REZENSION
EVERGREEN
- Genre: Taktikspiel
- Jahr: 2022 (deutsche Version: 2023)
- Verlag: Horrible Guild / HeidelBÄR Games
- Autor: Hjalmar Hach
- Grafik: Wenyi Geng
- Spieler: 1 bis 4
- Alter: ab 8 Jahren
- Dauer: ca. 45 Min.
- Schwierigkeitsgrad: leicht
- Taktiklevel: 6/10
Knospen sind für Loser
Es geht in den Wald, wo wir Bäume pflanzen und gedeihen lassen, denn die produzieren im Sonnenlicht Punkte. Damit wir aber nicht wie die durchschnittliche Vegetation ums Licht konkurrieren, erhält jeder gleich seinen eigenen Planeten.
REGELN
Bei Evergreen wählt jeder eine Karte pro Zug, die eine Aktion in einer Zone des eigenen Spieltableaus erlaubt und irgendwo eine Fähigkeit aktiviert. Damit schaffen wir große und, im Idealfall, sonnige Wälder. Aber aufgepasst: Die nicht gewählte Karte ist für die Endwertung wichtig.
Jeder nimmt sich ein Tableau, das einen Planeten zeigt, eine Sonne, die am oberen Rand eingesetzt wird, sechs Steine für die Fähigkeiten-Leisten, zwei Steine für die Punkteleiste und einen für den Rundenzähler. Wer anfängt, bekommt das Blatt und jeder andere erhält 1 bis 3 Punkte als Kompensation.
Die Karten werden gemischt. Es werden solange Karten aufgedeckt, bis fünf Fruchtbarkeitssymbole sichtbar sind. Dann werden Karten mit Fruchtbarkeitssymbolen (nach Landschaft sortiert) in den Fruchtbarkeitsbereich gelegt. Die anderen Karten werden wieder eingemischt.
Schon geht es los.
Es werden vier Jahreszeiten gespielt, die unterschiedlich lang sind. In der ersten gibt fünf Karten bzw. Züge, dann vier, dann drei, und in der 4. Jahreszeit nur noch zwei Karten.
Am Anfang jeder Runde wird eine Karte mehr, als Personen teilnehmen, aufgedeckt. Wer das Blatt besitzt, nimmt sich zuerst eine Karte und legt dann das Blatt auf die Karte, welche am nächsten am Zugstapel liegt. Reihum wählt auch jeder andere eine Karte. Wer die Karte mit dem Blatt wählt, bekommt das Blatt. Ist das Blatt am Ende übrig, geht es zurück an die Person, die es vorher hatte. Die übriggebliebene Karte kommt in den Fruchtbarkeitsbereich, wo sie die Fruchtbarkeit einer Landschaft erhöht oder verringert.
Jetzt führen alle die Aktionen und Fähigkeiten ihrer Karte aus. Es gibt vier verschiedenen Aktionen, die sich aus zwei verschiedenen Elementen zusammensetzen. Aktionen werden in der Landschaft ausgeführt, die die gewählt Karte vorgibt. Wer also beispielsweise eine gelbe Karte gewählt hat, der führt die Aktion in der gelben Landschaft durch.
- Eine Aktion erlaubt es, drei Setzlinge zu pflanzen. Dafür werden drei Setzlinge aus dem Vorrat genommen und auf freie Felder platziert.
- Die nächste Aktion erlaubt es, zwei Pflanzen wachsen zu lassen. Ein Setzling kann ein kleiner Baum werden und ein kleiner Baum wird zu einem großen Baum. Dafür wird einfach das eine Holzteil entfernt und durch das andere ersetzt. Bei dieser Aktion müssen zwei unterschiedliche Felder gewählt werden; es kann damit also kein Setzling direkt zum großen Baum werden.
- Die nächste Aktion ist eine Mischung aus beiden Elementen, denn es darf ein Setzling eingesetzt werden und zusätzlich darf ein Baum wachsen.
- Die letzte Aktion besteht darin, entweder einen Setzling einzusetzen oder einen Baum wachsen zu lassen, aber diesmal nicht beschränkt auf die Landschaft der Karte, sondern in einem beliebigen Bereich.
