REZENSION
THE HUNGER
- Genre: Taktikspiel
- Jahr: 2022
- Verlag: Pegasus Spiele, Origames
- Autor: Richard Garfield
- Illustrationen: Alexey Bogdanov, Marta Ivanova, Jocelyn Millet, Semyon Proskuryakov
- Spieler: 2 bis 6
- Alter: ab 10 Jahren
- Dauer: 45 bis 90 Minuten
- Schwierigkeitsgrad: leicht bis mittel
- Taktiklevel: 6/10
Schatztruhen, Blut und Rote Rosen
„Wenn im Licht des aufgehenden Mondes die unsterblichen Rosen erblühen, erwachen die Vampire“ - mit einem Satz wie aus einem Kitschroman beginnt die Anleitung dieses Kennerspiels, bei dem wir als Vampire auf die Jagd gehen, aber auch wieder rechtzeitig ins Schloss zurückkehren sollten, um nicht zu Asche zu zerfallen.
REGELN
Jeder von euch erhält ein Vampir-Tableau und ein Start-Set an Karten. Die Scheibe in der eigenen Spielerfarbe wird aufs Schloss gelegt. Bestückt den Spielplan mit Plättchen (offene und verdeckte Schätze, Jagdziele, verdeckte Karten im Gasthaus, Rosen im Labyrinth). Zwei Jagdziele werden als öffentliche Ziele auf den Plan gelegt, weitere zwei erhält jeder verdeckt auf die Hand. Davon sucht sich jeder ein Ziel aus. Diese Ziele bringen am Spielende Punkte für bestimmte Dinge, z.B. Menschen-Karten mit vorgegebenen Symbolen im eigenen Deck.
Der Spielplan zeigt mehrere Landschaften: Es beginnt beim Schloss, dann führt der Weg über den Friedhof, ins Gebirge, und von dort aus teilt sich der Weg dann in der Ebene auf - so kann sich jeder entscheiden, ob er sich auf der Straße, der Schiene oder auf dem Seeweg bewegt. Zuletzt geht es in den Wald, der mit dem Labyrinth der blühenden Rosen endet. Wie weit ein Vampir im Spiel läuft, ist ihm überlassen, allerdings muss er nach Runde 15 wieder im Schloss ankommen (oder zumindest auf dem Friedhof), um nicht vor der Schlusswertung aus dem Spiel auszuscheiden.
Bereitet zum Schluss noch das Jagdgebiet vor. Es besteht aus einem großen modularen Tableau mit einer Reihe mehr als Spieler teilnehmen und ist unterteilt in die Spalten 3, 2 und 1. Das entspricht der Geschwindigkeit, die ein Spieler aufbringen muss, um auf einem Feld dieser Spalte zu jagen und so sein Kartendeck zu erweitern.
Das Spiel ist eine Mischung aus Lauf- und Deckbauspiel. Jeder zieht drei Karten von seinen gemischten Startkarten auf die Hand. Wer an der Reihe ist, legt diese drei Karten offen in die eigene Auslage. Grüne Karten (Fähigkeiten) liefern einen Geschwindigkeitswert - der wird addiert, und entsprechend viele Felder darf der Vampir über den Spielplan laufen. Endet der Spielzug auf einem besetzten Feld, dürfen dort verweilende Vampire um ein Feld verschoben werden (die Richtung bestimmt der aktive Spieler), außer im Schloss und auf dem Friedhof. Es können auch Bewegungspunkte zum Jagen verwendet werden. Jagen ist nur einmal pro Spielzug möglich (ggf. im Anschluss an eine Bewegung, wobei das Bewegen keine Pflicht darstellt). Möchte ein Spieler also beispielsweise ein Jagdfeld aus Spalte 3 leeren, muss er dafür eine Geschwindigkeit von 3 übrig haben. Gejagte Karten kommen, wie auch die zuvor gezogenen Karten der aktuellen Runde, anschließend auf den Ablagestapel, es sei denn, der Kartentext sagt etwas anderes. Auf dem Friedhof, im Schloss und auf Schiffsfeldern kann nicht gejagt werden.
