REZENSION
CAMPUS GALLI
- Genre: Familie / Taktik
- Jahr: 2024
- Verlag: HUCH!
- Autor: Steffen Bogen
- Grafik: Harald Lieske
- Personen: 1 bis 4
- Alter: ab 10 Jahren
- Dauer: ca. 60 Minuten
- Schwierigkeitsgrad: mittel
- Initiativlevel: 6/10
Plättchen legen auf der Mittelalterbaustelle
In einem kleinen Städtchen in der Nähe des Bodensees entsteht seit 2013 die Klostersiedlung „Campus Galli“. Das ist an sich nichts Spektakuläres, denn Klöster wurden in den vergangenen Jahrhunderten zuhauf in Europa gebaut. Doch diese Baustelle ist dann doch sehr ungewöhnlich, denn der zugrundeliegende Bauplan ist über 1200 Jahre alt und einer der ältesten Architekturpläne der Welt. Dabei handelt es sich um den berühmten St. Galler Klosterplan, dessen Pergament sorgsam aufbewahrt wird, damit die beim Zeichnen verwendete Tinte nicht irgendwann verblasst. Noch dazu werden alle Handwerksleistungen so ausgeführt, wie man es vor tausend Jahren erwartet hätte: ohne strombetriebene Errungenschaften wie Akkuschrauber und Kreissäge, dafür aber mit umso mehr Fleiß und Improvisationstalent.
Im Legespiel Campus Galli lasst ihr anhand der eindrucksvollen Bauvorlage die eingangs erwähnte Klostersiedlung nun auf dem Spielplan entstehen. Drei Schwierigkeitsgrade und Spielmodi (solo, kooperativ und kompetitiv) sollen dabei für Abwechslung sorgen.
REGELN
In der Tischmitte befindet sich der Klosterplan, auf den sogleich die verschiedenen Klostergebäude mit der Pergamentseite nach oben gelegt werden. Lediglich Kirche, Kreuzgang, Bäckerei, Brauhaus, Annen- und Pilgerhaus kommen mit der Baustellenseite nach oben. Warum diese Unterscheidung im weiteren Spielverlauf noch wichtig ist, klären wir später. Ebenfalls auf dem Tisch liegen Bauteile in verschiedenen Formen (die sogenannte „Bauhütte“), die Aufgabentafel mitsamt den Aufgabenkarten, eure persönlichen Planungstableaus sowie 15 farbige Holzfiguren pro Person (je nach Anordnung Mönche/Baumeister). Weitere Bauteile befinden sich im Beutel, der thematisch passend als „Betsäckchen“ umschrieben wird. Jeder Teilnehmer zieht verdeckt eine bestimmte Anzahl an Aktionskarten und erhält eine Karte „Engel“, mischt den Kartenstapel gut durch und legt ihn auf dem eigenen Tableau ab. Eure Aufgabe: aus dem Klosterplan auf Pergament sollen zuerst Holz- und schließlich Steingebäude entstehen. Darüber hinaus warten die Aufgaben der Äbtissin darauf, erfüllt zu werden.
Vor jeder Runde wird die Aufgabentafel so aufgefüllt, dass je nach Spielerzahl eine bestimmte Anzahl an Karten offen sichtbar ist. Eine Aufgabe kann zum Beispiel lauten, ein bestimmtes Bauteil der angegebenen Form auf dem genannten Klostergebäude zu platzieren (zum Beispiel ein L-Teil auf dem Kreuzgang). Andere Aufgaben lassen sich erfüllen, indem man ein Bauteil an eine bestimmte andere vorgegebene Form anlegt. Die Bedingungen sind vielfältig und lassen Raum für vielfältiges Plättchenlegen. Liegt eine Karte aus, deren Bedingung bereits erfüllt ist, wird diese umgehend durch eine neue Karte ersetzt. Und noch eine Besonderheit: Befindet sich eine Aufgabenkarte auf der Tafel, die ein Gebäude betrifft, das noch mit der Pergamentseite ausliegt, wird dieses sofort auf die andere Seite, die „Baustellenseite“, gedreht.
