REZENSION

FREIE FAHRT

  • Genre: Familienspiel
  • Jahr: 2021
  • Verlag: 2F-Spiele
  • Autor: Friedemann Friese
  • Grafik: Harald Lieske
  • Spieler: 1 bis 5
  • Alter: ab 10 Jahren
  • Dauer: ca. 55 Min.
  • Schwierigkeitsgrad: mittel
  • Taktiklevel: 6/10

Einmal Lisboa und zurück

Die Eisenbahnlinien wachsen wie metallene Spinnennetze in Europa. Jeder möchte die wichtigsten Städte von Lissabon bis Helsinki verbinden, damit seine Passagiere alle Städte besuchen können. Wer sein Ziel schnell erreichen möchte, kann fremde Strecken verstaatlichen, und wer geizig ist, baut eigene Strecken.

REGELN

In Freie Fahrt baut ihr Eisenbahnstrecken und fahrt darauf mit eurer Lok von Stadt zu Stadt, um Aufträge zu erfüllen. Die Strecken anderer Spieler könnt ihr abkaufen und diese so für alle zugänglich machen. Dies zu vermeiden ist nicht so leicht, denn neue Städte zu besuchen lohnt sich deutlich mehr als eingefahrene Strecken abzuklappern. 

Zunächst wird der Spielplan mit den aufgedruckten Münzen für die Städte am Rand der Karte bestückt. Alle erhalten je eine Lok- und eine Waggon-Karte sowie alles Spielmaterial ihrer Farbe und 6 Münzen. Dann gibt es noch Gleise für jede/n. Deren Anzahl hängt davon ab, wie viele Leute mitspielen.

Die Stadtkarten werden entsprechen ihrer Rückseite (I, II, III) getrennt, gemischt und bereit gelegt.

Vom Stapel I werden dreimal drei Karten untereinander ausgelegt. Jede dieser drei Spalten bietet nun zwei verschiedene Reiserouten. Liegen Karten A, B und C aus, so kann die Route von A nach B oder von B nach C gewählt werden. Wer beginnt, wählt eine Strecke. Die dritte Karte des Trios wird aus dem Spiel entfernt. Die Lok wird auf die Start-Stadt der Strecke (also A oder B) gesetzt. Das Kartenpaar wird mit der Zielkarte (also B oder C) nach oben auf den eigenen Waggon gelegt. Dort bleibt es auch liegen, bis die Lok die dort sichtbare Zielstadt erreicht.

Es werden zwei weitere Kartentrios ausgelegt und wer jetzt an der Reihe ist, wählt wieder eine Route. Es werden wieder Trios hinzugefügt, eine gewählt, usw. bis alle, die mitspielen, eine Route erhalten haben, auf deren Start-Stadt die eigene Lok steht und das Kartenpaar auf dem eigenem Waggon liegt. In der Auslage liegen dann 6 Kartentrios als Routen-Auswahl.

Jetzt beginnt das eigentliche Spiel. 

Bist du am Zug, hast du drei Optionen:

(1) Du kannst Schienen bauen. Für insgesamt 2 Konstruktionspunkte werden Schienen verbaut. Jede reguläre Schiene kostet 1 Konstruktionspunkt. Schienen auf Tunneln oder Fähren kosten 2 Konstruktionspunkte. Gebaut werden darf an jedem Ort, den die eigene Lok erreichen könnte, ggf. über Schienen anderer Spieler. Gebaute Schienen werden mit deinem Besitzmarker markiert. Strecken zwischen zwei Städten benötigen meist mehr als 2 Konstruktionspunkte. Strecken können also nur teilweise bebaut werden, allerdings muss einen Strecke fertig sein, bevor du eine neue anfangen darfst. Sollten während einer Bauaktion mehr Schienen benötigt werden, können 5 Stück für 1 Münze gekauft werden.


(2) Du kannst zwei Strecken weit mit deinem Zug fahren. Eine Strecke bedeutet dabei immer: von einer Stadt zur nächsten. Werden dabei eigene Strecken benutzt, ist die Fahrt gratis. Die Strecke eines Mitspielenden muss mit einer Münze „verstaatlicht“ werden: die Besitzmarker werden von der Strecke entfernt und von nun können alle diese Strecke gratis befahren!

Fährt der Zug durch oder in eine Stadt auf der aktuell vor dir liegenden eigenen Zielkarte, so werden beide Karten vom eigenen Waggon auf den eigenen Punktestapel gelegt. Der Waggon ist frei für eine neue Route. Fährt die Lok in eine Stadt oder durch eine Stadt, die die Startstadt einer Route ist, darf die entsprechende Route aufgenommen werden. Die Auslage wird sofort durch drei neue Karten vom Stapel I ergänzt. 

Fährt die Lok in oder durch eine Stadt mit Münzen, so sammelst du sie ein.

