REZENSION
ARCHITEKTEN DES WESTFRANKENREICHS
- Genre: Strategiespiel
- Jahr: 2018
- Verlag: Schwerkraft
- Autoren: Shem Phillips, S J Macdonald
- Grafik: Mihajlo Dimitrievski
- Spieler: 1 bis 5
- Alter: ab 12 Jahren
- Dauer: 60 - 80 Min.
- Schwierigkeitsgrad: mittel
- Taktiklevel: 8/10
Halunke oder Ehrenmann?
Wir schreiben das Jahr 850 n. Chr. und befinden uns in der Karolinger-Zeit. Als Architekten heuern wir Lehrlinge an, errichten Gebäude und bauen gemeinschaftlich an der Kathedrale unserer Stadt. Doch manchmal werden wir verführt, den Pfad der Tugend zu verlassen ...
REGELN
Jeder Spieler erhält ein Charaktertableau, die 20 Arbeiter seiner Farbe, etwas Geld sowie zunächst vier Bauplan-Karten, die vor Spielbeginn gedraftet werden - eine behalten, den Rest weitergeben, bis jeder drei Karten ausgesucht hat und auf der Hand behält.
Wer an der Reihe ist, setzt immer genau einen seiner Arbeiter auf einen Ort des Spielplans und führt die jeweilige Aktion aus. Sollte ein Spieler einmal keine Arbeiter mehr im Vorrat haben, kann er als Notaktion seinen Spielzug dazu verwenden, einen Arbeiter vom Spielplan zurückzuholen, allerdings geht das auch vorzeitig auf besserem Wege, dazu gleich mehr.
Ziel ist es, durch den Bau von Gebäuden und der Kathedrale Siegpunkte zu sammeln. Zusätzliche Punkte bekommt man auch, wenn man sich als tugendhaft beweist (wobei die Spieler mit ihren Markern zu Beginn des Spiels in der neutralen Mitte der Tugendleiste beginnen) bzw. man am Spielende noch wertvolle Rohstoffe und Geld besitzt.
Generell gilt: Auf Orten mit einem großen Kreis dürfen beliebig viele Arbeiter stehen, auf Orten mit einem kleinen Kreis immer nur genau 1 Arbeiter, und auf Umrissen werden die Arbeiter liegend platziert. Im letzteren Fall bleiben sie dann bis zum Spielende dort liegen und kehren nicht mehr zum Spieler zurück.
Auf Orten mit großem Kreis wird man belohnt, wenn man dort nach und nach mehrere Arbeiter der eigenen Farbe platziert. Jeder zuvor gesetzte eigene Arbeiter zählt nämlich bei der Ausschüttung von Ressourcen oder der Anzahl der Aktionen erneut mit; so liefert der erste eigene Arbeiter im Wald nur 1 Holz, gesellt sich ein zweiter eigener Arbeiter hinzu, gibt es dafür schon 2 Holz, beim dritten 3 Holz usw., also jeweils ein Holz pro Arbeiter.
Auf Ressourcenfeldern erhalte ich also Holz, Steine, Lehm, Gold oder Münzen.
Im königlichen Lager kann ich gesammelte Ressourcen eintauschen, entweder in Schritte auf der Tugendleiste oder in Marmor.
Auf dem Schwarzmarkt erhalte ich gegen Abgabe von Geld und Tugend (schließlich ist der Schwarzmarkt illegal) ebenfalls Ressourcen oder aber auch einen neuen Bauplan oder Lehrling. Auf dem Schwarzmarkt kann jedes Aktionsfeld nur einmal besetzt werden. Die Arbeiter bleiben bis zum Zurücksetzen des Marktes, inhaltlich mit einer Razzia zu vergleichen, dort stehen...
Möchte ich neue Baupläne erhalten oder Lehrlinge einstellen, kann ich das auch auf legalem Wege in der Werkstatt machen, wobei ich für Lehrlinge Geld zahlen muss (z.T. als Steuern). Je mehr Arbeiter ich in der Werkstatt platziert habe, umso mehr Auswahl habe ich bei der Wahl eines neuen Lehrlings. Allerdings kann ich mir die größere Auswahl auch kurzfristig mit der Abgabe einer oder weiterer Münzen erkaufen.
Lehrlinge bescheren dem Spieler gewisse Vorteile, mehr als fünf gleichzeitig darf ein Spieler nicht besitzen. So mancher Lehrling ist aber auch nicht tugendhaft und kostet den Spieler beim Einstellen einen Schritt auf der Tugendleiste...
