REZENSION
EVERDELL
- Genre: Strategiespiel
- Jahr: 2021
- Verlag: Starling Games / Pegasus Spiele
- Autor: James A. Wilson
- Grafik: Andrew Bosley, Dann May
- Spieler: 1 bis 4
- Alter: ab 14 Jahren
- Dauer: ca. 40 - 80 Min.
- Schwierigkeitsgrad: mittel
- Taktiklevel: 7/10
Liebe. Für immer.
Im verwunschenen Tal von Everdell leben gewöhnliche und einzigartige Wesen, die in ebenso gewöhnliche und einzigartige Bauwerke ziehen. Im Schatten des imposanten Immerbaums sammeln wir Beeren und Bau-Materialien, um an diesem märchenhaften Ort unsere eigene kleine Karten-Stadt zu errichten.
REGELN
Zunächst dürfen wir den Evertree, auf deutsch Immerbaum, nach der Anleitung zusammenbauen. Auf die oberste Etage werden vier Spielfiguren pro Spieler gestellt, sortiert nach Jahreszeiten, auf die mittlere Etage werden vier zufällige Ereigniskarten gelegt, ins Erdgeschoss die „einfachen“ Ereignisse. Zwischen dem Stamm wird der Kartenstapel (gut gemischt) platziert. 8 Karten werden aufgedeckt und auf den Spielplan („die Wiese“) gelegt. Ebenfalls auf den Spielplan gehören dann noch vier zufällige Wald-Karten sowie die Ressourcen - Zweige, Harz, Kies und Beeren.
Als Startspieler erhalte ich 5 zufällige Karten vom Nachziehstapel auf die Hand, jeder weitere Spieler bekommt immer eine Karte mehr; im Spiel zu viert würde der vierte Spieler also 8 Karten erhalten. 8 Karten sind dann auch gleichzeitig das Handkarten-Limit im Spiel. Zudem bekommt jeder Spieler noch 2 Spielfiguren, die als Arbeiter fungieren. Zur Auswahl stehen da Mäuse in weiß, Schildkröten in blau, Igel in braun und Eichhörnchen in orange.
Gespielt wird reihum. Bin ich am Zug, habe ich die Wahl aus drei Optionen:
(A) Einen Arbeiter einsetzen: Ich setze eine meiner (zunächst) zwei Arbeiter auf ein freies Einsetzfeld. Dabei gilt: Felder mit geschlossenem Kreis nehmen nur exakt eine Figur auf, Felder mit offenem Kreis beliebig viele Figuren. Es gibt Einsetzfelder auf dem Spielplan und auf den zufällig ausliegenden Wald-Karten. Belege ich ein solches Feld, erhalte ich das, was dort angegeben ist - Ressourcen in verschiedenen Kombinationen oder auch neue Handkarten. Auf manchen Baum-Karten wird einem ein Tausch angeboten, z.B. beliebige Ressourcen gegen Bezahlung von Handkarten, die dann ungenutzt abgeworfen werden. Ein Einsetzen ist auch auf manchen ausgespielten Karten möglich (dazu später mehr).
Arbeiter können auch auf Ereignissen eingesetzt werden, sobald die dafür nötige Voraussetzung erfüllt wurde. Bei den einfachen Ereignissen ist das eine bestimmte Anzahl von einer vorgegebenen Kartenart in der eigenen Stadt, bei den besonderen Ereignissen, die auf dem Baum liegen, müssen bestimmte Karten-Kombinationen in der eigenen Stadt vorhanden sein. Ereignisse bringen dann auf verschiedene Weise Siegpunkte.
Auch kann ein Arbeiter auf der „Zuflucht“ eingesetzt werden. Gegen Bezahlung von jeweils 2 Handkarten erhalte ich hier eine beliebige Ressource. Ich kann dort beliebig viele Handkarten ablegen, um entsprechend auch mehr Ressourcen zu erhalten.
In der letzten Runde stehen auch noch die Reise-Orte zur Verfügung. Gegen Abgabe von Handkarten kann ich hier Punkte sammeln.