(3) Du kannst 5 Schienen aus dem Vorrat nehmen.

Wichtig:

  • Sind die Karten des I-Stapels verbraucht, so wird der Stapel II benutzt und alle erhalten ihren zweiten Waggon, sodass jetzt zwei Routen gleichzeitig gelagert werden können.
  • Sind die Karten des II-Stapels verbraucht, so wird der Stapel III benutzt und alle drehen ihre Lok, sodass diese ab jetzt drei Strecken weit fahren kann.
  • Ist Stapel III verbraucht, so kannst du dich dazu entscheiden, aus dem Spiel auszusteigen, nachdem du deine Lok bewegt hast. Du nimmst die Lok vom Spielplan. Jedes Mal, wenn du an der Reihe bist, bekommst du stattdessen eine Münze.


Ende des Spiels und Wertung:
Sind alle ausgestiegen und hatten die gleiche Anzahl an Spielzügen, so ist das Spiel zu Ende und es wird gewertet: 

  • Jede Münze bringt 3 Punkte.
  • Das erste Exemplar einer Stadtkarte bringt 5 Punkte, und jedes weitere Exemplar dieser Stadt bringt 2 Punkte. Hast du z.B. zweimal München gesammelt, so bringt dir dies 7 Punkte (5 Punkte für die erste Karte und 2 Punkte für die zweite). 


Wer die meisten Punkte besitzt, hat viele Leute durch Europa gefahren, dabei viel gesehen – und gewonnen!

Das Spiel bietet auch einen Solo-Modus.

GALERIE

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CHECKPOINT

PRO

  • schnell gelernt
  • interessante Interaktion


CONTRA

  • etwas triste Gestaltung
  • separate Schienennetze möglich 

MEINUNG

Eisenbahnen sind einfach beliebt. Von 4-jährigen Kindern, die begeistert am Bahnhof stehen, über umweltbewusste Demonstranten*innen, die die niedrige Emission befürworten, bis hin zu technikbegeisterten Tourist*innen, die von einer Fahrt im dahingleitenden Shinkansen träumen, erhalten Züge viel Liebe. Auch ich fühle mich weit weniger ausgelaugt nach einer Zugreise als nach einem Flug. Und Brettspiel-Autoren scheinen besonders viel Liebe für Züge zu haben.

Familienspiele, Expertenspiele und alles dazwischen findet sich mit Eisenbahn-Thema. Die komplexen 18xx-Spiele sind unter Liebhabern bekannt. Zug um Zug ist vielen Menschen auch außerhalb der engen Brettspiel-Community ein Begriff. Und nun gesellt sich Freie Fahrt dem Reigen der Familienspiele mit diesem Thema hinzu.

Die Regeln sind für die meisten Leute einfach zu lernen. Es gibt drei Option für den Zug (bauen, fahren, Gleise nehmen), und es wird versucht, viele der ausliegenden Strecken zu erfüllen. Dies ist kaum ein Hindernis für die spielende Familie.

Auch wenn es zunächst nicht offensichtlich ist, so ist Freie Fahrt doch ein Rennen. Die Stadtkarten geben die Routen vor, geben Punkte und beenden das Spiel. Wer also schnell Routen sammelt, der wird auch, im Vergleich zu seinen Mitspielern, mehr Karten haben. Dies muss nicht zwangsweise auch den Sieg bedeuten, ist aber ein guter Hinweis, wer viele Punkte macht. Dieser Druck der endlichen Anzahl von Spielzügen, abhängig davon wie viele Spielzüge die anderen Spielern machen, ist ein wichtiger Motivations-Motor für unsere Lokomotiven in Freie Fahrt.

Gebaute Strecken dürfen von ihren Erbauer*innen gratis benutzt werden. Möchte ich eine fremde Strecke verwenden, so muss ich eine Münze abgeben. Diese Münze ist 3 Punkte wert und geht an den Mitspieler / die Mitspielerin. Die Strecke wird zwar verstaatlicht und steht nun jedem zur Verfügung, aber 3 Punkte hinzu bekommen bzw. abgeben machen nun auch einen Unterschied von 6 Punkten aus. Dafür kostet eine selbst gebaute alternative Strecke vielleicht mehrere Spielzüge. Ist die gesparte Zeit diese eine Münze wert? Eine vollendete Fahrt mit zwei noch nicht bereisten Städten bringt immerhin 10 Punkte ...

Wer die Psychologie seiner Mitspieler*innen voll durchschaut hat, wird vielleicht Strecken bauen, die nur dem Zweck dienen, dass die anderen Spielenden für die Verstaatlichung zahlen. Über zu wenig Interaktion kann man sich also nicht beschweren.