Baupläne darf ein Spieler maximal sechs auf der Hand halten. Sie bescheren ihm, wenn er das Gebäude baut, am Spielende Siegpunkte, erfordern jedoch eine gewisse Rohstoffkombination, die abgegeben werden muss, und teilweise auch bereits vorhandene Lehrlinge.
Wie nun kann gebaut werden? Dazu muss der Spieler in seinem Spielzug einen Arbeiter in die Zunfthalle legen. Die freien Felder werden in ihrer Anzahl durch die Spielerzahl bestimmt. Nun hat der Spieler die Wahl, ob er die Kosten für eine Bauplankarte entrichten möchte (dann legt er die Karte offen vor sich aus) oder ob er die Kosten für die nächste Stufe des Baus der Kathedrale zahlt (dann rückt er mit seinem Marker in die nächsthöhere Reihe, sofern dort ein Platz frei ist). Dafür erhält der Spieler dann, sofern noch vorhanden, eine Belohnungskarte (z.B. Tugend, Rohstoffe, Geld...).
Neues Geld kann man sich übrigens auch illegal im Steueramt besorgen. Platziert man hier einen Arbeiter, erhält man die gesammelten Steuereinnahmen, verliert aber wieder Tugend.
Rutsche ich auf der Tugendleiste unter ein bestimmtes Limit, darf ich nicht mehr an der Kathedrale bauen, dafür aber zunehmend Steuern hinterziehen, verliere am Spielende aber Siegpunkte. Rutsche ich ganz nach unten, muss ich für jeden weiteren Tugendverlust einen Schuldschein an mich nehmen. Der kostet mich, wenn ich ihn nicht vorher abwerfen kann, ebenfalls am Spielende Minuspunkte. Loswerden kann ich ihn zB genau auf der anderen Seite der Tugendleiste. Diese belohnt mich auch mit Siegpunkten, allerdings darf ich ab einer gewissen positiven Stufe nicht mehr den Schwarzmarkt betreten - der ist dann eben nicht für Ehrenmänner bestimmt...
Immer, wenn drei Arbeiter auf dem Schwarzmarkt stehen oder aber in der Zunfthalle ein Feld mit Schwarzmarkt-Symbol belegt wird, wird dieser kontrolliert, d.h. die Arbeiter, die dort stehen, werden sofort ins Gefängnis geschickt und es werden neue Belohnungen ausgelegt. Wer beim Zurücksetzen des Schwarzmarktes mindestens drei Arbeiter im Gefängnis stehen hat, muss eine Tugend abgeben, und wer die meisten Arbeiter im Gefängnis stehen hat, erhält zusätzlich einen Schuldschein.
Ins Gefängnis kann man aber auch noch auf anderem Wege gelangen. Platziert ein Spieler einen Arbeiter auf dem Marktplatz und bezahlt eine Münze, sucht er sich einen Ort mit großem Kreis aus und nimmt dort alle Arbeiter einer Farbe gefangen. Sind es eigene Arbeiter, können sie vom Spieler fortan wieder neu eingesetzt werden. Sind es Arbeiter eines Gegners, werden sie erst einmal auf das Spielertableau desjenigen gestellt, der sie festgenommen hat. Das kann der Spieler in seinem Spielzug auch öfters machen, wenn er bereits mehrere Arbeiter auf dem Marktplatz platziert hat.
In einem späteren Spielzug kann der Spieler nun einen seiner Arbeiter ins Wachhaus stellen, um sämtliche gefangen genommenen Arbeiter von Mitspielern dort im Gefängnis abzuliefern und pro Gefangenem eine Münze zu erhalten. Möchte ein Spieler seine Arbeiter aus dem Gefängnis befreien, muss er ebenfalls eine Aktion im Wachhaus auslösen. Dann erhält er alle Arbeiter seiner Farbe zurück.
Ein Spieler kann im Wachhaus aber auch schon vorzeitig - gegen Abgabe von Münzen oder der Inkaufnahme eines Schuldscheins und Tugendverlust - alle auf den Spielertableaus der Gegner festgehaltenen Arbeiter seiner Farbe freikaufen. Auch kann im Wachhaus, gegen Abgabe von 6 Münzen, ein Schuldschein ungültig gemacht werden (dafür gibt's dann wieder einen Schritt auf der Tugendleiste nach oben).