Gejagt werden können weitere Karten mit Fähigkeiten (grün), Gefährten (lila, mit dauerhaften Vorteilen) sowie Menschen (in verschiedenen Karten-Farben). Die Menschen liefern Blutstropfen mit einer Zahl - das sind die Siegpunkte. Wird in der Ebene gejagt, gibt es pro gejagtem Menschen einen Bonuspunkt, im Wald sogar zwei Bonuspunkte. Diese Punkte werden immer sofort bei der Jagd vergeben und auf der Punkteleiste festgehalten.
Waren alle Spieler reihum am Zug, endet die Runde mit dem Verschieben der restlichen Karten im Jagdgebiet um eine Spalte nach rechts. In der 1er-Spalte können sich auf diese Weise auch mehrere Karten ansammeln, die dann mit nur einer Jagd erworben werden können. Die 3er Spalte wird nach jeder Runde mit neuen Karten aufgefüllt.
Nun gibt es noch Bewegungsboni, wenn eine Bewegung auf einem entsprechend markierten Feld endet.
- Im Gasthaus kann der Spieler mit einer Geschwindigkeit von 2 die dort verdeckt ausgelegten Karten jagen.
- Auf einem Brunnen darf der Spieler ein zusätzliches Mal im 1er-Gebiet jagen, sofern er noch die Geschwindigkeit dafür übrig hat.
- Auf den Feldern mit den Mensch-Symbolen (jeder Mensch gehört einer bestimmten Gruppe mit einem eigenen Symbol an), können entsprechende Karten verschlungen werden. So eine Karte bleibt zwar beim Spieler und kann für die Endwertung (= Jagdziele) Punkte liefern, allerdings kehrt sie nicht mehr ins Deck zurück, was den Vorteil hat, dass das Deck optimiert werden kann, denn Menschen bremsen die Bewegungen aus, da sie keinen Geschwindigkeitswert besitzen - im Gegenteil: Sie haben beispielsweise sogar Effekte, mit denen man gegen Spielende plötzlich wieder vom Schloss wegziehen muss.
- Auf Grabstätten suche ich mir ein neues Jagdziel aus dem Stapel und darf dann noch beliebig viele Jagdziele, die ich schon besitze, mit neuen aus dem Stapel tauschen, wenn ich möchte. So kann ich meine individuellen Ziele immer neu anpassen.
- Auf Schatzfeldern erhalte ich das dort ausliegende Schatzplättchen. Das bringt direkt 2 Siegpunkte und noch einen Bonus (z.B. die Möglichkeit, es später für einen Extraschritt oder eine zusätzliche Karte zu ziehen oder Extrapunkte).
- Im Labyrinth erhalte ich als Jagd-Alternative eine Rosen-Karte. Davon darf ich nur eine besitzen. Sie bleibt dauerhaft offen vor mir liegen, bringt Punkte und einen stetigen Bonus (z.B. einen Siegpunkt am Ende jedes eigenen Spielzuges).
Da im Laufe des Spiels natürlich auch die gejagten Karten mit ins eigene Deck gemischt werden, entstehen immer neue Kombinationsmöglichkeiten beim Aufdecken. So kann einem eine Karte z.B. eine weitere Karte zum Aufdecken oder zusätzliche Geschwindigkeit bescheren, wenn mindestens ein Mensch aufgedeckt wurde. Oder ich erhalte Siegpunkte, wenn ich nicht jage usw.
Zudem hat jeder Charakter noch einen Spezial-Bonus, wenn er eine bestimmte Punktezahl erreicht. Spielt ihr mit der vereinfachten Version, entfällt dieser Bonus.
Wer als Erster wieder im Schloss ankommt, erhält das dort ausliegende oberste Siegpunkte-Plättchen. Die Punkte nehmen mit der Ankunft weiterer Vampire immer mehr ab. Sollte ein Spieler am Spielende auf dem Friedhof stehen, verliert er 5 Punkte. Erreicht ein Spieler nicht einmal den Friedhof, scheidet er aus dem Spiel aus.
Zum Schluss werden nun noch Punkte für die öffentlichen und individuell gesammelten Jagdziele vergeben. Wer die meisten Punkte sammeln konnte, gewinnt.
Das Spiel bietet kleine Varianten für Einsteiger, u.a. mit einem weniger „strengen“ Spielplan auf der Rückseite - da reicht es dann aus, sich ins Gebirge zu retten, bevor der Tag anbricht, allerdings gibt es dafür dann auch Minuspunkte, je nach Feld.