Vor oder nach der Aktion kann noch die Fähigkeit auf der Karte ausgeführt werden. Es gibt sechs verschiedenen Fähigkeiten. Bevor die Fähigkeit aktiv wird, wandert der Stein für diese Fähigkeit ein Feld weiter, dann wird die Fähigkeit so oft aktiviert, wie die Position des Steins angibt, d.h. mit jeder Nutzung wird eine Fähigkeit stärker. Drei der sechs Fähigkeiten erlauben es, Setzlinge zu pflanzen, Setzlinge zu kleinen Bäumen zu machen und kleine Bäume zu große Bäume zu machen. Eine weitere Fähigkeit erlaubt es, Seen zu platzieren, die zwar ein Feld blockieren, aber zwei angrenzende Bäume wachsen lassen. Dann gibt es noch den Strauch, der zwar keine Sonnenpunkte bringt, aber Wälder verbinden kann, und als letztes die Knospe, welche ein paar Punkte bringt.
Haben alle Personen ihre Aktion und Fähigkeit ausgeführt, werden die nächsten Karten bereit gelegt.
Nach 5 Durchgängen endet die erste Jahreszeit. Dann kommt es zur Sonnen- und Waldwertung. Bei der Sonnenwertung strahlt die Sonne in perfekt parallelen Strahlen aus der Richtung, wo die Sonne liegt. Für jede Zeile wird geschaut, welche Bäume von der Sonne beleuchtet werden und welche im Schatten stehen. Jeder von der Sonne beschienene kleine Baum bringt 1 Punkt und jeder große Baum 2 Punkte. Dazu bringt in der Waldwertung jeder Busch, jeder kleine und große Baum des größten zusammenhängenden Waldes noch 1 Punkt.
Der Jahreszeitenmarker geht nun einen Schritt nach vorne. Die Sonne wandert um 90 Grad im Uhrzeigersinn. Die gesammelten Karten werden abgegeben, und die nächtste Jahreszeit beginnt. In dieser sammelt, wie oben beschrieben, nun jeder nur noch vier Karten.
Nach der 4. Jahreszeit (mit zwei Karten) gibt es noch eine Endwertung: Für jede Landschaft bringen große Bäume so viele Punkte, wie Fruchtbarkeitssymbole für diese Landschaft im Fruchtbarkeitsbereich gesammelt wurden. Wer jetzt die meisten Punkte hat, gewinnt
GALERIE
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CHECKPOINT
PRO
- schnell gelernt
- nicht destruktiv
- vielschichtige Entscheidungen
CONTRA
- solitär geprägt
- Spielsieg kann vor der letzten Runde feststehen
MEINUNG
Im Jahr 2017 brachte Hjalmar Hach uns das Spiel Photosynthese (erschienen bei Blue Orange, in Deutschland im Vertrieb von Asmodee). Damals waren viele angetan vom hübschen, ja, idyllischen Bild eines Baumes im Sonnenlicht und erwarteten ein freundliches Spiel. Tja, leider haben viele Menschen keine Ahnung von der brutalen Welt der Pflanzen. Ständig wird um Licht gekämpft, es werden Nährstoffe gehortet und chemische Waffen eingesetzt. Dementsprechend überrascht war so mancher von der Kaltblütigkeit und kompetitiven Natur von Photosynthese.
Bei Horrible Guild (bzw. im deutschen Vertrieb von Heidelbär Games) bringt Hjalmar Hach mit Evergreen nun ein Spiel heraus, das er uns nie versprochen hatte, aber das das Publikum von Photosynthese erwartet.
Wem dieser textlich höchst imposante Absatz nun doch zu obskur war, dem biete ich hier nochmal etwas Klartext: Evergreen ist ein Spiel über Pflanzen, die wir wachsen lassen, aber diesmal mit weniger Wettkampf um das Sonnenlicht, denn wir beharken nur unseren eigenen Planeten und nicht den der anderen, und auf eben diesem Planeten sollen Bäume sprießen. Jetzt kann also jeder für sich selbst entscheiden, wie sich der Wald entwickelt, und niemand muss befürchten, dass die bösen anderen Baumarten einem das Licht nehmen - allerdings machen das manchmal auch die eigenen Bäume.