Ihr zieht nun gleichzeitig die oberen zwei Aktionskarten vom Stapel eures Planungstableaus und wählt eine davon für diese Runde aus. Die andere kommt auf das Feld „Nächstes Jahr“. Sie ist dann vorläufig aus dem Spiel und kommt erst wieder im zweiten Durchgang zum Vorschein. Die Reihenfolge, in der ihr dann in der laufenden Runde zum Zug kommt, wird anhand einer Nummerierung auf der Karte ermittelt.
Mit der gewählten Aktionskarte könnt ihr dann entweder ein Bauteil einer bestimmten Form oder Farbe auf dem Spielplan platzieren – und zwar entweder aus der offen ausliegenden „Bauhütte“ oder indem ihr die genannte Form aus dem Beutel ertastet (wobei ihr dann natürlich die Farbe nicht im Voraus kennt). Gewisse Karten lassen euch zudem die Wahl zwischen verschiedenen Teilen. Die Karte „Engel“, die einmal pro Kartendeck vorhanden ist, gewährt euch sogar vollständig freie Hand über das gewünschte Teil.
Beim Legen des gezogenen Bauteils müsst ihr verschiedene Legeregeln beachten. Eine davon lautet, dass zwar Wiesen, aber keine Bäume überdeckt werden dürfen. Eine weitere Regel besagt, dass mindestens ein Feld eines Holzgebäudes ersetzt werden muss. Schafft ihr es sogar, dass das gelegte Teil mindestens ein Symbol in der Farbe des Bauteils überdeckt und mit keiner Seite auf ein Wiesenfeld des Spielplans ragt, dürft ihr einen Baumeister auf das jeweilige Bauteil stellen. Erfüllt ihr durch das Anlegen außerdem die Bedingung einer Aufgabenkarte, dürft ihr euch diese gleich nehmen. Vorteilhaft ist auch das Vollenden eines Klostergebäudes, d.h. wenn alle freien Felder mit einem Bauteil belegt sind. Immer dann dürft ihr ein beliebiges Klostergebäude von der Pergament- auf die Baustellenseite drehen und einen Baumeister darauf platzieren. Hüten solltet ihr euch hingegen vor faulen Mönchen. Diese müsst ihr auf dem Spielplan platzieren, wenn zwischen den Bauteilen eine Lücke mit weniger als drei Feldern entsteht. In diesem Fall wird die Holzfigur eurer Farbe darauf gelegt und zählt am Ende einen Minuspunkt – im Gegensatz zu Baumeistern, die einen Siegpunkt einbringen.
Nach einer Runde kommen die gewählten Aktionskarten auf den Ablagestapel des Planungstableaus und eine neue Runde beginnt. Das Spiel endet, wenn alle Karten eines Durchgangs zum zweiten Mal ausgespielt wurden. Zusätzlich zu den Siegpunkten der Baumeister gibt es Punkte für erledigte Aufgabenkarten. Wer jetzt nach Punkten vorn liegt, gewinnt das Spiel.
In Level II („Libri et Hospites – Bücher und Gäste“) ändern sich die Regeln dahingehend, dass ihr Plaketten ausspielen müsst, um bestimmte Effekte auszulösen. Und das geht so: Für das Ausspielen einer Aktionskarte, von denen es gelbe, rote, grüne und blaue gibt, müsst ihr eine gleichfarbige Plakette abgeben und könnt erst dann die gewählte Aktion nutzen. Durch die Platzierung von Plättchen auf dem Spielplan erhaltet ihr gewisse Plaketten wieder zurück, je nach der Farbe des eingebauten Teils. Eine Besonderheit ist die Erweiterung eurer Bibliothek, denn auch durch die Abgabe von grünen Plaketten könnt ihr euch im selben Atemzug eingesetzte Plaketten wieder zurückholen, jedoch hier steigend zur Anzahl eurer Bücher, die sich in eurer Bibliothek befinden. Zudem prägen weitere Sonderaktionen und Ereignisse den Spielverlauf.