GALERIE
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CHECKPOINT
PRO
- gelungene Mischung aus Deckbau- und Laufspiel
- Kettenreaktionen beim Ziehen der Karten möglich
- viel Abwechslung durch individuelle Fähigkeiten
- schön gestaltete Karten
- Thrill, das Ziel bis zum Spielende zu erreichen
CONTRA
- mit mehr als 4 Spielern zu lange Wartezeiten und zunehmend unübersichtlich
- Glück entscheidet oft auch über den Spielsieg
MEINUNG
Was machen Vampire eigentlich, wenn sie sich gerade in Quarantäne befinden und zuhause bleiben müssen? Putzen die ihre Wohnung, kochen sie was Leckeres (ohne Knoblauch, versteht sich) - oder spielen sie gar zusammen? Wenn letzteres der Wahrheit entspricht, dann war bisher wohl Klong! das Spiel ihrer Wahl ... Zumindest scheint Richard Garfield das Konzept von Klong! gut gefunden zu haben, um es in abgewandelter Form in The Hunger neu zu interpretieren.
Ihr kennt Klong! nicht? Jetzt echt nicht? Okay, bei Wissenslücken bin ich zur Stelle. Das 2017 in Deutschland bei Schwerkraft erschienene Spiel von Paul Dennen bezeichnet sich selbst als Deckbau-Abenteuer. Wir spielen Karten aus, um uns in die Tiefen einer Burg zu begeben, Schätze zu sammeln, neue Karten zu kaufen; je weiter der Weg, umso mehr Punkte winken - immer mit der Einschränkung, diese wieder zu verlieren, wenn wir bis zum Spielende nicht zurück ans Tageslicht gelangt sind. Ups, ihr habt den Regelteil von The Hunger oben nicht gelesen? Jetzt echt nicht? Okay, bei Wissenslücken bin ich zur Stelle. Bei The Hunger machen wir uns als Vampire auf den Weg raus aus dem Schloss, sammeln Schätze, jagen neue Karten; je weiter der Weg, umso mehr Punkte winken - immer mit der Einschränkung, diese wieder zu verlieren, wenn wir bis zum Spielende nicht zurück zum Schloss gelangt sind. Wie praktisch, wenn Mitspieler Klong! kennen: Da kann ich als Erklärer den Einstieg ins Spiel mit der Beschreibung „Vampir-Klong!“ immer etwas verkürzen.
Nein, keine Sorge, The Hunger ist keine bloße Kopie von Klong! Das hat schon auch seine eigenen Konzepte, die ihm seine Daseinsberechtigung geben. Zunächst einmal wäre da die festgelegte Rundenzahl. Jeder weiß also, wann das Spiel endet, da gibt es keine bösen Überraschungen. Die Überraschungen liegen mehr im Kartenbereich. Es ist nie verkehrt, viele grüne Fähigkeitskarten zu besitzen, denn mit ihnen lässt es sich flexibler laufen und handeln; da können Karten unter bestimmten Bedingungen nachgezogen oder abgelegt werden, was gerade im letzten Drittel des Spiels äußerst hilfreich sein kann, Gefährten unterstützen dauerhaft, Menschen hingegen sind der Punkte-Lieferant. Dass die Menschen jedoch keinesfalls bei der Bewegung hilfreich sind, kann man ihnen nicht verübeln, wenn wir Vampire es auf sie abgesehen haben. Und so bremsen sie einen ordentlich aus. Je mehr Menschen ich in mein Deck hole, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich beim Aufdecken der Karten in meinem Spielzug dann eben auch nur Menschen ziehe. Da können dann regelrechte Nullrunden entstehen, was die Bewegung angeht.
Varianz wird durch die immer neuen Kartenkombinationen, aber auch durch die Jagdziele erzeugt. Die öffentlichen Aufträge wechseln in jeder Partie, und mit den individuellen Zielen kann jeder auf etwas anderes spielen. Wer sich viele Aufträge holt, kann am Spielende auch noch einen scheinbar uneinholbaren Rückstand aufholen. So bleibt das Spiel auch dann spannend, wenn es alle Spieler ins Ziel geschafft haben. Das Erreichen des Ziels ist wohl der größte Thrill bei The Hunger. Ich muss den richtigen Zeitpunkt wählen, um die Rückreise anzutreten. Das Tageslicht naht, und ihr wisst ja, was Vampiren da droht.
