REZENSION
EINE WUNDERVOLLE WELT
- Genre: Strategiespiel
- Jahr: 2020 (Original: 2019, "It's a wonderful World")
- Verlag: Kobold Spieleverlag (Original: La Boîte de Jeu, Origames)
- Autor: Frédéric Guérard
- Grafik: Anthony Wolff
- Spieler: 1 bis 4
- Alter: ab 12 Jahren
- Dauer: ca. 30 - 60 Min.
- Schwierigkeitsgrad: mittel
- Taktiklevel: 7/10
Schöne neue Welt?
Sieht so die Welt aus, in der wir leben möchten? Der Kontrast zwischen moderner Infrastruktur, fragwürdigen Gen-Experimenten und atomarer Aufrüstung ist schon bizarr. Das hält uns aber nicht davon ab, das alles zu nutzen, um möglichst viele Ressourcen zu produzieren - und unsere Produktionskette in diesem Engine Builder ans Laufen zu bringen.
REGELN
Jeder Spieler wählt eine Start-Imperiumskarte, die einem bereits erste Ressourcen in der Produktionsphase anbietet, je nach gewählter Seite auch schon eine Siegpunkte-Möglichkeit am Spielende. Doch so weit sind wir noch nicht ...
Die Entwicklungskarten werden gut gemischt (von jeder Karte ist teilweise auch eine größere Anzahl im Deck), jeder Spieler erhält 7 Karten (im Spiel zu zweit 10) auf die Hand. Von diesen Karten sucht sich jeder Spieler eine aus und gebt den Rest an seinen Nachbarn weiter, während er selber die weitergereichten Karten des anderen Nachbarn enthält (im Spiel zu zweit werden die Karten also immer hin und her gereicht). Das wiederholt sich nun.
Hat jeder 7 Karten in der Draft-Phase ausgewählt, folgt nun die Planungsphase. Jeder Spieler entscheidet, welche Karten er bauen möchte, diese verschiebt er nach oben in seinen Konstruktionsbereich) und welche der Karten er ggf. abwirft, um die rechts auf der Karte angegebene Ressource als Recycling-Bonus zu erhalten. Erhaltene Ressourcen müssen direkt Karten im Konstruktionsbereich zugeordnet werden. Jede Karte erfordert eine bestimme Anzahl an farbiger Ressourcen, dargestellt durch Einsetzfelder, auf die man die farblich passenden Ressourcen legt. Eine Karte muss nicht direkt beim Auslegen erfüllt werden, die nötigen Ressourcensteine können auch über mehrere Runden immer wieder ergänzt werden.
Wer Ressourcen erhält und sie nicht auf eine Karte legt, legt sie stattdessen auf seine Imperiumskarte. Wichtig: Was einmal liegt, liegt, und darf auch nicht mehr verschoben werden! Fünf angesammelte Ressourcen auf der Imperiumskarte werden aber in einen roten Joker getauscht, der wiederum zu einem beliebigen Zeitpunkt verwendet werden darf - entweder für ein rotes Einsetzfeld oder als beliebige Ressource. Ein Spieler darf eine Karte aus seinem Konstruktionsbereich im weiteren Verlauf auch noch nachträglich für den Recycling-Bonus abwerfen, darauf liegende Ressourcen wären dann aber futsch.
Wann immer eine Karte komplett mit ihrer Ressourcenvorgabe gefüllt wurde, wandert sie ins eigene Imperium (manche Karten liefern bei ihrer Fertigstellung auch noch zusätzlich einen einmaligen Sofortbonus). So bildet sich in der Auslage jedes Spielers über der Startkarte zunehmend eine Kette an Karten, welche dann in der Produktionsphase neue Ressourcen bzw. Punkte am Spielende liefern.
Nach der Planungsphase folgt dann die wichtige Produktionsphase. Die Ressourcen werden dabei, dem Spielplan folgend, von links nach rechts vergeben. Bei jeder Ressourcenart zählt jeder Spieler die passenden Symbole in seiner Produktionskette seiner fertig gestellten Karten, nimmt sich die entsprechenden Ressourcenwürfel und legt sie direkt auf passende freie Felder von Karten im Produktionsbereich oder auf seine Imperiumskarte.
Sollte beim Belegen eine neue Karte komplettiert werden, wandert sie sofort mit ins Imperium, sodass sie ggf. noch in der laufenden Produktionsphase mitproduziert! Bei jeder Produktionsfarbe wird auch der Spieler ermittelt, der ggf. die alleinige Mehrheit dieser Ressourcen produziert. Er bekommt dann ein Bonusplättchen (Person in blau oder rot).
Nach 4 solcher Runden wird dann abgerechnet. Jeder Spieler erhält 1 Punkt pro gesammeltem Personenplättchen sowie die Punkte, die auf manchen fertiggestellten Karten angegeben sind - das können einfache Punkte sein oder Punkte in Abhängigkeit bestimmter Kartenfarben, die im eigenen Imperium liegen; auch können Personenplättchen mit entsprechenden Punktekarten aufgewertet werden und eine höhere Punktezahl liefern.