In Level III („Eventus er Periculi - Ereignisse und Gefahren“) steigt die Komplexität abermals, denn neben den im vorherigen Level eingeführten Plaketten kommen noch verschiedene Bedrohungen hinzu. So drohen bestimmte Gebäude in Brand zu geraten, oder ein Unwetter bringt den Nordturm der Kirche zum Einsturz, woraufhin das entsprechende Bauteil zurück in den Beutel oder Vorrat kommt und von dort aus erneut eingesetzt werden muss. Wird gar ein Baustopp verhängt, wird ein Absperrband auf das Gebäude gelegt, und dort dürfen keine weiteren Bauteile mehr angelegt werden. Farbwürfel bringen zusätzliche Unwägbarkeiten ins Spiel und bestimmen in manchen Fällen, welche Plaketten abgegeben werden müssen, um einen Schaden abzuwenden. Auch in den beiden Varianten gewinnt, wer am Ende nach Siegpunkten vorn liegt.
Varianten: Übrigens lässt sich Campus Galli auch solo oder kooperativ spielen. Die Regeln werden in beiden Fällen weitgehend beibehalten. Über erfolgreiches Abschneiden gibt eine Punktetabelle in der Spielanleitung Aufschluss.
GALERIE
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CHECKPOINT
PRO
- drei Levels mit steigendem Anspruch
- gewitztes Element: das „Betsäckchen“
- reichhaltige und hochwertige Ausstattung
CONTRA
- das Thema kommt kaum durch
- Schwächen bei der Spielanleitung
- das Kartensortieren nimmt viel Zeit in Anspruch
MEINUNG
Wie viel Herzblut in Campus Galli steckt, geht schon aus der Spielanleitung hervor, die zur einen Hälfte aus den eigentlichen Spielregeln und knapp zur anderen Hälfte aus einer historischen Einordnung zum Werdegang des St. Galler Klosterplans besteht. Reichlich bebildert werden das berühmte Architekturdokument aus dem 9. Jahrhunderts und seine Geschichte erklärt, ergänzt durch zahlreiche Einblicke in die Entstehung des Spiels und die intensive Zusammenarbeit mit der Stiftsbibliothek St. Gallen und dem Leitungsteam des Campus Galli. Man kann regelrecht ahnen, mit welche großer Begeisterung der Autor Steffen Bogen und Huch!-Redakteur Stefan Stadler auf der berühmten Klosterbaustelle im baden-württembergischen Meßkirch zu Gast waren. Gemeinsam mit den Historikern wurde das Spielprinzip festgelegt, Probepartien absolviert und dabei immer wieder Feinheiten abgestimmt. All dies macht zwar noch lange kein gutes Spiel, ist aber definitiv äußerst ehrenwert. Doch wie spielt sich Campus Galli denn nun?
Im ersten Level ist Campus Galli ein leicht zugängliches Familienspiel, das euch behutsam an die Spielmechanik heranführt. Die Wahl zwischen verschiedenen Bauteilen, die entweder aus der offenen Auslage (Bauhütte) oder aus dem Beutel (Betsäckchen) genommen werden, kommt dabei indirekt zustande. Denn Zug für Zug steht ihr vor der fordernden Aufgabe, euch möglichst geschickt zunächst für eine Aktionskarte zu entscheiden, um erst im nächsten Schritt das zugehörige Bauteil zu nehmen. So baut ihr das Kloster auf Grundlage der Pergamentskizze vom Holz- zum Steingebäude aus und es entsteht tatsächlich ein kleines „Campus Galli“ auf dem Spielplan. Erstaunlicherweise kommt die Thematik nur zaghaft zum Tragen, denn im Kern ist das nach der Mittelalterbaustelle benannte Legespiel … eben ein Legespiel!