Jede einzelne Wachhaus-Aktion erfordert einen Arbeiter. Hat ein Spieler also schon vier Arbeiter im Wachhaus platziert, so darf er direkt vier Aktionen im Wachhaus ausführen.
Das Spiel endet, wenn der letzte freie Platz in der Zunfthalle für eine Bauaktion belegt wird. Nun ist jeder Spieler noch genau einmal am Zug. Wer dann durch seine Position in der Kathedrale, auf der Zunftleiste, durch errichtete Gebäude und jeweils 1 Gold und / oder 1 Marmor und / oder 10 Münzen die meisten Punkte sammeln konnte, gewinnt. Denkt aber daran, dass euch je 2 eigene Arbeiter im Gefängnis und jeder Schuldschein bzw. eine Position auf dem unteren Teil der Tugendleiste zuvor noch einmal Siegpunkte kosten...
Varianten: Wer zusätzliche Abwechslung ins Spiel bringen möchte, kann das Spiel auch mit asymmetrischen Charaktereigenschaften (Rückseite der Spielertableaus) spielen. Die Anleitung beinhaltet zudem auch eine Solospiel-Variante.
GALERIE
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CHECKPOINT
PRO
- einfache Grundregeln
- schnell gespielt ohne große Wartezeit
- Worker-Placement mit zwei pfiffigen Kniffen (Tugend, Gefangennahme)
- tolle Optik und hochwertiges Material
CONTRA
- Spieler müssen nicht zwingend die Spielkonzepte ausreizen
MEINUNG
Wer beim Anblick der "Architekten des Westfrankenreichs" spontan an die "Räuber der Nordsee" denken muss, dem sei gesagt: Völlig zu Recht! Autor (Shem Philipps, diesmal zusammen mit S J Macdonald) und Illustrator (Mihajlo Dimitrievski) sind identisch, auch bei der Symbolik werden sich Freunde der Nordsee-Saga sofort wieder zuhause fühlen. Das gesamte Material ist top, sieht toll aus, hier wurde erneut quasi alles richtig gemacht.
Wie auch die "Räuber der Nordsee", sind die "Architekten des Westfrankenreichs" ein Worker-Placement-Spiel. Und wo wir schon bei Vergleichen sind: Erneut ist es gelungen, dem Spiel seine ganz eigene Note zu verliehen. War das bei den "Räubern" das neuartige Prinzip des Einsetzens und wieder Wegnehmens der Wikinger, verlagert sich die Innovation bei den "Architekten" auf andere Mechanismen.
Der Einsatzmechanismus ist diesmal klassisch. Ich platziere einen Arbeiter und führe die Aktion aus. Je mehr Arbeiter ich an einem Ort besitze, umso öfter vollführe ich die Aktion. Kennen wir. Die Interaktion beim Einsetzen beschränkt sich auf die wenigen Felder, an denen es Platzmangel gibt (Schwarzmarkt, Kathedrale...). Ansonsten hat man viele Freiheiten - zumindest, wenn die Mitspieler das zulassen. Und da wären wir auch schon beim ersten Clou des Spiels: Meine Arbeiter kehren nicht von allein zu mir zurück. Also mache ich sie mir über die Marktplatz-Aktion wieder für andere Orte einsatzfähig. Viel interessanter ist jedoch die Möglichkeit, meine Mitspieler unter Druck zu setzen und ihre Arbeiter gegen Geld im Gefängnis einzubuchten. Dies sorgt für ordentlich Tumult am Spieltisch. Da ist das Timing wichtig und auch das Budget meiner Mitspieler. Sie könnten ihre Leute vorzeitig freikaufen, aber das ist nicht billig. Und ich selber muss mir genau überlegen, wann ich zuschlage... Sammelt ein anderer Spieler einfach zu viele Rohstoffe einer Sorte? Ist mir die Arbeitergruppe groß genug, um dafür eine Marktplatz-Aktion auszugeben? Dieser Mechanismus gefällt mir ausgesprochen gut!