(B) Eine Karte ausspielen: Eine Karte spiele ich in meine eigene Kartenauslage (= Stadt). 15 imaginäre Plätze stehen mir dafür zur Verfügung. Um eine Karte auszuspielen, zahle ich die links angegebenen Kosten (bei Bauwerken sind das Bau-Materialien, bei Wesen sind es Beeren). Von „gewöhnlichen“ Wesen und Bauwerken darf ich mehrere Exemplare einer bestimmten Karte in der Stadt besitzen (alle Karten sind mehrfach im Kartendeck vorhanden), von „einzigartigen“ Wesen und Bauwerken jeweils nur 1 Exemplar pro Karte (also z.B. nur einen „König“ oder „Ladeninhaber“, aber durchaus mehrere „Lehrer“ oder „Fegehörnchen“). Die Bezeichnungen „einzigartig“ und „gewöhnlich“ finden wir unter der Illustration der Karte.
Wichtig: „Ausspielen“ kann ich Karten von meiner Hand, aber auch direkt von der Wiese. Im letzteren Fall suche ich mir also eine für mich bezahlbare Karte aus der offenen Auslage, gebe die Ressourcen ab und lege die Karte dann in meine Stadt. Der freie Platz wird am Ende des eigenen Spielzuges aufgefüllt.
Nun kann ich durch Karten-Kombinationen Kosten sparen. So gibt es zum einen Karten-Effekte, die mir z.B. einen vergünstigten Bau anbieten, zum anderen hat jedes Bauwerk in seiner unteren rechten Ecke ein bestimmtes Wesen angegeben, das gern in dieses Bauwerk einziehen möchte. So kann ich mit einem gebauten Bauwerk ein entsprechendes Wesen kostenlos ausspielen, also z.B. den Lehrer, wenn ich eine Schule gebaut habe. Pro Bauwerk ist das nur einmal möglich, diese Option wird dann mit einem kleinen runden Abdeckplättchen verdeckt, sobald ich davon Gebrauch gemacht habe.
Jede Karte entspricht dann einem von fünf Karten-Typen:
- Grüne Produktionskarten produzieren beim Ausspielen das, was sie als individuelle Funktion offerieren. Die Produktionskarten werden im weiteren Verlauf dann auch noch bis zu zweimal automatisch aktiviert.
- Blaue Verwaltungskarten bringen einen dauerhaften individuellen Vorteil.
- Braune Bewegungskarten liefern einen einmaligen Effekt beim Ausspielen.
- Lilafarbene Wohlstandskarten bringen am Spielende Siegpunkte für die auf der Karte angegebene Voraussetzung (z.B. für jedes „gewöhnliche Wesen“ in der eigenen Stadt etc.)
- Rote Zielkarten bieten zusätzliche Einsetzfelder für Arbeiter. Spiele ich eine solche Karte in meine Stadt, kann ich einen Arbeiter in künftigen Spielzügen auch dort einsetzen, um die Kartenfunktion auszuführen. Manche dieser Orte sind „offen“ für alle Spieler, d.h. auch ein Mitspieler kann dieses Einsetzfeld nutzen, beschert dem Besitzer dann aber beim Belegen des Feldes immer 1 Siegpunkt.
(C) In die nächste Jahreszeit wechseln: Everdell wird asynchron gespielt. Sobald ein Spieler keine Arbeiter mehr zum Einsetzen und keine Ressourcen mehr zum Ausspielen von Karten besitzt bzw. es auch einfach aus taktischen Gründen nicht möchte, wechselt er in die nächste Jahreszeit, zunächst vom Winter in den Frühling. Bei einem Wechsel darf der Spieler in diesem Spielzug keine Arbeiter einsetzen oder Karten ausspielen, stattdessen erhält er alle eingesetzten eigenen Arbeiter wieder zurück in seinen Vorrat und dazu das, was auf dem Immerbaum vermerkt ist:
- Im Frühling ist das 1 zusätzlicher Arbeiter und die Aktivierung aller bis dahin ausgespielten eigenen Produktionskarten.
- Im Sommer ist das 1 zusätzlicher Arbeiter sowie zwei Karten von der Wiese auf die Hand.
