REZENSION
RULEBENDERS
- Genre: Taktikspiel
- Jahr: 2021
- Verlag: Game Brewer
- Autor: Tom Vandeweyer
- Grafik: Naiade
- Spieler: 2 bis 5
- Alter: ab 10 Jahren
- Dauer: ca. 75 Min.
- Schwierigkeitsgrad: mittel
- Taktiklevel: 5/10
Gebeugte Regeln und asymmetrische Zeit
Endlich läuft die Rulebender-Maschine und wird uns in aufregende Welten bringen, deren Regeln sich unserem Willen beugen müssen. Leider versuchen auch unsere anderen Freunde in diesen Welten die meisten Chips zu sammeln, indem die Regeln ordentlich gebeugt werden und so Mehrheiten-Wertungen gewonnen werden.
REGELN
In diesem Mehrheitenspiel gewinnen wir das Privileg, die Regeln zu verändern und so beim Durchreisen verschiedener Welten die meisten Chips (Geld) zu sammeln. Die vielen verschiedenen Karten der unterschiedlichen Welten sorgen dabei für Abwechslung.
Zunächst muss aber das Spielbrett zusammengepuzzelt werden. In der Mitte werden die gemischten Flexo-Karten bereit gelegt. Es werden von den sechs Themendecks vier Decks ausgewählt, getrennt verdeckt gemischt und neben den Flexo-Karten ausgelegt. Drumherum werden die 7 Regelmodule gelegt. Die Gleichstandsleiste und der Rundenzähler machen das Brett komplett.
Eine zufällige Aufbaukarte gibt vor, welche Regeln mit den Regelsteinen auf den Regel-Modulen eingestellt werden. Außerdem bestimmt die Karte den Startspieler. Jedes Regel-Modul hat eine Evolutionsleiste, die mit einem zufälligen verdeckten Elektron-Plättchen und einem Nuklear-Plättchen bestückt wird.
Es werden Chips, Tauschmarker, und Energiewürfel in allen Spielerfarben bereit gelegt. Der Startspieler bestimmt noch ein Thema für die erste Runde, und los geht es.
Es werden vier Runden mit je vier Phasen gespielt.
Zunächst gibt es Einkommen. Jeder Spieler bekommt ein Handelsplättchen entsprechend der Position des Steins auf dem Regelmodul, entweder ein 1:1, 1:2 oder 1:3 Plättchen. Dann bekommt der Startspieler 2 Chips und alle anderen 1 Chip. Dieser Wert kann durch die Evolutionsleiste auf diesem Regelmodul beeinflusst werden. Dann nimmt sich jeder Spieler Energiewürfel, wie auf dem Energiewürfel-Regelmodul angegeben ggf. modifiziert durch die Evolutionsleiste. Es werden immer nur die Würfel der eigenen Spielfarbe genommen.
Nun darf jeder Spieler so viele Karten ziehen, wie auf dem Kartenzieh-Regelmodul zu sehen ist, aber maximal bis das Handkartenlimit vom Handkartenlimit-Modul erreicht ist. Auch diese beiden Werte können durch Evolutionsleisten beeinflusst werden.
Jetzt kommt die Aktionsphase, in der jeder reihum einen Würfel setzt, eine Karte spielt oder passt.
Einen Energiewürfel zu setzen heißt, er wird vom eigenem Vorrat auf eine Schale eines Regelmoduls gelegt. Dort können schon Würfel liegen. Würfel können auch auf die Gleichstandsleiste gelegt werden.
Wer eine Karte spielen möchte, muss dafür bezahlen. Sie kosten 0 bis 3 Einheiten der aktuellen Währung, denn je nachdem, wo der Stein auf dem Währungs-Regelmodul liegt, wird mit Chips, mit Energiewürfeln oder mit anderen Karten bezahlt. Wer eine Karte ausspielt, führt deren Effekt aus, wobei es Karten gibt, die sofort einmalig etwas machen, die zu einem beliebigen Zeitpunkt pro Runde einmal einsetzbar sind, oder die auch einfach einen permanenten Vorteil bringen. Karten werden vor der ausspielenden Person gesammelt. Flexo-Karten dürfen immer gespielt werden. Diese haben meist eine Bedingung und bringen dann Chips, Karten oder Energiewürfel. Weiterhin bringen sie noch einen Vorteil bei der Wertung später. Es gibt 7 verschieden Flexo-Karten-Typen. Jeder kann jeden Flexo-Typ nur einmal pro Runde spielen.
Themenkarten bieten ganz unterschiedliche Effekte. Es gibt einfach Chips, Karten oder Energiewürfel, Würfel werden bewegt, aber auch Karten der Gegner zerstört usw. Jeder Stapel hat auch extrem mächtige Karten, die nach dem Ausspielen aus dem Spiel kommen, so zerstört z.B. der Kometeneinschlag des prähistorischen Decks einen Stapel von Themenkarten. Themenkarten können aber nur gespielt werden, wenn die Evolutionsleiste dies erlaubt.