Das Gebäude-gegen-Rohstoffe-Bauen und das Einstellen der Lehrlinge (letzteres auch wieder mit einem kleinen Kniff bei der Auswahl) ist insgesamt wiederum eher klassischer Natur. Die Beschaffung von Geld und Rohstoffen hingegen kann ich auf zwei verschiedene Weisen organisieren - auf die "normale", gesetzestreue, oder aber die skrupellose, wenig tugendhafte. Ging es bei den "Räubern der Nordsee" oftmals ums Demonstrieren von Stärke, steht bei den "Architekten des Westfrankenreichs" die Tugend im Vordergrund. Immer wieder kommen die Spieler mit allerlei Verlockungen von deren Pfad ab, ja, die Tugendlosigkeit kann sogar forciert werden, um Steuern zu sparen... zumindest kurzfristig. Langfristig sollte man dann doch versuchen, aus dem Minuspunkte-Bereich zu entkommen, es sei denn, man baut die ganze Zeit nur besonders wertvolle Gebäude.
Das Spiel an sich ist unkompliziert und erstaunlich schnell gespielt. Mehr als eine Stunde benötigt man mit geübten Spielern selten. Das hohe Spieltempo, die kurzen Wartezeiten und die simplen Regeln machen das Spiel auch bereits für Nicht-Vielspieler interessant, wenngleich es natürlich dennoch ein Kennerspiel ist. Es gibt viele kleine Schauplätze, allesamt leicht zu verstehen, aber sie müssen halt alle erst einmal erklärt und auch verinnerlicht werden. Damit das schnell genug geht, sollte man also idealerweise ein wenig Spielerfahrung besitzen.
Das Spiel funktioniert mit allen Spielerzahlen, wobei ich zugeben muss, die Solospiel-Variante nicht ausprobiert zu haben... ich bin bei strategischen Spielen nie ein Freund von Solo-Partien. Wer so was aber auch gerne mal alleine spielt, hat also hier die Möglichkeit dazu.
Kommen wir zur Varianz. Grundsätzlich wird jede Partie ähnlich verlaufen, ja, aber durch die immer wieder in neuer Kombination vorhandenen Baupläne und Lehrlinge auch nie identisch. Zudem kann man das Spiel auch asymmetrisch spielen. Dann besitzt jeder Spieler eine andere Charakterfähigkeit, was unseren Vielspielern gut gefiel.
Der Gesamteindruck einer Partie hängt jedoch auch von der Spielweise der Spieler ab. Das Spiel bietet mit dem Verlust der Tugend und der Möglichkeit, andere Arbeiter gefangen zu nehmen, zwei reizvolle Konzepte - WENN sie denn gespielt werden. Ich habe auch Partien erlebt, in denen alle Spieler das Westfrankenreich zum Ponyhof machten. Heißt: Sie gingen ausschließlich auf Kuschelkurs, nahmen während der gesamten Partie nie einen Arbeiter gefangen und verschmähten den Schwarzmarkt. Ja, man KANN das Spiel auch so spielen, es funktioniert, aber es fehlt dann doch der entscheidende Drive, was sich auch in der Bewertung einzelner Teammitglieder unten ("Team-Trend") wiederspiegelt. Ich selber würde immer die Konfrontation und die Gratwanderung auf dem Pfad des Legalen bevorzugen. Reizt man diese Spielelemente voll aus, entsteht für mich definitiv das beste Spielgefühl.
Insgesamt vergebe ich - je nach Ausschöpfungsgrad der Möglichkeiten - sehr gute 8 Kultpunkte. Als Eurogame- und Worker-Placement-Fan treffen die "Architekten des Westfrankenreichs" in den meisten Partien genau meinen Spielernerv und ziehen mit den "Räubern der Nordsee" gleich. Wer konfrontatives Spielen bevorzugt, wird den "Architekten" gar den Vorzug geben. Von meiner Seite aus eine klare Empfehlung, wenn ihr ein flottes, unkompliziertes, aber dennoch pfiffiges Strategiespiel im klassischen Eurogame-Setting sucht!
Ein Video zum Spiel findet ihr auf YouTube: https://youtu.be/439vFOgVU_w
KULTFAKTOR: 8/10
Spielidee: 8/10
Ausstattung: 9/10
Spielablauf: 8/10
TEAM-TREND
Die Kultfaktor-Wertungen weiterer Spielkultisten:
Torsten: 9/10
Doro: 8/10
Gerhild: 8/10
Melanie: 8/10
Birgit: 6/10
Jürgen: 6/10
EUER REZENSENT
INGO
Vielspieler, Skifahrer, Italien-Fan, Medienheini
Eine Rezension vom 19.11.2018
Dieser Spieletest wurde unterstützt durch ein Presse-Exemplar.
Bildnachweis:
Coverfoto: Schwerkraft Verlag
Weitere Fotos: Spielkultisten