Wer zu Asche zerfällt, scheidet aus. Da das erst nach Runde 15 passiert, muss glücklicherweise niemand vorzeitig das Spiel verlassen, aber es kann so richtig ärgerlich sein, wenn man es bis auf einen Schritt vor den rettenden Friedhof geschafft hat, noch zwei Runden zu spielen sind, und man dann zweimal hintereinander von den eigens erjagten Karten aus dem Spiel gekickt wird. Natürlich sind 6 Punkte für einen gejagten Menschen nicht zu verachten, aber wenn der einen dann beim Aufdecken wieder mit vier Schritten vom Schloss weg ins Gebirge zieht, dann steigt der Puls. Und wenn man dann im letzten Zug auch nur Menschen ohne Geschwindigkeitswerte zieht, dann steht man vor dem offenen Tor und gelangt nicht hinein. Da sollte man auf jeden Fall zusehen, dass man die Karten mit lästigen Effekten irgendwie vorher loswird, zum Beispiel über die Möglichkeit, sie zu „verschlingen“, oder über die Möglichkeit, dass Karten über Fähigkeiten oder Gefährten abgelegt werden oder neue gezogen werden dürfen.
Mir gefällt The Hunger vom Material gut. Die Karten sind schön illustriert, der Spielplan hätte im Mondlicht optisch gern noch dunkler erscheinen dürfen, und die Vampire hätten als Miniaturen auch noch einmal mehr hergemacht als mit Holz-Scheiben, geschenkt. Das geht schon alles in Ordnung!
Was mich zu einer gemischten Kultwertung treibt, ist die Spieleranzahl. Zu zweit oder zu dritt ist das Spiel knackig. Es ist schnell gespielt, man hat keine allzu langen Wartezeiten. Spannend ist es trotzdem, auch mit weniger Konkurrenz. Dass man The Hunger aber ernsthaft zu fünft oder gar zu sechst spielen kann, mag größere Spielrunden erfreuen, aber da ist für mich die Downtime dann doch zu hoch. Schließlich werden die Spielzüge reihum durchgeführt, und wenn jemand eine Kettenreaktion beim Aufdecken der Karten erzielt, was den betreffenden Spieler ja freut, dann ertappt man sich dabei, dass einen vielleicht auch mal ein kurzer Sekundenschlaf zur nächtlichen Spielzeit ereilt. Allein die Festlegung der Spielerreihenfolge wird da schon zur kleinen Herausforderung. Nein, zu sechst würde ich The Hunger eher ungern spielen, allein, weil die Kartenauslage im Jagdgebiet dann riesig wird, und man ja alle Kartenfunktionen überblicken muss.
Wie anfangs bereits gesagt: The Hunger hat für mich seinen Platz im Spieleregal gefunden - neben Klong!, aber doch mit seinem eigenen Charme. Insbesondere Familien und auch Gelegenheitsspieler sind mit The Hunger gut zu ködern, sofern ein erfahrenerer Spieler mit am Tisch sitzt, der alle Regeln erklären kann. Die Anleitung kann mit ihren vielen Detail-Regeln den Otto-Normal-Spieler ansonsten schon überfordern; das ist dann auch der Grund, warum das Spiel verlagsseitig als „Kennerspiel“ und nicht als „Familienspiel“ einsortiert wurde. Das Thema der blutrünstigen Vampire ist dagegen unproblematisch. Die Umsetzung deutet die Jagd nach den Menschen nur an; die gelangen aber ohne Blessuren ins Kartendeck und sehen auch in der nächsten Partie noch frisch aus ;)
Insgesamt erhält das Spiel von mir 7 bis 8 Kultpunkte, letztere vor allem im Spiel zu zweit oder dritt.
VIDEO
Unser Video zum Spiel findet ihr auf YouTube: https://youtu.be/PdVYXvXZdVM
KULTFAKTOR: 7-8/10
Spielidee: 7/10
Ausstattung: 7/10
Spielablauf: 8/10
EUER REZENSENT
INGO
Vielspieler, Skifahrer, Italien-Fan, Medienheini
Eine Rezension vom 18.09.2022
Dieser Spieletest wurde unterstützt durch ein Rezensionsexemplar.
Bildnachweis:
Coverfoto: Pegasus Spiele
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