REZENSION
TURNING TIDES
- Genre: Taktikspiel
- Jahr: 2022
- Verlag: Never Be Boardgames
- Autoren: Jasper Wille, Pepijn van den Bosch, Rick Brune
- Spieler: 2
- Alter: ab 14 Jahren
- Dauer: 15 bis 45 Minuten
- Schwierigkeitsgrad: leicht
- Taktiklevel: 6/10
Treffer, versenkt!
Nassau, Bahamas, im Jahr 1718. Die Piraten haben die Kolonie zur ihrer eigenen Republik erklärt, doch wer wird ihr neuer Anführer? Zwei Piratenschiffe sind auf dem Weg, um ihre Macht zu demonstrieren - doch nur ein Piraten-Boss wird am Ende als Sieger hervorgehen!
KICKSTARTER PREVIEW
Wichtige Info vorab: Zum Test stand uns ein englischsprachiger Prototyp des Spiels zur Verfügung. Das auf den Fotos zu sehende 3D-gedruckte Material wird man einer „Deluxe-Edition" erwerben können, ansonsten wird das Spiel abweichend mit Papp- und Holzmaterial ausgeliefert. Das Spiel an sich ist sprachneutral.
REGELN
Turning Tides ist ein Duellspiel. Beide Spieler erhalten jeweils ein eigenes Schiff, dargestellt auf einem Tableau und dazu passendes Spielmaterial (silber- oder goldfarben). Die Schiffe sind in je 7 Sektoren unterteilt, deren erster Sektor sich vor Spielbeginn gegenläufig berührt. In jeder Runde fahren die Schiffe Sektor für Sektor aneinander vorbei, wenden dann um 180 Grad und wiederholen dies in entgegengesetzter Richtung, bis ein Sieger feststeht.
Vor Spielbeginn bestückt jeder Spieler sein Schiff nach Vorgabe in der Anleitung. Ein Mast, der Kapitän, eine Kanone (zunächst aufs offene Meer zeigend) sowie zwei Seeleute werden in verschiedene Sektoren des Decks gestellt. Jeder Spieler erhält zudem ein identisches Kartenset, von denen je vier vorgegebene Karten offen als Austauschkarten vor die Spieler gelegt werden. Jeder Spieler nimmt die „Pausieren"-Karte auf die Hand, mischt die restlichen Karten und bildet daraus eine Nachziehstapel.
Nun kann das Duell beginnen. Jeder Spielzug läuft immer nach folgendem Schema ab: Zunächst wird die oberste Karte vom Stapel auf die Hand gezogen. Nun muss sich jeder Spieler entscheiden, welche Karte er ausspielen möchte. Dies macht er zunächst verdeckt, dann erst werden die gespielten Karten aufgedeckt. Die einzelnen Aktionskarten folgen einer Hierarchie, die auf einer gesonderten Karte dargestellt wird. So werden die Aktionen dann in der vorgegebenen Reihenfolge ausgeführt. Sollten beide Spieler eine Karte der selben Stufe gewählt haben, beginnt der Spieler mit dem Initiativemarker, den am Anfang der goldene Spieler besitzt.
Nach dem Ausführen der Aktionen werden die gespielten Karten abgelegt und die Schiffe fahren um einen Sektor weiter, im zweiten Spielzug sind es also bei den beiden Schiffen schon zwei Sektoren, die aneinander angrenzen. Dann beginnt der Spielzug von vorn.
Die Aktionen auf den Karten sind folgende:
- Wird die Pausieren-Karte gespielt, macht der Spieler nichts. Achtung! Die Pausieren-Karte ist die einzige Karte, die nie abgelegt wird! Diese Karte wird immer wieder zurück auf die Hand genommen! Sollten beide Spieler pausieren, fahren die Schiffe einen zusätzlichen Schritt weiter.
- Die Matrosen-Karte bringt eine neue Matrosen-Figur aus dem Vorrat des Spielers aufs Schiff. Die Figur darf auf einem beliebigen Sektor platziert werden.