Sämtliche Punkte werden auf dem beiliegenden Wertungsblock notiert. Wer die meisten Punkte gesammelt hat, gewinnt.
Das Spiel bietet zudem einen Solo-Modus.
Hinweis: Zum Test lag uns die englische Version des Spiels, "It's a wonderful World", vor. Seit Ende 2020 gibt es die lokalisierte Version unter dem Titel "Eine wundervolle Welt" mit deutschen Kartentexten, wobei das Grundspiel rein spielerisch sprachneutral ist.
GALERIE
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CHECKPOINT
PRO
- starker Engine Builder mit eigenem Kniff
- tolle Illustrationen, gutes Spielmaterial
- schnell gespielt und doch taktisch und tricky
CONTRA
- auf Dauer würde man sich noch mehr Möglichkeiten wünschen, um an Punkte zu gelangen
- austauschbares Thema
MEINUNG
Bereits das Cover zeigt den krassen Kontrast dieser "wunderschönen Welt" - eine moderne, finanzstarke Weltstadt steht hier dem Kriegstreiben gegenüber. Diese Diskrepanz zieht sich auch auf den gelungenen Karten-Illustrationen durchs Spiel und beweist mit einem sarkastischen Augenzwinkern, dass wohl Beides nötig zu sein scheint, wenn man ein erfolgreiches Imperium erschaffen möchte. Allen, die jetzt mit Atomwaffen oder Genmanipulation nichts anfangen können, sei aber direkt gesagt: Das Thema spielt während des Spiels keine wirkliche Rolle und bietet nur ein ungewöhnliches Setting. Man hätte das Spiel genauso gut in die Steinzeit oder ins Mittelalter verschieben können, ohne dass es spielerische Unterschiede gegeben hätte. Daran sieht man bereits eine Charakteristik von "Eine wundervolle Welt": Im Herzen ist das Spiel abstrakter Natur, die Illustrationen machen das Spiel natürlich trotzdem greifbarer.
Der Spielablauf ist also eher das, was einige "mechanisch" nennen, mich stört das hier aber keinesfalls. Wie z.B. auch "Gizmos", das ebenfalls nur von seiner Mechanik lebt, ist "Eine wundervolle Welt" ein waschechter Engine Builder. Wem das jetzt nichts sagt, kurze Erklärung: Engine Builder sind Aufbauspiele, bei dem man im Laufe des Spiels stetig mehr produziert. Man beginnt mit wenig, baut etwas hinzu, was einem dann mehr liefert, baut dadurch noch mehr hinzu, was noch mehr liefert - und am Ende hat man im besten Fall eine gut funktionierende Produktionskette, die einem von ganz allein Gewinne ausschüttet.
"Eine wundervolle Welt" bedient sich dabei zunächst einmal bekannten Elementen. Karten werden gedraftet (also herumgereicht und ausgesucht), danach haben sie zwei Funktionen: Der Spieler entscheidet, welche er "bauen" und welche er als einfaches Zahlungsmittel für Ressourcen verwenden möchte. Hier beginnen bereits wichtige Entscheidungen. Da das eigene Imperium zu Beginn noch wenig produziert, kann es mitunter lange dauern, bis man die Kosten einer Karte entrichten kann, ja, teilweise wird es sogar unmöglich sein. Direkt die teuersten Karten fertigstellen zu wollen, ist da vielleicht nicht gerade der beste Plan ... So ist es doch erst einmal wichtig, viele Produktionskarten zu bauen. Da macht es am Anfang auch durchaus Sinn, vielleicht in der ersten Runde nur drei wichtige Karten auszuwählen und mit den vier recycelten erst einmal nur Rohstoffe zu nehmen, die im besten Fall bereits eine oder zwei Karten aus dem Konstruktionsbereich noch vor der Produktionsphase in die eigene Produktionskette schieben. Das Hantieren mit den bunten, größtenteils durchsichtigen Rohstoff-Würfelchen ist gelungen, das Belegen kleiner Einsetzfelder ist nicht nur hilfreich, es sieht auch einfach schön aus.