- Im Herbst sind das 2 zusätzliche Arbeiter und erneut die Aktivierung aller bis dahin ausgespielten eigenen Produktionskarten.
Spielende / Wertung: Haben alle Spieler ihre Herbst-Runde beendet, kommt es zur finalen Abrechnung aller Punkte:
- Jede ausgespielte Karte in der eigenen Stadt bringt die Punktezahl, die auf der Karte im gelben Kreis vermerkt ist (der „Narr“ wird in die Stadt eines Gegenspielers gespielt und verursacht dort Minuspunkte).
- Lilafarbene Karten bringen zusätzliche Punkte für die auf ihnen vermerkten Voraussetzungen.
- Belegte Reise-Orte und Ereignisse bringen die auf ihnen vermerkten Punkte.
- Jeder im Spiel erhaltene Punkte-Chip bringt die aufgedruckten Punkte.
Der Spieler mit den meisten Punkten gewinnt.
Das Spiel bietet auch eine Solo-Variante.
GALERIE
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CHECKPOINT
PRO
- wunderschöne Optik
- tolles Spielmaterial
- eingängiges Spielprinzip aus Worker-Placement, Karten- und Ressourcenmanagement
- Karten-Kombos möglich
- integrierter Wettlauf-Charakter
CONTRA
- die Kartentexte und Symbole sind sehr klein geraten
- manche Aufgaben erfordern einfach auch Glück
MEINUNG
„Oh, wie schön ist Everdell“ - das ist, in Anlehnung an die bekannte Janosch-Geschichte, die nach Panama führte, der Ersteindruck, dem sich wohl kaum jemand entziehen kann. Die wunderschönen Karten-Illustrationen, das Spielbrett, die tollen 3D-Ressourcen und natürlich der große Immerbaum, der als echter Eyecatcher fungiert - das alles trägt dazu bei, dass Everdell wohl nahezu jeden dazu auffordert, sofort gespielt zu werden.
Das Schöne, um es direkt vorwegzunehmen: Nein, Everdell ist kein Blender. Auch spielerisch weiß dieses Kennerspiel absolut zu überzeugen! So geht es in klassischer Worker- Placement-Manier ums Beschaffen von Ressourcen, die man dann eintauscht gegen punkteträchtige Karten. Die Karten liefern vielfältige Aktionen, auch sind tolle Kombos möglich, die die Kosten reduzieren. Als Fan von Engine-Builder-Elementen gefallen mir natürlich die Produktionskarten besonders, da man sie, mit einem guten Timing ausgespielt, mehrfach nutzen kann. Timing ist im Spiel überhaupt wichtig, denn ich selbst bestimme, wie schnell ich durch eine Partie gehe. Halte ich mich lange in einer Jahreszeit auf oder wechsele ich früher in die nächste, um mir Vorteile zu verschaffen? Das Spiel enthält an mehreren Stellen Wettlauf-Elemente, die den Schnellsten belohnen, der eine Voraussetzung erfüllt.
Everdell bietet durch die unterschiedlichen Karten eine schöne Varianz. So ist die Zusammenstellung der Ereignisse und der Wald-Orte jedes Mal neu, und auch die zufällig gezogenen Handkarten verlangen nach einer taktischen Spielzug-Optimierung. Dabei muss man natürlich klar feststellen: Ja, hier ist auch Glück im Spiel. Wenn ich mit einem "Gericht" die "Richterin" kostenlos anlocken kann, dann ist das toll, allerdings muss die Richterin dann auch erst mal auf den Spielplan oder auf meine Kartenhand gelangen. So ist es dann auch manchmal schlichtweg nicht möglich, ein bestimmtes besonderes Ereignis zu erfüllen - einfach, weil ich nicht in den Besitz einer geforderten Karte komme. Wer mit solchen Glücksabhängigkeiten nicht klarkommt, der sollte das Spiel vielleicht zunächst Probe spielen. Mich selbst stört das nicht.