Na ja, so ganz stimmt das nicht. Das Städtenetzwerk und die Kartenstapel sind bei allen Spielerzahlen gleich groß. So hatten wir einmal eine Partie mit praktisch drei getrennten Schienennetzwerken. Das war eine nicht so spannende Partie. Dort entschied mehr oder minder das Kartenglück darüber, wer gewinnt. Die Person mit den meisten Routen in ihrem Netzwerk ging da als Sieger hervor. Dies ist aber nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Ich würde Freie Fahrt dennoch eher mit 4 oder 5 Spielern empfehlen, damit die Situation auf dem Brett dynamischer ist.

Dabei ist das Spieldesign von Freie Fahrt recht clever und konstruiert selbst einen gewissen Spannungsbogen. Zunächst sucht jeder kurze, schnell zu bauende und befahrende Strecken. Nach dem ersten Drittel können aber zwei Strecken als Aufträge gleichzeitig bearbeitet werden, sodass sich die Lokomotiven auf längere Reisen machen und unterwegs kleine Aufträge erfüllen. Dies mischt die Netzwerke und ermöglicht es den Spielern, neue Städte zu besuchen. Im letzten Drittel nehmen die Lokomotiven mit einem Extra-Schritt bei der Fahrt noch extra Fahrt auf. Tschuu tschuuu! Damit werden auch vorher sehr unliebsame Strecken interessante Ziele, denn jetzt sollten auch die meisten Städte auf dem Plan an das große Netzwerk angeschlossen sein.

Es gibt bei Freie Fahrt jetzt keine großen Strategien, und es kann nicht jede Partie etwas Neues ausprobiert werden, es geht eher darum, aus den ausliegenden Routen das Beste zu machen. Und bei einem Spiel mit 55 Minuten Dauer (laut Schachtel) erwarte ich dies auch nicht. Die Spieldauer hängt allerdings arg von den Geografie-Kenntnissen der Spieler*innen am Tisch ab. Wer immer wieder alle Städte der Routen auf dem Spielplan suchen muss, der wird für Freie Fahrt einfach viel länger brauchen. Mein persönlicher „Rekord“ waren satte 150 Minuten mit 3 Spieler*innen, aber es gab auch Partien, in denen wir mit 4 Leuten schon in einer Stunde durch waren. 


Tipp: Wer unter notorischer Landkarten-Legasthenie leidet, dem kann mit etwas Spielmaterial aus anderen Spielen nachgeholfen werden. Legt einfach z.B. einen gelben Waggon aus Zug um Zug über eine Route und markiert die drei Städte dieser Route auf dem Spielbrett mit je einem gelben Waggon. Es wäre schön gewesen, wenn eine Orientierung schon ins Spielbrett eingebaut wäre. Dies hätte vielleicht bei der Gestaltung des Brettes und der Karten durch verschiedene Farbsättigungen, Schattierungen oder direkt verschiedene Farben erreicht werden können. Die sonst so flotten Züge in Freie Fahrt können schnell durch einen Orientierungslauf unterbrochen werden, wenn mehrere neue Strecken ausgelegt werden.

Die Gestaltung des Spielmaterials ist insgesamt eh etwas fade geraten. Dies finde ich überraschend, denn die angesprochene Zielgruppe wird eine doch etwas lebendigere Gestaltung bevorzugen. Dies heißt nicht, dass die Gestaltung insgesamt schlecht ist. Jede Stadtkarte zeigt eine typische Sehenswürdigkeit, und der Name der Stadt ist in der Landessprache aufgedruckt, was quasi noch einen pädagogischen Effekt erzeugt. Zusätzlich weiß ich jetzt, wo Lwiw und Odessa sind (Anmerkung von Ingo: Ihr merkt, dass Spiel und die Test-Partien für diese Rezension vor dem Krieg in der Ukraine entstanden sind, welcher einem zumindest einige der Städtenamen ja auf eine traurige Weise näher gebracht hat). Trotzdem: Ein bisschen mehr Pep hätte dem Spiel optisch auf jeden Fall gut getan.

Fazit: Freie Fahrt ist als (leicht gehobenes) Familienspiel schnell gelernt und (meistens) gibt es viel Interaktion zwischen den Spielern. Die Planung ist nicht zu komplex, aber die Spielzüge sollten schon durchdacht sein. Und für Mitspieler*innen mit Geografie-Kenntnissen stimmt sogar die Zeitangabe auf der Schachtel.

KULTFAKTOR: 7/10

Spielidee: 7/10
Ausstattung: 6/10
Spielablauf: 8/10

EUER REZENSENT

LUTZ

Wahl-Niederländer, Elektrochemiker, Zuvielspieler, Rätselenthusiast

Eine Rezension vom 16.03.2022

Dieser Spieletest wurde unterstützt durch ein Rezensionsexemplar.

Bildnachweis:
Coverfoto: 2F-Spiele
Weitere Fotos: Spielkultisten