Die Produktionsphase ist das Herzstück dieses Spiels. Und diese Mechanik ist wirklich stark. Produziert werden die Ressourcen immer von links nach rechts auf dem Spielplan, der ansonsten keine spielerische Funktion hat. Mit dem Hintergrundwissen, wann was produziert wird und zu mir gelangt, muss ich dann auch vorher bereits Karten aussuchen. Ich weiß, dass ich als erstes zwei graue Ressourcen produziere? Prima, dann lege ich doch während der Draft-/ Planungsphase eine Karte in meinen Konstruktionsbereich, die genau diese zwei grauen Ressourcen erfordert. Die Karte wiederum produziert selber schwarze Ressourcen? Noch besser, dann brauche ich sie auch nicht vor der Produktion mit recycelten Ressourcen bezahlen, denn sie bringt mir ja erst im nächsten Schritt der Produktion Einkommen. Mit der grauen Produktion erfülle ich die Karte, schiebe sie in mein Imperium, und danach ist die Produktion schwarzer Ressourcen an der Reihe. Wie gut, dass ich die eben erfüllte Karte nun direkt nutzen kann, und so auch schon schwarze Ressourcen produziere, die ich nun wieder auf eine weitere Karte einsetzen kann. Auch sind manche Soforteffekte beim Komplettieren einer Karte wichtig für zusätzliche Möglichkeiten abseits der normalen Produktion.
Wie man sieht, ist also diese Verknüpfung der Produktionsschritte überaus taktisch und tricky. Gerade Neulingen wird es da noch passieren, dass sie plötzlich durch erfüllte Karten Ressourcen produzieren, zu denen sie gar keine "leeren" Karten in ihrem Konstruktionsbereich ausliegen haben. Solche Ressourcen sind glücklicherweise nicht verloren, sondern können, bei entsprechender Ansammlung, Jokersteine liefern. Dennoch: Wer hier vorausschauend plant, kann perfekte Synergien erzeugen.
Direkte Interaktion unter den Spielern - im Sinne von Konfrontation - ist im Spiel quasi nicht vorhanden. Sie beschränkt sich auf die Kartenauswahl beim Draften (entferne ich z.B. eine wertvolle Karte aus der Auswahl, auch wenn ich sie selber nicht gebrauchen kann, sie meinem Nachbarn aber eine hohe Punktezahl einbringen würde? Da kann ich auch mal gemein sein, und eine solche Karte einfach recyceln ... ) - und auf die Mehrheiten-Wertungen in der Produktionsphase. Nur so komme ich sicher an die Personenplättchen, die ich teilweise sogar zum Kauf teurer Karten benötige.
Nun ist eine gut laufende Produktionskette zwar prima, bringt mir aber bislang noch keinerlei Punkte. Man sollte also zusehen, sich auch viele Punktekarten ins Imperium zu holen. Natürlich sind Karten mit hoher Punktezahl sehr schwierig zu erfüllen, hier bedingt also eine Sache die andere. Da sich viele Punktekarten auf bestimmte Kartenfarben im eigenen Imperium beziehen, wird man recht schnell einen bestimmten Weg einschlagen. Bekomme ich am Spielende durch Punktekarten z.B. bereits 3 Punkte pro grüner Karte, so werde ich mich natürlich darauf konzentrieren, bevorzugt Grün zu bauen. Also sollte meine Produktionskette auch möglichst viel Grün produzieren, da grüne Karten eben halt auch nach vielen grünen Ressourcen verlangen. Bekomme ich Extrapunkte für jedes rote Plättchen? Na, dann sollte ich Mehrheiten an den richtigen Produktionsorten, an denen ich rote Plättchen erhalte, erschaffen - oder gezielt Karten bauen, die mir diese roten Plättchen als Soforteffekt liefern.
"Eine wundervolle Welt" bietet eine schöne Spieltiefe für alle Fans von taktischen Engine Buildern. Auf lange Sicht wünsche ich mir jetzt schon noch mehr Möglichkeiten, um an Punkte zu gelangen. Das Spiel bietet sich natürlich perfekt an, Erweiterungen nachzuschieben.
Ich persönlich finde das Spiel wirklich sehr gelungen. Das pfiffige Spielprinzip ist im Grunde simpel, in seiner Umsetzung aber echt trickreich. Wer hier Highscores knacken will, muss also gut planen und vorausschauend spielen. Das alles ist mir in Summe bereits jetzt sehr gute 8 Kultpunkte wert. Wenn es in der Zukunft einen noch größere Kartenauswahl gäbe, könnte diese Kultwertung auch noch steigen. Wer taktische Engine Builder mag, sollte sich das Spiel, sofern er die Möglichkeit hat, unbedingt einmal anschauen! Von mir gibt es dafür jedenfalls eine klare Empfehlung!
Ein Video zum Spiel findet ihr auf YouTube: https://youtu.be/BvfKkVSS0gk
KULTFAKTOR: 8/10
Spielidee: 9/10
Ausstattung: 8/10
Spielablauf: 8/10
TEAM-TREND
Die Kultfaktor-Wertungen weiterer Spielkultisten:
Anke: 9/10
André: 8/10
Jürgen: 7/10
Ulf: 7/10
Carola: 6/10
Ralf: 6/10
EUER REZENSENT
INGO
Vielspieler, Skifahrer, Italien-Fan, Medienheini
Eine Rezension vom 20.01.2020
Bildnachweis:
Coverfoto: La Boîte de Jeu, Origames. Kobold Spieleverlag
Weitere Fotos: Spielkultisten