- Die Kanonen-Karte bringt eine neue Kanone aus dem Vorrat des Spielers aufs Schiff. Die Kanone darf in einem beliebigen Sektor platziert werden, die Ausrichtung (zum Meer oder zum Gegnerschiff) ist dem Spieler überlassen. Pro Sektor kann auf jeder Seite nur eine Kanone stehen.
- Die Karte der Bewegung ermöglicht das Versetzen von Material auf dem eigenen Schiff. So kann eine Figur oder eine Kanone an eine andere beliebige Stelle gestellt werden.
- Die Karte der Navigation offeriert drei Optionen: Das Übernehmen des Initiativemarkers, das sofortige Vorfahren der Schiffe um einen zusätzlichen Sektor oder aber eine sofortige Rückwärtsbewegung der Schiffe um einen Sektor.
- Die Schwing-Karte erlaubt es, eine eigene Matrosen-Figur auf den angrenzenden Sektor des Gegnerschiffes schwingen zu lassen. Ein dort vorhandener Matrose wird vom Schiff gestoßen und kehrt in den Besitz des Gegenspielers zurück. Befindet sich in dem Sektor kein Matrose, sondern nur noch der Kapitän, wird dieser vom Schiff gestoßen. Der schwingende Matrose hingegen kehrt auf sein Schiff zurück.
- Die Feuer-Karte zündet eine Kanone. Das geht allerdings nur, wenn im selben Sektor ein Matrose steht, der die Kanone bedient. Zeigt die Kanone auf das Gegnerschiff, wird der angrenzende Sektor betrachtet:
- Befindet sich in dem Sektor der Mast, schützt er die Crew und die Kanonen. Der Mast wird zerstört und aus dem Spiel entfernt.
- Befinden sich in dem Sektor Figuren und / oder Kanonen, werden sie zerstört und in den Vorrat des Gegenspielers zurückgelegt.
- Befindet sich in dem getroffenen Sektor gar nichts, so erleidet das Gegnerschiff Schaden. Ein Schadensmarker (Totenkopf) wird platziert. Dieser Sektor kann nun nicht mehr mit Spielmaterial belegt werden.
Sollte ein Spieler am Ende einer Runde (sobald beide Schiffe komplett aneinander vorbei gefahren sind) noch Handkarten besitzen (außer der „Pausieren"-Karte), kann er Karten mit seinen vor ihm liegenden Tauschkarten ersetzen, bevor eine neue Runde beginnt.
Nun gibt es noch zwei besondere Regeln:
- Wann immer ein Spieler Material vom Schiff verliert (Mast, Kanone, Figuren), erhält er zum Ausgleich den Initiativemarker. Dieser wechselt im Spiel also häufiger den Besitzer.
- Sollte der Kapitän vom Gegnerschiff durch einen Angriff entfernt werden, so wird er im nächsten Spielzug des Besitzers dieses Schiffs aufs Deck zurück gebracht, indem eine Karte (außer der „Pausieren"-Karte) gespielt wird. Die Aktion der Karte wird nicht ausgeführt, stattdessen ersetzt der Kapitän einen noch vorhandenen Matrosen.
Das Spiel endet sofort, wenn es einem Spieler gelingt
- dem Gegnerschiff den 3. Schadensmarker zuzufügen ODER
- die Crew des Gegnerschiffes komplett zu eliminieren.
Dieser Spieler wird nun zum Sieger gekürt.
GALERIE
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CHECKPOINT
PRO
- actionreiches Duellspiel
- Mischung aus Taktik, Bluff und „Lesen“ des Gegners
- schönes Material
CONTRA
- anfangs auch glücksabhängig
- Spiellänge variiert stark
MEINUNG
Bei Turning Tides kennen wir keine Freundschaften, Turning Tides ist ein waschechtes Angriffsspiel, ein Duell, bei dem der Gegner ausgeschaltet werden muss. Das sollte man also schon mal als Grundbedingung mögen, wenn man sich auf dieses Spiel einlässt. Das fällt einem aber nicht besonders schwer, denn allein das Spielmaterial sorgt für eine tolle Tischpräsenz. Nun hatten wir in unserem Prototypen das hochwertig glänzende Deluxe-Material in der Box; wer auf Bling Bling verzichten kann, wird aber auch mit dem einfacheren Holz- und Pappmaterial spannende Kämpfe erleben.