Jeder Spieler hat auf jeder Evolutionsleiste eine Scheibe in der Mitte. Jede Evolutionsleiste hat einen Elektron- und einen Nuklear-Bereich. Wandert die Scheibe Richtung Elektron-Bereich, kann es potentiell mehr Punkte am Ende des Spiels geben, aber während des Spiels werden Regeln schwächer. Im Nuklear-Bereich gibt es weniger Punkte, aber die Regeln werden besser für den Scheiben-Besitzer. So erlaubt es die Evolutionsleiste beim Themen-Regelmodul entweder nur Flexo-Karten, nur Themenkarten des aktuellen Themas, nur Themenkarten des aktuellen Themas und einem weiteren, drei Themen oder aller Themen zu spielen.
Wer weder Karte spielt, noch Würfel platziert, passt. Haben alle gepasst, wird gewertet und ihr erfahrt endlich, wie Bewegung in die Regeln und Evolutionsleisten kommt.
Bei jedem Modul wird geschaut, wer die meisten Energiewürfel in der Schale besitzt. Gleichstände können durch das Entfernen von Würfeln aus der Gleichstandsleiste aufgelöst werden. Diese Person darf die Regel dieses Moduls ändern, z.B. ein neues Thema aussuchen, Startspieler werden, eine andere Währung wählen, mehr Energiewürfel ziehen etc. Zusätzlich bewegt der / die Gewinner(in) die eigene Scheibe auf der Evolutionsleiste einen Schritt - wurden in dieser Runde die Flexo-Karten dieses Moduls gespielt, sogar zwei Schritte. Dann werden alle Energiewürfel dieser Person entfernt. So werden alle Module abgehandelt. Würde jemand einen Schritt machen dürfen, welcher die Scheibe aus der Evolutionsleiste heraus bewegen würde, so bleibt die Scheibe, wo sie ist, und das Nuklear- oder Elektron-Plättchen wird vom Besitzer eingesammelt. Auf der Rückseite gibt es 0-3 (Nuklear-) oder 3-6 (Elektron-)Chips, die sofort genommen werden.
Wurden alle Module gewertet, so wird aufgeräumt. Karten mit einmaligem Effekt werden abgeworfen und der Rundenstein zieht ein Feld weiter.
Nach der vierten Runde gibt es noch ein paar Chips extra: Einmal für das Sammeln von Set-Karten, und dann noch für übrige Elektron- oder Nuklear-Plättchen auf dem Brett. Die Spieler, die im passenden Nuklear- oder Elektron-Bereich stehen, bekommen noch Chips von den entsprechenden Plättchen. Wer dann die meisten Chips gesammelt hat, ist der beste im Verbiegen von Regeln.
Hinweis: Auf den Fotos seht ihr die englischsprachige Ausgabe des Spiels. Eine deutschsprachige Version ist aber ebenfalls erhältlich!
GALERIE
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CHECKPOINT
PRO
- interessanter Ansatz
- verschiedene Themendecks
- schöne Gestaltung
CONTRA
- Spielzeit zu lang
- Wartezeiten
- Flexo-Karten sind Glückssache
MEINUNG
Regeln regeln den Rahmen eines Spiels. Sie geben vor, was möglich ist, bzw. welchen Bedingungen im Spiel alle zustimmen. Aber manchmal passen uns Regeln einfach nicht. Da werden dann mal Hausregeln eingeführt oder übermächtige Karten aus einem Spiel entfernt usw. Auch bei Videospielen gibt es die große Modder-Szene, also Leute, die den Code des Spiels modifizieren. Ist dies ein Ausdruck von Kontrollzwang oder der Wunsch Machtphantasien auszuleben? Oder handelt es sich tatsächlich um den Ausdruck kreativen Schaffens? Brettspielautoren beginnen oft ihre ersten Entwicklungsversuche mit dem Abändern bestehender Spiele, was dem Ändern von Regeln ein gewisses Gewicht verleiht. Somit ist es nicht verwunderlich, dass Brettspiele dies sogar als Mechanismus benutzen.
Neben gängigen Fähigkeiten, die es einem einzelnen Spieler ermöglichen, Regeln zu ignorieren, gibt es häufig auch individuelle Wertungskarten verschiedenster Form. Mir fallen aber nur ein paar Spiele ein, bei denen sich für alle Spieler die Regeln ändern, zum Beispiel Stichmeister von Friedemann Friese, bei dem jede Runde dieses Stichspiels neue Regeln mit sich bringt, oder Fluxx von Andrew und Kristin Looney. Bei letzterem ändert fast jede Karte die Regeln ab.
Rulebenders spielt da in einer ganz anderen Liga. Es handelt sich um ein Mehrheitenspiel, d.h. jeder Spieler versucht auf bestimmten Regel-Modulen die meisten Energiewürfel zu besitzen, damit die eigen Scheibe auf der Evolutionsleiste einen der Marker erreicht, die Chips versprechen. Oder es gelingt bestimmte Karteneffekte für mehr Chips zu benutzen. Die Überlegungen beim Setzen der eigenen Energiewürfel sind nicht ganz so offensichtlich und erfordern sicherlich mehr Planung, besonders in Zusammenhang mit den eigenen Karten und dem Bezahlen von einer Währung, als bei den zwei vorher genannten Kartenspielen. Und so kam es bei mir oft, dass das Spiel länger als die angegebenen 75 Minuten benötigte - eigentlich war keine Partie bei uns so kurz. Dies kommt durch die vielen Karten.
