gespielt werden, um die passende Geschwindigkeit zu treffen.
- Legenden: Bei weniger Mitspielern werden diese Legenden als automatisierte Rennfahrer dem Starterfeld hinzugefügt. Sie werden über einen Stapel Karten und Markierungen auf den Rennstrecken einfach gesteuert. Die Spieler prüfen in jedem Durchgang, ob diese Fahrzeuge eine Kurve durchfahren oder nur bis zu einer Kurve fahren werden. Auf der Karte ist dann die Geschwindigkeit abzulesen. Die Stärke dieser Legenden kann durch Erhöhung ihrer Höchstgeschwindigkeit angepasst werden.
- Wetter & Streckenbedingungen: Aus sechs Wetterplättchen wird ein zufälliges gezogen. Dieses beeinflusst die Anzahl der Hitze- und Stresskarten in den Kartenstapeln. Streckenbedingungsplättchen werden in jede Kurve oder, je nach Aufdruck, auf den folgenden Streckenabschnitt gelegt, um zusätzlich diesen Bereich zu beeinflussen. Es werden Kurvengeschwindigkeiten verändert, der Windschatten oder Hitze- und Kühlungsbedingungen angepasst.
- Meisterschaft: Eine komplette Rennsaison über drei oder vier Rennen ist dann doch das Salz in der Suppe von Rennspielen. Die Wagen werden mit Upgrades zusammengestellt, Sponsoren geben einmalige Vorteilskarten, die Presse honoriert spektakuläre Fahrmanöver ... Eine Punktewertung ermittelt nach den Rennen den Weltmeister. Zehn Ereigniskarten bereiten drei komplette Saisons mit weiteren Überraschungen für alle Fahrer vor.
GALERIE
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CHECKPOINT
PRO
- so geht Interaktion!
- schnelle Spielzüge, keine Downtime … hey, es ist ein Rennspiel ;)
- spannende Rennen
- großartige Spielgrafik für tolle Atmosphäre
CONTRA
- … findet nur jemand, der keine Rennspiele mag
MEINUNG
Die eingangs erwähnte Epoche der 1,5 Liter-Formel 1 hat leider auch einige Tragödien erlebt, der tödliche Unfall des WM-Führenden Wolfgang Graf Berghe von Trips im Jahr 1961 in Monza ist bis heute leider die größte Katastrophe, die der Rennsport erlebt hat. Trotzdem gehört diese Zeit zu den spannendsten in der Geschichte des Motorsports. Die Fahrer waren wichtiger, als die hochgezüchteten Fahrzeuge von heute, die Strecken ließen die Zuschauer sehr nah an ihre Helden heran, die auch heute noch in aller Munde sind. Das führt uns zur großartigen Atmosphäre, die uns Heat: Pedal to the Metal bietet.
Grafik und Design machen dank Vincent Dutrait einen tollen Job, mit individuellen Cockpit-Bögen, detailverliebten Spielplänen, die landestypische Szenen erzeugen und bunten Spielkarten mit einer sehr schnell erlernbaren Ikonografie.
Das Spielgefühl tut dann sein Übriges, um uns in die Rennen zu ziehen. Das Prinzip, die Kartenanzahl durch den eingelegten Gang anzuzeigen und die Werte der Karten zusammenzuzählen, um die Geschwindigkeit zu ermitteln, ist nicht nur schnell erklärt, sondern auch sofort verstanden. Die Stresskarten erzeugen dann das Renn-Feeling, das gut simuliert, das man bei diesen Geschwindigkeiten auch mal unkonzentriert ist - also kein Zufall, sondern (thematisches) Renngeschehen.
Die Hitzekarten sind der große Taktik-Faktor im Kartenstapel. Am Ende eines Rennes fragt niemand nach dem Zustand des Fahrzeugs, also dürfen diese Karten gerne zur Geschwindigkeitserhöhung genutzt werden und werden sogar als Upgrade angeboten.
Schon mit den Grundregeln erleben wir ein sehr gutes Spiel. Das, was Days of Wonder uns dann aber noch in die Schachtel gepackt hat, sprengt tatsächlich die Ausstattung so mancher Crowdfunding-Kampagne. Mehrere Module, alle einzeln hinzufügbar, 96 Upgrade-Karten, vier verschieden Strecken mit unterschiedlichen Fahreigenschaften, Meisterschaften und Ereignissen. Dazu gibt es einen Schachteleinsatz, der das Material sicher aufnimmt, eine Saison zwischen zwei Rennen abspeichern kann und noch Platz für zwei weitere Rennwagen und Luft nach oben für einen neuen Spielplan bietet. Somit können wir vielleicht schon bald auf eine Erweiterung hoffen, mit den fehlenden 2 Rennwagen und zwei neuen Rennstrecken (vielleicht ein enger Stadtkurs wie Monaco? Oder eine Langstrecke auf dem Nürburgring?).
Da ein Autor des Spiels, Asger Harding Granerud, vor einigen Jahren auch für das Radrennen Flamme Rouge verantwortlich zeichnete, sei hier erwähnt, dass beide Spiele so unterschiedlich sind, dass ich auf den Vergleich nicht eingehen möchte, sondern hier eine klare Empfehlung für beide Spiele abgeben werde.
Um die Spannung aus der Einleitung aufzulösen, ob es Heat: Pedal to the Metal gelingt, das Rennfieber dieser besonderen Formel 1-Epoche auf den Spieltisch zu bringen, sagt meine Meinung wahrscheinlich bereits vieles. Wer Rennspiele, wer eine großartige Ausstattung, und wer unterschiedliche Anpassungen an seine Spielgruppe sowie komplette Interaktion mag, ist hier genau richtig. Und daher gibt es von mir uneingeschränkte 10 von 10 Kultpunkten für dieses Spiel, das bislang (Stand: Januar 2023) noch nicht in deutscher Sprache erhältlich, aber sprachneutral spielbar ist.
KULTFAKTOR: 10/10
Spielidee: 7/10
Ausstattung: 10/10
Spielablauf: 10/10
EUER REZENSENT
ANDREAS
Seit 1985 Besucher der SPIEL in Essen. Gelb gewinnt!
Eine Rezension vom 18.01.2022
Bildnachweis:
Coverfoto: Days of Wonder
Weitere Fotos: Spielkultisten