Das maritime Setting unterstützt die Schiffe versenken 2.0-Idee. Nein, mit klassischem Schiffe versenken hat das Spiel nichts gemein, aber es beschreibt recht gut, worum es im Spiel geht. Nur mit dem Abfeuern von Kanonen bzw. dem Eliminieren der Crew kann man gewinnen. Dafür stehen die Karten zur Verfügung, die ihre individuellen Funktionen haben. Diese Funktionen muss man anfangs erlernen, zusätzliche Symbole hätten den Einstieg erleichtert. Da das Deck jedoch schlank ist, hat man spätestens in der zweiten Runde keine Probleme mehr, die Karten auseinanderzuhalten.
Gerade zu Beginn einer Runde ist durchs zufällige Ziehen der Karten auch Glück im Spiel vorhanden. Manche Karten erscheinen anfangs stärker als andere. Wer schnell Kanonen vorbereiten kann, kann mit der Feuer-Karte halt auch schneller schießen. Wer das Spiel schon etwas besser kennt, wird sich jedoch oftmals zu wehren wissen. Neulinge machen oft den Fehler, alle Aktionskarten schnell auszuspielen, was unklug ist, da eine Runde über weit mehr Spielzüge laufen kann, als einem Karten zur Verfügung stehen. Nur mit dem regelmäßigen Ausspielen der Pausieren-Karte kommt man gut durchs Spiels und hat dann vielleicht am Rundenende sogar die Möglichkeit, eine vermeintlich ungeliebte Karte gegen eine stärke auszutauschen.
Das Spielgefühl erinnert mich ein wenig an das Spiel des Jahres 2015, Colt Express. Auch da programmierten wir unsere Aktionen und mussten dann darauf hoffen, dass deren Umsetzung gelingt, da die Mitspieler einem einen Strich durch die Rechnung machen konnten. Dieses Bluff- und Ärgerelement ist in abgespeckter Version auch in Turning Tides zu finden. So versuche ich natürlich, den Gegner aus der Reserve zu locken, ihm vielleicht wichtige Karten zu entziehen, um dann selbst zuzuschlagen. Schnell zeigt sich: Was immer man vorhat, wird nicht immer so passieren, im Gegenteil. Plötzlich lässt der Gegner das Schiff rückwärts fahren, und meine Kanone schießt aufs offene Meer. Ärgerlich, denn die Karte ist schon eine der wichtigsten. Oder ein Pirat wird plötzlich zum Freischwinger. Auch ärgerlich, da eine vergebene Aktion.
Genau von diesen Überraschungsmomenten lebt Turning Tides. Es ist eine Mischung aus taktischer Planung, aber eben auch dem „Lesen“ des Gegenspielers nach dem Motto: „Ich denke, dass du denkst, dass ich denke ...". Was hat mein Gegenspieler vor? Wohin platziere ich meine Crew? Nutze ich eine Kanone direkt, oder verstärke ich erst einmal meinen Waffenvorrat an Bord? Wer solche neckischen Spiele mag, der hat sicher Freude an Turning Tides. Es ist kein abendfüllendes Strategiespiel, sondern ein lockeres Angriffs-Duell für zwischendurch, wobei man sagen muss, dass die Spiellänge doch stark variieren kann.