Trotz solitärem Ansatz, ist Evergreen aber sicherlich kein Spiel ohne Interaktion. Konkurrenz findet bei der Kartenauswahl statt. Hierbei gibt es einiges zu berücksichtigen: zum einen, welches Biom möchte man selber aufforsten und welche Fähigkeit man verbessern möchte. Zum anderen sollte die letzte Karte, welche die Fruchtbarkeit erhöht, einem Biom angehören, in dem man gute Chancen auf große Bäume hat. Manchmal muss man sogar so eine doofe Karte mit Dürre und Knospenfähigkeit nehmen. Um es auf den Punkt zu bringen: Knospen sind für Loser! Meistens sind andere Fähigkeiten ertragreicher als die paar Punkte durch Knospen. Aber wenn diese Dürre im Lieblingsbiom locker zweimal Fruchtbarkeit zerstört, dann müssen Opfer gebracht werden.
Experten erkennen bei der Kartenauswahl auch, welche Karten die anderen benötigen und wählen dann entsprechend auch Karten, die die anderen Personen ein Dilemma bescheren. Das ist dann aber schon wirklich fortgeschritten.
Wer geschickt Karten auswählt, kann schnell die eigenen Fähigkeiten verbessern. Es ist schon reizvoll zu sehen, welche Fähigkeiten sich gut ergänzen. Nach unterschiedlichen Partien wurde sich manchmal darüber beschwert, dass eine Fähigkeit stärker erscheint als alle anderen. Dabei handelte es sich allerdings jedes Mal um eine andere Fähigkeit ... Also erscheinen mir die Fähigkeiten (bis auf die doofen Knospen ...) recht ausgewogen.
Das Puzzle auf dem Spielbrett ist auch recht interessant. Es gibt Punkte für einen großen, zusammenhängenden Wald, aber dann stehen die Bäume im Schatten der anderen, sodass es keine Sonnenpunkte gibt. Es gilt also geschickt die Bäume zu verteilen, obwohl nicht immer das Wunsch-Biom zur Auswahl steht.
Die Endwertung kann nochmal für kleine Überraschungen sorgen, aber im Spiel mit zwei Spielern kann es schon gut sein, dass in der dritten von vier Jahreszeiten eine Person so weit vorne liegt, dass der Sieg schon feststeht. Dann müssen sich die anderen wohl einfach am befriedigenden Gefühl, den Wald zu vergrößern, erfreuen.
Überraschenderweise empfehle ich Evergreen, trotz solitärem Touch, eher für 4 als für 2 Waldmenschen, weil dann das Kartendeck erneut durchgespielt wird. Karten, die niemand wollte, befinden sich jetzt im Fruchtbarkeitsbereich. Damit kommen Fähigkeiten, die häufig gewählt wurden, öfter im Spiel vor. So gesehen betreiben die Spieler ein kleines Deckbuilding. Evergreen funktioniert aber mit allen Spielerzahlen gut, ich finde es einfach nur interessant zu sehen, wie ein Deck, das die Spieler meist unbewusst bearbeitet haben, sich beim zweiten Durchlauf verhält.
Evergreen sieht auch hübsch aus. Die kleinen Holzbäume, Sträucher und Seen fügen sich gut in das Tableau ein. Die Karten sehen wirklich einladend aus, und die Anleitung ist leicht zu verstehen.
Fazit: Wer möchte, dass die Züge der anderen Personen am Tisch nicht egal sind, dass aber auch kein knallharter Konkurrenzdruck entsteht, der kann sich auf seinem kleinem Planeten im System Evergreen sehr gut entspannen. Die zentrale Kartenauswahl beeinflusst verschiedene Aspekte, und das Puzzle auf dem eigenem Tableau ist reizvoll.
KULTFAKTOR: 8/10
Spielidee: 7/10
Ausstattung: 9/10
Spielablauf: 8/10
EUER REZENSENT
LUTZ
Wahl-Niederländer, Elektrochemiker, Zuvielspieler, Rätselenthusiast
Eine Rezension vom 15.12.2022
Dieser Spieletest wurde unterstützt durch ein Rezensionsexemplar.
Bildnachweis:
Coverfoto: Horrible Guild
Weitere Fotos: Spielkultisten