Die Aktions- und Aufgabenkarten sind schön gestaltet und lassen durchaus Atmosphäre entstehen, doch allzu viel Gelegenheit bleibt nicht, die zweifellos vorhandene Stimmung aufzunehmen, denn das Platzieren der punkteträchtigsten Bauteile ist eine durchaus komplexe Grübelei, insbesondere wenn im zweiten Level zusätzliche Plaketten ins Spiel kommen und dadurch das Anlegen von Bauteilen in doppelter Hinsicht gut überlegt sein möchte. Wähle ich diese Aktionskarte und setze dafür die grüne Plakette ein, mit dem Ergebnis, dass ich dann eine rote Plakette zurückerhalte? Gehe ich besser den umgekehrten Weg? Oder sichere mir gar eine gelbe Plakette? Mit den spontan auftretenden Ereignissen kommt zusätzliche Dynamik auf, und oft genug erweist sich die Auswahl einer Aktionskarte als anspruchsvolle Angelegenheit. Euch erwartet somit spätestens im dritten Level ein Kennerspiel im gehobenen Bereich - und man ahnt, dass man angesichts der Regelfülle den typischen Museumsbesucher, der das Brettspiel beim Besuch der Sehenswürdigkeit erwirbt, wohl ein wenig überfordert. Damit dies nicht passiert, bleiben Familienspieler eben dauerhaft bei Level I.
Leider ist die Spielanleitung nicht ideal aufgebaut und hinterlässt anfangs viele Fragen, da es darin auch an Beispielen mangelt. Schon beim Sortieren des Spielmaterials wird‘s dezent holprig. So erhält jede Person laut Anleitung 15 Figuren, in der Schachtel (der vorliegenden ersten Auflage) befinden sich jedoch fünf zusätzliche Figuren pro Farbe – sowie seltsamerweise weitere 20 Stück in einer gar nicht enthaltenen (fünften) Spielerfarbe. Man mag das vielleicht großzügig nennen, nach dem Motto „Wenn mal was verlorengeht“ – bewusst so gedacht war das wohl nicht. Zudem zeigen die Aktions- und Aufgabenkarten in Level III fälschlicherweise dieselbe Rückseite, was das zwingend notwendige Auseinandersortieren der Karten nicht unbedingt erleichtert. Im Spielaufbau zu dritt erhält jede Person 10 Aktionskarten (so steht es korrekt auf einer Gebäuderückseite) und nicht 11, wie in der Spielanleitung genannt. Und im Spiel befinden sich 44 Level-I-Karten statt 48. Autor und Redakteur haben sich erfreulicherweise bemüht, schnellstmöglich die offensichtlichen Fehler mitsamt Hinweisen für eine korrekte Spielweise zu benennen. Doch es ist schade, dass man dadurch den Einstieg unnötig erschwert, zumal Campus Galli ja durchaus den Anspruch hat, Familienspieler zu erreichen. Klar gelungen ist der Aspekt, diese Spieler sukzessive an ein Kennerspiel heranzuführen.
Zwar wird die Eleganz und Schlichtheit eines Carcassonne nicht ganz erreicht, aber dafür hat man mit den drei Levels genügend Varianz integriert, die Campus Galli über einige Abende hinweg an den (Kloster-)Plan fesseln. Dass das Thema nicht unbedingt so stark zum Tragen kommt wie man es vielleicht erwartet hätte, ist für ein Legespiel ohnehin nicht so wichtig. Dank seiner liebevollen Herangehensweise und der behutsamen Steigerung der Komplexität zücke ich deshalb gerne 7 Kultpunkte.
KULTFAKTOR: 7/10
Spielidee: 7/10
Ausstattung: 8/10
Spielablauf: 7/10
EUER REZENSENT
CHRISTOPH
Kinder- und Kennerspiel-Spieler, Stefan-Feld-Fan, Im-Sommer-in-jeden-See-Springer
Eine Rezension vom 25.02.2025
Dieser Spieletest wurde unterstützt durch ein Rezensionsexemplar.
Bildnachweis:
Coverfoto: HUCH!
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