Am meisten Spaß machen mir die Duelle, in denen es schnell zur Sache geht, in denen schnell Totenkopf-Marker verteilt und die Mannschaft reduziert wird. Dann entsteht ein spannendes Tauziehen darum, wer sich wortwörtlich länger über Wasser hält. Ich habe allerdings auch Partien erlebt, in denen sich die Spieler lange nur belauerten, keine wirklichen Angriffsversuche starteten bzw. wenn, diese immer wieder zu einem Fehlschlag führten. Das sind dann so Partien, die sich auch mal in die Länge ziehen können, da es kein Auffangnetz für passives Spielen beider Parteien gibt. Nun sollte man sich als Pirat aber auch nicht stundenlang auf dem Deck ausruhen und immer nur von einer in die anderen Richtung segeln ...
Wenn beide Spieler das Spielkonzept verinnerlicht haben und auch ausleben, dann ist Turning Tides echt spaßig und auch spannend. Je nach Verlauf vergebe ich gute 7 bis hin zu sehr guten 8 Kultpunkten für die anvisierte Zielgruppe, die es mag, übers Taktieren und über direkte Angriffe ein Spiel gewinnen zu können. Mir gefällt‘s!
VIDEO
Unser Video zum Spiel findet ihr auf YouTube: https://youtu.be/R5bmihrBZJU
KULTFAKTOR: 7-8/10
Spielidee: 8/10
Ausstattung: 8/10
Spielablauf: 7/10
EUER REZENSENT
INGO
Vielspieler, Skifahrer, Italien-Fan, Medienheini
Eine Rezension vom 12.10.2021
ZWEITMEINUNG
Meine Zweitmeinung beruht auf einem Ersteindruck meiner Eindrücke, die ich euch, ergänzend zu Ingos ausführlicher Meinung oben, kurz schildern möchte.
In den ersten Partien von Turning Tides ist es zunächst überraschend, wie wichtig die "Wait"- (Pausieren-)Karte ist. Spieler, die das Spiel zum ersten Mal spielen, übersehen oft die Tatsache, dass man nach 7 großzügig gespielten Karten noch 7 Züge übrig hat, bis die Runde endet. Bevor beide dann nur noch pausieren, und das Schiff zum Wenden bewegen, ist es taktisch sinnvoller, seine Karten gut aufzuteilen. Das Spiel kann dadurch recht strategisch werden.
Wichtig ist es dann auch, wie ein Schiff bestückt ist, im Vergleich zum gegnerischen Schiff. So warte ich vielleicht nur darauf, das ungeschützte Heck meines Gegners mit meinem bewaffneten Bug zu erreichen, muss aber auch schauen, dass ich selbst Opfer besitze, die meine anderen Bereich schützen.
Leider erscheint, wie Ingo es bereits ebenfalls feststellte, in den ersten drei Zügen einer Runde das Glück recht stark. Da kann sich schon zeigen, wer in dieser Runde erfolgreich sein wird, insbesondere auch, wenn ein Spieler mehr Angriffskarten besitzt als der andere. Dafür ist ein Kartentausch nötig, den wir in unseren Anfänger-Runden aber nicht wirklich genutzt haben. Fortgeschrittene Spieler werden sicher auf diese Möglichkeit, das Deck angriffslustiger zu machen, zurückgreifen und dann auch zunehmend mehr Verteidigungsmöglichkeiten entdecken.
Mein Ersteindruck hinterlässt dem Spiel gute 7 Kultpunkte - eine sehr passable Leistung für einen Erstling der Autoren bzw. des jungen Verlages!
Hinweis: Das Spiel kann seit dem 12.10.2021 über Kickstarter finanziert werden. Externer Link zur Kampagne: https://www.kickstarter.com/projects/turningtides/turning-tides-a-bold-strategic-2-player-board-game
VIDEO
Unser Video zum Spiel findet ihr auf YouTube: https://youtu.be/R5bmihrBZJU
ERSTEINDRUCK: 7/10
EUER REZENSENT
LUTZ
Wahl-Niederländer, Elektrochemiker, Zuvielspieler, Rätselenthusiast
Eine Zweitmeinung vom 12.10.2021
Für diesen Spieletest wurde uns ein Prototyp zur Verfügung gestellt.
Bildnachweis:
Coverfoto: Never Be Boardgames
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