Das Spielprinzip ist für ein Kennerspiel überraschend eingängig und simpel. Letztlich gibt es immer nur drei Optionen, die ohne großes Regellernen binnen kurzer Zeit verinnerlicht sind. Die Komplexität entsteht dann mehr aus der klugen Planung, wann ich welche Ressourcen wofür ausgebe, wie ich neue Ressourcen und Karten generieren kann, und wie ich meine Stadt am besten auf zusätzliche Punkte am Spielende ausrichte. Das hinterlässt, gestützt durch eine gute Anleitung und das kurzweilige Spielprinzip ohne lange Wartezeiten, ein sehr befriedigendes Spielgefühl. Auch Gelegenheitsspieler, die dieses Spiel allein durch sein Aussehen anlockt, sind hier nicht überfordert.
Ja, Everdell lebt ganz klar auch von seiner überaus charmanten Optik. Die hat, das muss man objektiv zugeben, ihren Preis. So sind die Kartentexte echt seeehr klein geraten, insbesondere die Hinweise auf angelockte Wesen sind wirklich schwer zu lesen, noch schwerer, wenn die Karten auch noch bei den Mitspielern liegen, man aber durch eine Aktion Zugriff darauf bekommt. Das ist sicher am Anfang ein Nachteil, der alle Spieler betrifft. Mit der Zeit lernt man alle Karten kennen und weiß dann auch direkt, was sie für Funktionen haben. Anfangs empfiehlt es sich aber, beim Ausspielen einer Karte kurz den Kartentext für alle vorzulesen. Der Immerbaum nimmt unter Umständen auch etwas Sicht weg, da müsst ihr euch geschickt um den Tisch platzieren - oder ihr lasst ihn einfach weg, denn spielerisch ist er ohne Bedeutung.
Wer schon weiter nach unten gelinst hat, sieht, dass ich bei diesen kleinen Kritikpunkten in der B-Note bei Everdell beide Augen zudrücke, bzw. sie nur minimal in meine Wertung einschließe. Warum ist das so? Ganz einfach, weil mich Everdell wirklich verzaubert hat! Die Spielmechanik gefällt mir sehr gut, die Optik natürlich ebenso. Das Spiel ist zudem kartengesteuert, sodass es beliebig erweiterbar sein wird (bzw. teilweise schon ist). Da wird man auch in der Zukunft immer wieder Neues entdecken können.
Für mich persönlich ist Everdell, das ja nach langer Wartezeit Anfang 2021 endlich auch in Deutschland angekommen ist, ein klarer Favorit für das Kennerspiel des Jahres. Unter Berücksichtigung der genannten Kritikpunkte vergebe ich daher trotzdem nahezu perfekte 9 Kultpunkte - ja, und wenn ich in mich selbst reinhöre, dann erhöhe ich sogar auf die Höchstnote von 10 Punkten, denn Everdell und ich, das wird eine „Liebe für immer“ sein - ein Spiel, das ich definitiv nie mehr aus meinem Regal entfernen würde, und das ich jederzeit immer wieder gern spiele. Meine Begeisterung für dieses Spiel soll daher auch anständig mit dieser Punktezahl honoriert werden. Ganz klar: Daumen hoch; i'm in love!
Unser Video zum Spiel findet ihr auf YouTube: https://youtu.be/fhRlKLvcfno
KULTFAKTOR: 9-10/10
Spielidee: 9/10
Ausstattung: 10/10
Spielablauf: 9/10
TEAM-TREND
Die Kultfaktor-Wertungen weiterer Spielkultisten:
Annabell: 10/10
Anke: 9/10
Beate: 9/10
Birgit: 9/10
Jürgen: 9/10
Torsten: 8/10
Klaus: 7/10
Lutz: 7/10
Matthias: 7/10
Ralf: 7/10
Ulf: 6/10
EUER REZENSENT
INGO
Vielspieler, Skifahrer, Italien-Fan, Medienheini
Eine Rezension vom 29.03.2021
Dieser Spieletest wurde unterstützt durch ein Rezensionsexemplar.
Bildnachweis:
Coverfoto: Starling Games / Pegasus Spiele
Weitere Fotos: Spielkultisten