Die Karten sind toll gestaltet und bieten vielseitige interessante Effekte. Die sechs verschiedenen Themendecks haben unterschiedliche Schwerpunkte . Einige Decks haben mehr Karten zum Attackieren anderen Mitspieler, andere zum Ausschütten von Rohstoffen, wieder andere besitzen viele glücksabhängige Karten. Deswegen macht es auch Spaß, die verschiedenen Themen zu erkunden und zu sehen, welche Effekte in den Stapeln warten. Eine Karte geschickt einzusetzen fühlt sich dann auch sehr befriedigend an. Vielleicht kann so auch noch eine Mehrheit herumgerissen, oder es können viele Chips verdient werden.
Rulebenders besteht nur aus 4 Runden, zwischen denen sich jeweils die Regeln ändern können. Die Änderungen sind dabei manchmal subtil und manchmal fundamental. Müssen Karten mit Chips bezahlt werden, so werden sicherlich weniger Karten gespielt. Ich hatte gehofft, dass es mehr Karten gibt, die die Regeln verändern, sodass die ganze Geschichte mit dem Regelbeugen recht flüssig ist und das Spiel so voller Überraschungen steckt. Mit den nur 3 Zeitpunkten im Spiel, an denen sich etwas ändert, fühlt es sich nicht wirklich so an, als ob wir ständig die Regeln beugen.
Durch die vielen Effekte, die die Karten bieten, was unter anderem das Ziehen neuer Karten ermöglicht, spielen Mitspieler diese auch gerne aus, wie schon oben erwähnt. Jetzt gibt es aber Karten, die neue Währungen bringen, mehr Karten etc. sprich, die mehr Möglichkeiten für zukünftige Züge offerieren. Dies tun besonders die Flexo-Karten, welche beim Erfüllen einer Bedingung Karten, Würfel oder Chips liefern. Die Bedingungen sind sehr unterschiedlich und oft eher durch Glück als Verstand erfüllt. Es gibt auch Flexo-Karten, die in der ersten Runde schlicht unerfüllbar sind, und andere sind kein Problem. Habe ich in der ersten Runde direkt eine Flexo-Karte, die einfach zu erfüllen ist, so hole ich mir schon einen Vorsprung gegenüber den anderen - und das eben aus purem Glück. Rulebenders ist nicht chaotisch genug, dass das einfach weggelacht werden kann, besonders wenn der Vorsprung deutlich mehr Züge bringt.
Es handelt sich um ein Mehrheitenspiel, d.h. wer am Ende seine Steine legen darf, der hat die meiste Kontrolle. So kommt es oft, dass Spieler so lange wie möglich Karten spielen, selbst wenn diese nur marginale Vorteile bieten, um im Spiel zu bleiben und als letzter Energiewürfel zu platzieren. Als Resultat habe ich schon Runden gehabt in der Spieler bestimmt 10 Minuten früher aus der Runde ausgestiegen sind als andere Spieler. Und auch ich saß da manches Mal und dachte „Oh je, jetzt spielt sie NOCH eine Karte ...“
Aus diesen Gründen würde ich Rulebenders eher mit 3 Spielern empfehlen als mit 4 oder 5. Eine Runde zu zweit würde ich eher nicht empfehlen. Dann spielt nämlich ein Dummy-Spieler mit und dieser macht recht zufällige Züge. Das ist irgendwie nicht so meins.
Noch ein Punkt, der den Spielfluss hemmte, waren Fragen, die wegen der verschiedenen Karteneffekte auftauchten. Es gibt einen Abschnitt in der Anleitung, der Karteneffekte beschriebt, aber meist war dieser nicht hilfreich.
Rulebenders lässt mich etwas unsicher zurück. Hatte ich Spaß, die Karten auszuspielen und zu planen, in welchen Modulen ich lieber den Nukleus und in welchen ich lieber Elektronen wollte? Ja. War ich gelangweilt, wenn jemand viel länger in einer Runde gespielt hat als die anderen, weil diese Person mehr Züge machen konnte? Ja. Und dauerte das Spiel zu lange? Ja.
Ungefähr 50 Prozent der Leute, mit denen ich es gespielt habe, fanden das Spiel gut, die anderen eher mäßig. Ich habe das Gefühl, beide Eindrücke in mir zu haben. Darum gibt es mit 6 Punkten nur eine vorsichtige Empfehlung für Rulebenders.
KULTFAKTOR: 6/10
Spielidee: 6/10
Ausstattung: 8/10
Spielablauf: 5/10
EUER REZENSENT
LUTZ
Wahl-Niederländer, Elektrochemiker, Zuvielspieler, Rätselenthusiast
Eine Rezension vom 15.08.2022
Dieser Spieletest wurde unterstützt durch ein Rezensionsexemplar.
Bildnachweis:
Coverfoto: Game Brewer
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